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VwGH vom 27.03.2017, Ra 2015/02/0165

VwGH vom 27.03.2017, Ra 2015/02/0165

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und den Hofrat Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des S in V, vertreten durch Dr. Bernhard Haid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Universitätsstraße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG- 2015/14/0679, betreffend Verfall einer vorläufigen Sicherheit in einem Verfahren wegen Übertretung des KFG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Lienz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom wurde die im Zuge einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle am gegen 15.50 Uhr von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung gemäß § 102a Abs. 4 i.V.m. § 134 Abs. 1 KFG beim Fahrer eines näher bezeichneten Sattelzugfahrzeuges vorläufig eingehobene Sicherheit von EUR 300,-- gemäß § 37a Abs 5 iVm § 37 Abs 5 VStG für verfallen erklärt.

2 Begründend führte die Behörde hierzu nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften aus, der Revisionswerber sei nicht österreichischer Staatsbürger und habe seinen ordentlichen Wohnsitz an einer näher genannten Adresse in der Slowakischen Republik. Die Einhebung einer Sicherheitsleistung sei daher zulässig gewesen. Nach §§ 37a Abs. 5 und 37 Abs. 5 VStG könne eine Sicherheitsleistung für verfallen erklärt werden, "wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung binnen zwölf Monaten nicht möglich" sei. Aufgrund des ausländischen Wohnsitzes und des fehlenden Abkommens über die Vollstreckung von Geldstrafen zwischen der Republik Österreich und dem Heimatstaat des Revisionswerbers sei spruchgemäß vorzugehen gewesen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.) und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt 2.).

4 Neben wörtlicher Wiedergabe des Beschwerdeschriftsatzes sowie der verba legalia der §§ 37 und 37a VStG führte das Verwaltungsgericht hierzu aus, aus dem vorgelegten Verwaltungsakt lasse sich entnehmen, dass der Revisionswerber am gegen 15.50 Uhr mit einem Sattelzugfahrzeug sowie Sattelanhänger mit näher genannten Kennzeichen auf der B 100 bei Strkm 112,000 unterwegs gewesen sei. Hierbei sei er von zwei namentlich genannten Polizeibeamten der Polizeiinspektion Lienz einer Fahrzeugkontrolle unterzogen worden, wobei auch die Fahrerkarte ausgewertet worden sei. Der Revisionswerber habe in der Folge näher bezeichnete Unterlagen nicht vorlegen können, weshalb von ihm eine Sicherheitsleistung in der Höhe von EUR 300,-- eingehoben worden sei. Laut Beleg sei als Einhebungsgrund "offenbare Unmöglichkeit oder Erschwerung der Strafverfolgung" angeführt worden. Der Internetseite des Bundeskanzleramtes der Republik Österreich betreffend Rechtshilfe in Verwaltungsstrafsachen lasse sich entnehmen, dass die Slowakei das EU-Rechtshilfeübereinkommen in Strafsachen "offenbar" ratifiziert habe, jedoch der Rahmenbeschluss "2005/2014/JI" (gemeint wohl: 2005/214/JI, über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen) "im Gegensatz zur Tschechischen Republik" nicht umgesetzt worden sei. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht hieraus, "dass die Voraussetzungen des § 37a Z 2 lit a als auch lit b vorliegen, sodass die Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom (...) nicht berechtigt" sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, verbunden mit dem Antrag auf Kostenzuspruch.

6 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete einen als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz, in welchem auf die Begründung "in den Bescheiden" verwiesen, ansonsten jedoch von einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen wurde.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision ua. mit dem Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Rechtmäßigkeit der Erklärung des Verfalls einer Sicherheit gemäß § 37 Abs. 5 VStG.

9 Die Revision ist aus diesem Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

10 Gemäß § 37a Abs. 1 Z 2 VStG kann die Behörde besonders geschulte Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigen, von Personen, die auf frischer Tat betreten werden, eine vorläufige Sicherheit einzuheben, wenn andernfalls die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung erheblich erschwert sein könnte (lit. a) oder die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung einen Aufwand verursachen könnte, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre (lit. b).

11 Gemäß § 37a Abs. 2 leg. cit. darf die vorläufige Sicherheit das Höchstmaß der angedrohten Geldstrafe nicht übersteigen.

12 Gemäß § 37a Abs. 5 leg. cit. wird die vorläufige Sicherheit frei, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den Beschuldigten verhängte Strafe vollzogen ist oder wenn nicht binnen zwölf Monaten gemäß § 37 Abs. 5 VStG der Verfall ausgesprochen wird.

13 Gemäß § 37 Abs. 5 VStG ist die Sicherheit für verfallen zu erklären, sobald feststeht, dass die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nicht möglich ist. § 17 leg. cit. ist sinngemäß anzuwenden.

14 Gemäß § 134 Abs. 1 KFG ist, wer Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zuwiderhandelt, mit einer Geldstrafe von höchstens EUR 5.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.

15 Das Verwaltungsgericht begründet die gegenständliche Beschwerdeabweisung - ausschließlich - mit dem Argument, der Rahmenbeschluss 2005/214/JI sei von der Slowakischen Republik noch nicht umgesetzt (gewesen), weshalb "die Voraussetzungen des § 37a Z 2 lit. a als auch b vorliegen"; die Beschwerde des Revisionswerbers sei daher nicht berechtigt.

16 Damit verkennt das Verwaltungsgericht zum einen die rechtlichen Voraussetzungen für den Ausspruch des Verfalls einer Sicherheit gemäß § 37 Abs. 5 VStG (BGBl. Nr. 52/1991 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 33/2013), wonach die Sicherheit (erst) für verfallen zu erklären ist, sobald feststeht, dass die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nicht möglich ist.

17 Zum anderen weicht das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis, wie die Revision zutreffend aufzeigt, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab:

18 Unter Berufung auf die Unmöglichkeit des Strafvollzugs darf der Verfall erst ausgesprochen werden, wenn tatsächlich schon eine Strafe rechtskräftig verhängt worden ist (vgl. , mwN).

19 Diese, zu § 37 Abs. 5 VStG in der Stammfassung ergangene, Rechtsprechung hat für die seit geltende Bestimmung des § 37 Abs. 5 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 weiter Gültigkeit; nach wie vor wird der Ausspruch des Verfalls einer vorläufigen Sicherheit gemäß § 37 Abs 5 VStG nämlich (alternativ) darauf gestützt, dass entweder die Strafverfolgung oder der Vollzug der Strafe (nunmehr: "die Strafvollstreckung") unmöglich ist.

20 In seinem Erkenntnis vom , 2007/03/0174, sprach der Verwaltungsgerichtshof hierzu Folgendes aus:

"(...) Würde für den Verfall einer vorläufigen Sicherheit tatsächlich schon ausreichen, dass der Vollzug einer allfälligen Strafe (etwa mangels entsprechenden Rechtshilfeübereinkommens) unmöglich wäre, ohne dass mangels Abschlusses eines Strafverfahrens schon feststünde, ob überhaupt eine Strafe zu verhängen ist, wäre die tatsächliche Durchführung eines Strafverfahrens entbehrlich. Eine solche Sichtweise stünde aber nicht damit in Einklang, dass die vorläufige Sicherheit gemäß § 37a VStG die Durchführung des Strafverfahrens bzw den Vollzug der Strafe sichern, nicht aber ersetzen soll (vgl das hg Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl 2006/03/0129). Sie stünde aber auch in einem deutlichen Gegensatz zu den Garantien des Art 6 EMRK, würde doch dadurch nicht nur einem Beschuldigten die Möglichkeit genommen, im Strafverfahren seine Rechte zu vertreten, sondern käme es - ohne Durchführung eines ordentlichen Strafverfahrens - zu einem Eingriff in die Vermögensrechte des Betroffenen ohne Gewährleistung einer wirksamen Rechtsverfolgung. Daraus folgt aber, dass dann, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens möglich ist (bei entsprechender Mitwirkung des Beschuldigten auch ohne Bestehen eines Rechtshilfeübereinkommens), ein Verfall nicht schon unter Berufung auf die Unmöglichkeit des Vollzugs einer allfällig zu verhängenden Strafe ausgesprochen werden darf.

(...)"

21 Dieselben Überlegungen, aufgrund derer in Ansehung der damaligen Rechtslage der Ausspruch des Verfalls auf die Unmöglichkeit des Strafvollzugs erst dann gestützt werden durfte, wenn eine Strafe bereits rechtskräftig verhängt wurde, sind auch für die nunmehr in Kraft befindliche Bestimmung des § 37 Abs. 5 VStG gültig.

22 Den vorgelegten Verfahrensakten ist zu entnehmen, dass dem Revisionswerber mit Strafverfügung vom eine Übertretung des § 102a Abs. 4 iVm § 134 Abs. 1 KFG angelastet wurde. Laut dem im Verwaltungsakt befindlichen internationalen Rückschein wurde diese Strafverfügung dem Revisionswerber am an seiner Zustelladresse in der Slowakischen Republik eigenhändig zugestellt. Aufgrund eines dagegen erhobenen Einspruches des Revisionswerbers leitete die Bezirkshauptmannschaft Lienz in der Folge das ordentliche Verfahren ein und erließ am ein Straferkenntnis wegen Übertretung des § 102a Abs. 4 iVm § 134 Abs. 1 KFG gegen den Revisionswerber, welches dem zwischenzeitlich von diesem bevollmächtigten österreichischen Rechtsvertreter zugestellt wurde. Mit Ladungsbeschluss vom - somit nach Erlassung des hier angefochtenen Erkenntnisses vom - beraumte das Verwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung über die Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannschaft Lienz vom an.

23 Daraus folgt zum einen, dass der Ausspruch des Verfalls zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses mangels Verhängung einer rechtskräftigen Strafe nicht rechtmäßig auf die Unmöglichkeit der Strafvollstreckung gestützt werden konnte (vgl. nochmals , mwN).

24 Zum anderen lag angesichts des behängenden Strafverfahrens zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses auch die alternative Voraussetzung des § 37 Abs. 5 VStG, nämlich die Unmöglichkeit der Strafverfolgung, offenkundig nicht vor.

25 Da das Verwaltungsgericht bereits aus diesem Grund das bekämpfte Erkenntnis vom mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat, war dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

26 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

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