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VwGH vom 11.06.2014, Ro 2014/22/0017

VwGH vom 11.06.2014, Ro 2014/22/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Revision des A, vertreten durch Mag. Christian Thaler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 12, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 166.784/2- III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden: Behörde) den Antrag des Revisionswerbers, eines chinesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.

Begründend führte die Behörde zunächst aus, der Revisionswerber sei am in das Bundesgebiet eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt. Dieser Antrag sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom rechtskräftig abgewiesen worden. Weiters sei gegen den Revisionswerber eine - seit rechtskräftige - Ausweisung erlassen worden. Am habe der Revisionswerber den gegenständlichen - ursprünglich auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG gerichteten, in der Folge auf einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach § 41a Abs. 9 NAG modifizierten - Antrag gestellt. Diesen Antrag habe er damit begründet, sich bereits seit acht Jahren in Österreich aufzuhalten, krankenversichert zu sein, deutsch zu sprechen, über eine ortsübliche Unterkunft und einen kleinen Freundeskreis zu verfügen sowie bereits geringfügig gearbeitet zu haben. Der Revisionswerber habe kein Sprachzeugnis auf dem Niveau A2 vorgelegt und keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet geltend gemacht. Ausgehend davon nahm die Behörde an, dass keine Anhaltspunkte vorlägen, die einer neuerlichen Prüfung in Bezug auf § 11 Abs. 3 NAG "zugänglich" wären, weshalb der erstinstanzliche Zurückweisungsbescheid vom zu Recht ergangen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Revision nach Aktenvorlage durch das gemäß § 9 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, iVm Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG an die Stelle der Behörde tretende Verwaltungsgericht Wien in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Da der angefochtene Bescheid vor Ablauf des erlassen wurde und infolge der Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag die Beschwerdefrist mit Ende dieses Tages noch gelaufen ist, gelten für die Behandlung der Revision gemäß § 4 Abs. 5 iVm Abs. 1 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung - mit einer fallbezogen keine Rolle spielenden Maßgabe - sinngemäß.

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im November 2013 sind die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 68/2013 maßgeblich.

Die relevanten Bestimmungen des NAG lauten auszugsweise wie folgt:

" Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus'

§ 41a. ...

(9) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus' zu erteilen, wenn

1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt,

2. dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

3. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt.

... ."

" § 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a Abs. 1 vor, sind

Anträge gemäß §§ 41a Abs. 9 oder 43 Abs. 3 als unzulässig

zurückzuweisen, wenn

1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung

rechtskräftig erlassen wurde, oder

...

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt."

Die Behörde gelangte zum Ergebnis, dass eine neuerliche Prüfung nach § 11 Abs. 3 NAG nicht erforderlich sei und somit - bezogen auf die seit der rechtskräftigen Erlassung der Ausweisung vergangene Zeit - keine Sachverhaltsänderung iSd § 44b Abs. 1 NAG vorliege. Dem hält die Revision insbesondere die "überlange" Integration in Österreich entgegen.

Der Sache nach ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet. Die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhalts als wesentlich anzusehen ist, können daher auch für die Frage, wann maßgebliche Sachverhaltsänderungen iSd § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegen, herangezogen werden. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0161, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner in seiner zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergangenen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass es zwar zutrifft, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber wurde in der Judikatur aber bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise solche Aufenthaltsbeendigungen auch nach so einem langen Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2013/22/0161 sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0199, beide mwN).

Der Revisionswerber hält sich seit dem im Bundesgebiet auf. Die Dauer seines Inlandsaufenthaltes beträgt somit - anders als im Zeitpunkt der gegen ihn verfügten Ausweisung - zum Zeitpunkt der Erlassung des die Zurückweisung aussprechenden erstinstanzlichen Bescheides knapp elfeinhalb Jahre. Dem Vorbringen des Revisionswerbers betreffend seine Sprachkenntnisse, seinen - wenn auch kleinen - Freundeskreis und seine in der Vergangenheit liegende geringfügige Beschäftigung, dessen Richtigkeit die Behörde nicht in Abrede stellt, ist nicht zu entnehmen, dass er die Zeit seines Aufenthalts überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sodass jedenfalls nicht vom gänzlichen Fehlen einer Integration gesprochen werden kann.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Verwaltungsgerichtshof - auch angesichts der seit Erlassung der Ausweisung vergangenen Zeitspanne von mehr als drei Jahren - der Auffassung der Behörde, es sei beim nunmehr vorliegenden Sachverhalt selbst bei einer Gesamtbetrachtung eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK als nicht einmal zumindest möglich anzusehen, nicht anschließen.

Die von der Behörde ausgesprochene Antragszurückweisung erweist sich sohin als rechtlich verfehlt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG sowie § 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, iVm § 3 Z 1 und § 4 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am