VwGH vom 24.01.2017, Ra 2015/02/0145

VwGH vom 24.01.2017, Ra 2015/02/0145

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW-042/013/30040/2014, betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: S in V),

Spruch

1. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

2. den Beschluss gefasst:

Der Antrag der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Mitbeteiligte als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der "b" GmbH mit Sitz in W einer Übertretung des § 4 Abs. 1 sowie des § 14 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) für schuldig erachtet und zu näher bezeichneten Geldstrafen samt Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt.

2 Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 und Z 3 VStG ein und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht hierzu aus, dem bekämpften Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien sei nicht zu entnehmen, ob in der betreffenden Arbeitsstätte überhaupt Gefahren für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auftreten könnten und welche dies sein könnten. Die Feststellungen der Behörde hätten sich darauf beschränkt, dass Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer nicht ermittelt und beurteilt worden und die Arbeitnehmer nicht über diese Gefahren informiert worden seien. In der Beschwerde sei "eingeräumt" worden, dass im Zuge des Betriebsüberganges verlorene Unterlagen nicht sofort durch eine neuerliche Ermittlung ersetzt worden seien, sondern erst "in der Zwischenzeit". Da dem Straferkenntnis nicht zu entnehmen sei, ob überhaupt Gefahren für Arbeitnehmer bestünden, könne dem Mitbeteiligten lediglich vorgeworfen werden, dass er nicht unverzüglich ermittelt habe, ob dies der Fall sei. Im Zweifel sei zu Gunsten des Mitbeteiligten davon auszugehen, dass diese Ermittlung keine Gefahren ergeben hätte. Es sei nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtes, selbst herauszufinden, welche bestehenden Gefahren der Mitbeteiligte zu ermitteln verabsäumt habe, um ihm dies konkret vorwerfen zu können. Der weitere Vorwurf gemäß § 4 Abs. 1 ASchG, der Mitbeteiligte habe Gefahren nicht evaluiert, könne nur greifen, wenn bei der Ermittlung überhaupt Gefahren vorgefunden worden wären. Weder der Anlastung, noch der Begründung des Straferkenntnisses sei Diesbezügliches zu entnehmen. Die Übertretung des § 4 Abs. 1 ASchG beschränke sich damit auf die "bloße Verletzung einer Ordnungsvorschrift ohne weitere nachteilige Folgen". Da Daten vorhanden gewesen und beim Betriebsübergang verloren gegangen seien, könne von einem Versehen ausgegangen und das Verschulden als geringfügig angenommen werden. Der Mitbeteiligte sei unbescholten; zu Punkt 1. des bekämpften Straferkenntnisses sei daher die Anwendung des

4 § 45 Abs. 1 Z 4 VStG "geboten" gewesen. Hinsichtlich der Übertretung des

5 § 14 Abs. 1 ASchG gehe der gesamte Vorwurf ins Leere, "wenn Gefahren für Arbeitnehmer nicht festgestellt werden konnten". Ob Gefahren tatsächlich bestünden, sei dem bekämpften Straferkenntnis nicht zu entnehmen, weshalb "die Anlastung zu Punkt 2.) somit jedenfalls unzureichend" gewesen und "das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen" gewesen sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

7 Die Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher sie sich dem Inhalt nach den Ausführungen der revisionswerbenden Partei anschließt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Hinsichtlich der dem Mitbeteiligten angelasteten Übertretung des § 4 Abs. 1 ASchG geht das Verwaltungsgericht offenbar (jedenfalls hinsichtlich des Unterlassens von Ermittlungen von für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren durch den Arbeitgeber) von der Verwirklichung des vorgeworfenen Tatbestandes aus, bejaht jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG.

9 Die revisionswerbende Partei rügt in der Zulässigkeitsbegründung der Revision - unter anderem - das Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG.

10 Die Revision ist bereits aus diesem Grund zulässig und auch berechtigt.

11 § 45 Abs. 1 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet:

"Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines

Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht

erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;

2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte

Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen,

die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;

3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;

4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes

und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das

Verschulden des Beschuldigten gering sind;

5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;

6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der

gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.

Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten."

12 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung setzt die Einstellung des Verfahrens voraus, dass die im § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen (vgl. etwa , und vom , Ra 2015/09/0004).

13 Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht sachverhaltsbezogen weder mit der Bedeutung des durch die maßgebenden Bestimmungen strafrechtlich geschützten Rechtsgutes noch mit der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat auseinandergesetzt. Die Begründung für die Verfahrenseinstellung, die Übertretung des § 4 Abs. 1 ASchG beschränke sich auf die "bloße Verletzung einer Ordnungsvorschrift ohne weitere nachteilige Folgen", ist in diesem Zusammenhang rechtlich nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat außerdem auch die von ihm angenommene Geringfügigkeit des Verschuldens des Mitbeteiligten nicht näher begründet. Jedenfalls kann der Hinweis auf das (vom Verwaltungsgericht offenbar ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung und ohne näher begründete Beweiswürdigung als glaubhaft eingestufte) Vorbringen des Mitbeteiligten, entsprechende Daten seien vorhanden gewesen und beim Betriebsübergang verloren gegangen, für sich allein nicht zu einer Geringfügigkeit des Verschuldens führen. Hinsichtlich der angelasteten Übertretung des § 4 Abs. 1 ASchG hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis daher bereits dadurch mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, dass es in jedem einzelnen Punkt eine nähere Auseinandersetzung mit den eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG tragenden Umständen vermissen lässt.

14 Wenn die revisionswerbende Partei weiters in den Zulässigkeitsgründen die durch das Verwaltungsgericht in der Sache vorgenommene Auslegung rügt, einem Beschuldigten müsse bei einer angelasteten Übertretung des § 4 Abs. 1 AschG durch die Strafbehörde vorgeworfen werden, welche konkreten Gefahren er verabsäumt habe zu ermitteln und zu beurteilen, zeigt sie auch hiermit eine Abweichung von der hg. Rechtsprechung auf: Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat (vgl. ) genügt zur Erfüllung des Tatbildes des § 4 ASchG die Feststellung der Missachtung der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ermittlung und Beurteilung bestehender Gefahren. In diesem Zusammenhang ist die Rechtsauffassung der revisionswerbenden Partei zutreffend, dass der Tatvorwurf nach der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung hierbei (bloß) in der unterlassenen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ermittlung und Beurteilung der für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren zu bestehen hat, dem Beschuldigten im Zuge einer rechtsrichtigen Anlastung nicht aber vorgeworfen werden muss, welche konkreten Gefahren verabsäumt wurden zu ermitteln und zu beurteilen, da dies nach dem Gesetzeszweck gerade das Ergebnis der durch den Arbeitgeber durchzuführenden Gefahrenermittlung und -beurteilung darstellt.

15 Hinsichtlich der durch das Verwaltungsgericht vorgenommenen Einstellung des Verfahrens betreffend die angelastete Übertretung des § 14 Abs. 1 ASchG ist Folgendes auszuführen:

16 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG hat die Beschwerde an das Verwaltungsgericht (ua.) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, zu enthalten. Der als "Einspruch" bezeichneten Beschwerde des Mitbeteiligten vom gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom ist diesbezüglich - nur - zu entnehmen, die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren seien vom Vorbesitzer ermittelt und beurteilt worden, die Unterlagen seien jedoch im Zuge des Betriebsüberganges verloren gegangen; eine neuerliche Ermittlung und Beurteilung sei "in der Zwischenzeit" durchgeführt worden.

17 Dem an den Inhalt einer Beschwerde in Verwaltungsstrafsachen nach § 9 VwGVG anzulegenden Maßstab genügt es, wenn das Rechtsmittel der Partei vor dem Verwaltungsgericht erkennen lässt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. dazu z.B. , mwN).

18 Vorliegend richtete sich die "gegen das Straferkenntnis" gerichtete Beschwerde des Mitbeteiligten vom ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen die erfolgte Bestrafung wegen Übertretung des § 4 Abs. 1 ASchG, wohingegen eine Ausführung von Beschwerdegründen durch den Mitbeteiligten wegen der Bestrafung hinsichtlich § 14 Abs. 1 AschG zur Gänze unterblieb. Ohne allfällige Erteilung eines diesbezüglichen Mängelbehebungsauftrages durch das Verwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG und entsprechender Mängelbehebung durch den Mitbeteiligten hätte das Verwaltungsgericht jedenfalls über die Beschwerde gegen Spruchteil 2. des Straferkenntnisses vom mangels Darlegung diesbezüglicher Beschwerdegründe nicht in der Sache entscheiden dürfen.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher insgesamt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

20 Soweit der Magistrat der Stadt Wien als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht sich in seiner Revisionsbeantwortung den Rechtsausführungen des revisionswerbenden Bundesministers anschließt und selbst den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses stellt, ist darauf hinzuweisen, dass der in der Revisionsbeantwortung vom gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses - der Sache nach als Revision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht zu werten - verspätet ist, sodass dieser Antrag gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war (vgl. , mwN).

Wien, am

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Schlagworte:
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)

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