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VwGH vom 29.05.2013, 2011/22/0184

VwGH vom 29.05.2013, 2011/22/0184

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des O, vertreten durch Dr. Josef Habersack, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Roseggerkai 5/III, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , Zl. FA7C-2- 9. E/1220-2006, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 sowie § 11 Abs. 2 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist. Am nächsten Tag habe er einen Asylantrag gestellt, der am "zweitinstanzlich negativ entschieden" worden sei. Den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG habe der Beschwerdeführer am eingebracht und damit begründet, dass er seit 2001 im Bundesgebiet aufhältig sei (wobei sein Asylverfahren bis Ende September 2010 gedauert habe), er seit selbständig erwerbstätig sei, indem er einen Call-Shop führe und damit ein Einkommen von fast EUR 2.500 monatlich erziele, dass er weiters versichert sowie gut integriert sei und über Sprachkenntnisse verfüge. Ferner habe der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er am von seiner Schwester und deren Gatten, beide österreichische Staatsbürger, adoptiert worden sei. Seinem Antrag habe er eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung eines Bilanzbuchhalters für den Zeitraum bis und bis , einen Nachweis über die bestandene Deutschprüfung (Modul A2) vom , einen Mietvertrag, eine Versicherungsbestätigung und einen Auszug aus dem Gewerberegister beigelegt.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark habe in ihrer Stellungnahme vom ausgeführt, dass "die Erlassung einer Ausweisung nach wie vor im Sinne von § 66 FPG und aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zulässig wäre". "Dies" sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom zur Wahrung des Parteiengehörs mitgeteilt und "neuerlich" auf die erforderliche Absicherung in unterhaltsrechtlicher Hinsicht hingewiesen worden. Dem Beschwerdeführer sei explizit mitgeteilt worden, dass "entsprechende Unterhaltsnachweise in der Höhe von EUR 783,99 monatlich erforderlich wären" und darüber hinaus der Grad der Integration, die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung und auch die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen wären. Der Beschwerdeführer habe daraufhin mit Stellungnahme vom "auf die Antragsbegründung verwiesen, dh. auf die selbständige Erwerbstätigkeit und die Adoption durch die österreichische Schwester".

In ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde zwar davon aus, dass die von § 44 Abs. 4 NAG geforderten Aufenthaltszeiten vorlägen, hielt aber fest, dass bei mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit und damit Nichtvorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG die Erteilung der beantragten Niederlassungsbewilligung von vornherein ausgeschlossen sei. Der Beschwerdeführer sei selbständig tätig, jedoch würden für die belangte Behörde die von ihm vorgelegten Salden-Listen des Bilanzbuchhalters nicht ausreichend erscheinen, um einen entsprechenden gesicherten Unterhalt jedenfalls annehmen zu können. Abgesehen von der Tatsache, dass auch der Versicherungsdatenauszug nicht bezahlte Beträge im Rahmen der Sozialversicherung aufweise, wären für den Nachweis der erforderlichen Unterhaltsvoraussetzungen entsprechende Steuererklärungen bzw. Steuerbescheide von Nöten gewesen, um die tatsächliche finanzielle Situation des Beschwerdeführers einschätzen zu können. Zudem seien im Rahmen des Parteiengehörs keine aktuellen Nachweise der letzten Monate "dargelegt" worden. Damit habe der Beschwerdeführer seine Selbsterhaltungsfähigkeit "keinesfalls initiativ untermauern" können.

Dessen ungeachtet sei aber auch eine besondere Berücksichtigungswürdigkeit des gegenständlichen Falles nicht gegeben. Der Beschwerdeführer sei zwar zweifelsohne bemüht, entsprechende Einkünfte zu erzielen, jedoch habe er "eine besondere schulische oder berufliche Ausbildung" nicht dargelegt. Zwar sei ein entsprechendes Deutschzeugnis nachgereicht worden, dabei "würdige" die belangte Behörde "jedoch die Tatsache", dass dieses "erst im Rahmen der Antragstellung nach über neunjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet erzielt" worden sei und offensichtlich erst im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung die Motivation bestanden habe, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen. Im Hinblick auf die "behauptete Adoption" durch die um acht Jahre ältere Schwester und "deren" (gemeint: seinem) Schwager sei bereits "im Rahmen der seinerzeitigen Einvernahmen" festgestellt worden, dass es sich diesbezüglich um eine "offensichtliche Aufenthaltsadoption bzw. Umgehungshandlung gehandelt haben dürfte", um dem Beschwerdeführer ein entsprechendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides im Mai 2011 das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010 und der KM BGBl. I Nr. 16/2011 anzuwenden ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich unter anderem gegen die Verfahrensführung der belangten Behörde und macht in diesem Zusammenhang geltend, die belangte Behörde gehe infolge mangelhafter Verfahrensführung von unrichtigen Sachverhaltsvoraussetzungen aus, was zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung geführt habe. Insbesondere verwehrt sich der Beschwerdeführer dagegen, dass er seine Selbsterhaltungsfähigkeit nicht nachgewiesen habe und rügt, dass ihm die belangte Behörde zu keinem Zeitpunkt die später im angefochtenen Bescheid als erforderliche und zu erbringende Beweismittel genannten Steuerbescheide zum Nachweis seines Einkommens abverlangt hätte.

Die Beschwerde ist damit im Recht.

Zwar räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom die Möglichkeit ein, im Verwaltungsverfahren eine Stellungnahme abzugeben. Sie nahm dabei Bezug auf die von ihr eingeholte Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark betreffend die Beurteilung, ob eine Ausweisung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gegen den Beschwerdeführer zulässig wäre. Von welchen konkreten Sachverhaltsannahmen die belangte Behörde auf Grund ihrer bisherigen Erhebungen ausging, legte sie im Weiteren gegenüber dem Beschwerdeführer in ihrem Schreiben nicht offen, sondern verwies neben einer Aufzählung der in § 44 Abs. 4 NAG genannten Kriterien begründungslos darauf, dass ihrer Ansicht nach die Selbsterhaltungsfähigkeit, welche sich an einem Unterhaltsbetrag in der Höhe von EUR 793,40 orientiere, nicht vorliege. Gegen diese Einschätzung wehrte sich der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom , in der er auf sein ausführliches Begleitschreiben zu seinem Antrag verwies, in welchem er seine Einkommenssituation dargelegt hatte und dort ein von der belangten Behörde unwidersprochen gebliebenes monatliches Durchschnittseinkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit in der Höhe von EUR 2.500,- ins Treffen geführt hatte. Nachdem er von der belangten Behörde mit Schreiben vom aufgefordert worden war, seinen vorerst nur schriftlich eingebrachten Antrag persönlich einzubringen und dabei auch unter anderem "Einkommensnachweise (eventuell Einstellungszusage)" mitzubringen, hatte der Beschwerdeführer auch die im angefochtenen Bescheid erwähnten Auszüge aus der Bilanzbuchhaltung seines Unternehmens vorgelegt.

Warum die belangte Behörde trotz der Vorlage dieser Einkommensnachweise nicht das Vorliegen der vom Gesetz geforderten Unterhaltsmittel des Beschwerdeführers annahm, lässt sich aus der Bescheidbegründung nicht nachvollziehbar ableiten. Soweit die belangte Behörde die vorgelegten Bilanzauszüge als keinen ausreichenden Nachweis eines gesicherten Unterhalts erachtete, und stattdessen dafür lediglich Steuerbescheide bzw. Steuererklärungen für geeignet hielt, werden einerseits letztere in der NAG-Durchführungsverordnung (vgl. § 7 Abs. 1 Z 7 NAG-DV) nicht als verpflichtend beizubringende Unterlagen angeführt; andererseits begründet die belangte Behörde nicht, warum die vorgelegten Nachweise aus ihrer Sicht nicht ausreichend seien. Wenn sie darüber hinaus dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid vorwirft, er habe "im Rahmen des Parteiengehörs" keine aktuellen Nachweise "der letzten Monate" vorgelegt, hat sie es verabsäumt, den Beschwerdeführer zur Vorlage von aktuelleren (als die bereits vorgelegten) Nachweisen - wie übrigens auch von Steuerbescheiden bzw. -erklärungen - aufzufordern; in dem von der belangten Behörde offenbar angesprochenen Schreiben an den Beschwerdeführer zur Wahrung des Parteiengehörs vom wird eine solche Vorlage jedenfalls nicht eingefordert. Sie hat damit den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel behaftet.

Der angefochtene Bescheid erweist sich nach dem Gesagten daher schon deshalb als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Für das fortgesetzte Verfahren wird noch angemerkt, dass sich die von der belangten Behörde getroffene Feststellung, wonach die mit Beschluss des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom erfolgte Adoption des Beschwerdeführers durch seine Schwester und deren Ehemann "offensichtlich" eine Aufenthaltsadoption gewesen sein "dürfte", als bloß spekulative Annahme erweist, weil sie ohne weitere Erhebungen und nähere beweiswürdigende Überlegungen aufgestellt und daher nicht tragfähig begründet wurde; im Übrigen ist sie auch nicht ohne weiteres mit den Ausführungen im Adoptionsbeschluss in Einklang zu bringen. Der belangten Behörde ist zwar dahingehend Recht zu geben, dass im Rahmen der Beurteilung, ob ein Aufenthaltstitel gemäß § 44 Abs. 4 NAG zu erteilen sei, eine Prüfung, ob dies im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sei, zu unterbleiben hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0255, mwH), doch können familiäre Bindungen im Bundesgebiet im Hinblick auf die Beurteilung der Integration eines Beschwerdeführers eine Rolle spielen und sind daher zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz des Verhandlungsaufwandes gerichtete Mehrbegehren war deshalb abzuweisen, weil gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG keine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde.

Wien, am

Fundstelle(n):
AAAAE-92456