VwGH vom 05.05.2017, Ra 2015/02/0107
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und den Hofrat Mag. Dr. Köller, sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des M in A, vertreten durch Dr. Alexander Pflaum, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rechte Bahngasse 10/19D, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-467/001-2014, betreffend Übertretung des Tierschutzgesetzes (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe am "in den Abendstunden, jedenfalls vor 20.00 Uhr" auf einer bestimmten Weidefläche eines näher bezeichneten landwirtschaftlichen Anwesens entgegen der Bestimmung des § 6 Abs. 4 Tierschutzgesetz (TschG) ein Wirbeltier, nämlich eine näher bezeichnete Kuh, "die nicht aufstehen wollte und eine vermeintliche Schussverletzung an der linken Seite sichtbar war" mit seiner Jagdwaffe durch einen Schuss getötet, obwohl er kein Tierarzt sei "und dies den Tierärzten vorbehalten ist und die Ausnahmeregelungen des § 6 Tierschutzgesetz (welche wären:
fachgerechte Tötung von ldw. Nutz- und Futtertieren, fachgerechte Tötung im Rahmen der Aus- Fort- und Weiterbildung; fachgerechte Schädlingsbekämpfung, rasche Tötung unbedingt erforderlich um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen)" nicht zugetroffen hätten. Wegen Übertretung des § 6 Abs. 4 iVm § 38 Abs. 1 Z 2 TSchG wurde über den Revisionswerber eine Strafe von EUR 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt und er zum Kostenbeitrag im Verwaltungsstrafverfahren verpflichtet.
2 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gab der gegen diesen Strafbescheid erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom keine Folge, verpflichtete den Revisionswerber zum Kostenbeitrag im Beschwerdeverfahren und sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Begründend gab das Verwaltungsgericht den Spruchinhalt des bekämpften Straferkenntnisses, der dagegen erhobenen Beschwerde, sowie wörtlich den Inhalt des Protokolls der am abgehaltenen Beschwerdeverhandlung wieder und stellte sodann fest, nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens sei als erwiesen anzusehen, dass der Revisionswerber als Jagdaufseher im Eigenjagdgebiet T. bereits am Kenntnis davon erlangt habe, dass ein befreundeter, namentlich genannter Jäger (T.), den er selbst auf Wildschweine "angesetzt" habe, bei der Jagdausübung eine Weidekuh erlegt habe. Am sei der Revisionswerber von "DI P (...)" (Anmerkung: einem Jäger, welcher zum Tatzeitpunkt für die forstliche Betreuung des Eigenjagdgebietes T. zuständig gewesen war) verständigt worden, dass eine weitere Kuh verletzt worden sei und dass der Schütze T. insgesamt drei Schüsse abgegeben habe. Das Verwaltungsgericht sehe es als erwiesen an, dass der Revisionswerber vom Eigentümer "im Wege" des DI P. zu Mittag des davon verständigt worden sei, dass die namentlich genannte Kuh D. zu töten sei; dieser Aufforderung sei der Revisionswerber "in den Abendstunden vor 20.00 Uhr" nachgekommen.
4 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, es ginge "hier um die Frage, ob der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt beurteilen konnte, ob die gegenständliche Kuh (...) durch die Schussverletzung zwei Tage vorher durch den Schützen (...) nicht behebbare Qualen erlitt, die eine rasche Tötung durch den Beschwerdeführer im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 rechtfertigen". Diese Frage sei auf sachkundiger Ebene zu klären gewesen, weil es nach dem Gesetzeswortlaut darauf ankomme, dass beim Tier unbehebbare Qualen vorlägen, die eine rasche Tötung unbedingt erforderlich machten. Der Beschuldigte sei bereits am frühen Nachmittag vom schweren Leiden der Kuh verständigt und angewiesen worden, diese zu erschießen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei dem Revisionswerber offensichtlich klar gewesen, dass er das Tier nach seinen Erledigungen im Revier erschießen werde, wenn dieses bis dahin nicht aufgestanden sei. Der dem Verfahren beigezogene Amtssachverständige habe eindeutig festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung durch den näher genannten Zeugen ein Veterinär beigezogen hätte werden müssen, um den Tier allenfalls medizinische Hilfe zu leisten oder dieses zu euthanasieren.
Weiters führte das Verwaltungsgericht Folgendes aus: "Wenngleich zum Zeitpunkt der Tat in der Dunkelheit dann feststand, dass die Kuh nicht mehr zu retten sei, hätte auch der unmittelbare Täter sich zumindest früher vom Zustand der Kuh überzeugen müssen, um ihr eben stundenlanges weiteres Leiden entweder durch Erschießen oder durch Beiziehung veterinärmedizinischer Versorgung zu ersparen". Die Beweiswürdigung der Verwaltungsstrafbehörde begegne keinen Bedenken, weil der Revisionswerber im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben habe, in den Nachmittagsstunden vom Zustand der Kuh verständigt worden zu sein. Dass die Schussverletzung zunächst in ihrer Schwere noch nicht ersichtlich gewesen sei, sei durch die Angaben des näher genannten Zeugen und des Tierbesitzers erwiesen, welche angegeben hätten, dass die Kuh noch einmal aufgestanden sei. Der Tierbesitzer habe allerdings schon zu diesem Zeitpunkt vermutet, dass "sie nicht mehr werden wird", sodass nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes die Beiziehung eines Veterinärs jedenfalls erforderlich gewesen wäre, "um die gesetzlich geforderte Beurteilung vorzunehmen". Indem der Revisionswerber im Bewusstsein, dass das Tier schwer verletzt sei, noch Stunden zugewartet habe, bis er es getötet habe, habe er die gegenständliche Verwaltungsübertretung zu verantworten. Die gemäß § 227 StPO erfolgte Einstellung des gerichtlichen Strafverfahrens gegen den Revisionswerber könne weiters keine Sperrwirkung vor das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren entwickeln; für die Verwirklichung der Übertretung des § 38 TSchG reiche darüber hinaus Fahrlässigkeit aus.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig dahingehend abändern, dass der Beschwerde Folge gegeben, das bekämpfte Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt werde, in eventu möge er das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufheben.
6 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete ein als Revisionsbeantwortung bezeichnetes Schreiben, in welchem sie auf den bisherigen Aktenlauf sowie auf den bezughabenden Gerichtsakt des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich verwies.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 § 6 Abs. 1 und 4 TSchG, BGBl. I Nr. 118/2004, sowie § 38 Abs. 1 Z 2 TSchG, in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 61/2017 lauten:
"Verbot der Tötung
§ 6. (1) Es ist verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten.
(...)
(4) Unbeschadet der Verbote nach Abs. 1 und 2 darf das wissentliche Töten von Wirbeltieren nur durch Tierärzte erfolgen.
Dies gilt nicht
1. für die fachgerechte Tötung von landwirtschaftlichen
Nutztieren und von Futtertieren (§ 32),
2. für die fachgerechte Tötung von Tieren im Rahmen der Aus-
, Fort- und Weiterbildung gemäß Abs. 3,
3. für die fachgerechte Schädlingsbekämpfung,
4. in Fällen, in denen die rasche Tötung unbedingt
erforderlich ist, um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen."
"Strafbestimmungen
§ 38. (1) Wer
(...)
2. ein Tier entgegen § 6 tötet oder
(...)
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit einer Geldstrafe bis zu 7 500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15 000 Euro zu bestrafen."
9 Die Materialien zu § 6 TSchG (Erl zur RV 446 BlgNR, 22. GP) führen zu dessen Abs. 4 (sowie dem im Revisionsfall nicht relevanten Abs. 3) Folgendes aus:
"Das wissentliche Töten von Wirbeltieren bleibt grundsätzlich dem Tierarzt vorbehalten, um die fachkundige und tierschutzgerechte Tötung sicherzustellen. Wissentlich erfolgt (unter Zugrundelegung der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 StGB betreffend die Vorsatzform der Wissentlichkeit) das Töten dann, wenn die tötende Person den Tod des Tieres nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiss hält.
Vom Tierärztevorbehalt ausgenommen sind nur die fachgerechte Tötung von landwirtschaftlichen Nutztieren und von Futtertieren sowie die fachgerechte Schädlingsbekämpfung. Aber auch in Fällen (zB Unfälle, Naturkatastrophen), in denen die rasche Tötung unbedingt erforderlich ist, um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen, darf eine Person, die kein Tierarzt ist, Wirbeltiere wissentlich töten. Schließlich ist auch die fachgerechte Tötung von Tieren im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung gemäß Abs. 3 nicht Tierärzten vorbehalten. Zoologen mit entsprechender Zusatzqualifikation und Humanmediziner sind ebenso wie das Personal von Schlachthöfen in der Lage, ein Wirbeltier fachgerecht zu töten.
Allerdings ist die Tötung von Tieren zu Demonstrationszwecken im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung - wie etwa auch im deutschen Tierschutzgesetz (§ 10) - auf jene Fälle zu beschränken, in denen der angestrebte und gerechtfertigte Zweck nicht durch Alternativmethoden erreicht werden kann."
10 Der Revisionswerber bringt zum Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG unter anderem vor, zu § 6 Abs. 4 Z 4 TSchG liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Das Verwaltungsgericht habe eine falsche Rechtsfrage formuliert; eine über §§ 9 bzw. 15 TSchG hinausgehende Verpflichtung Dritter zur Beiziehung eines Tierarztes sei aus § 6 Abs. 4 Z 4 TSchG nicht abzuleiten. Die Revision ist aus den in der Zulässigkeitsbegründung dargelegten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.
11 Das Verwaltungsgericht traf im angefochtenen Erkenntnis ua. die Feststellung, zum Zeitpunkt der Tat sei festgestanden, dass die Kuh nicht mehr zu retten sei ("Wenngleich zum Zeitpunkt der Tat in der Dunkelheit dann feststand, dass die Kuh nicht mehr zu retten sei (...)"). Im Hinblick auf die Ausführungen des veterinärfachlichen Amtssachverständigen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach der Aussage eines Zeugen folgend "das Tier bis zum Abend unbehebare Qualen dulden musste", begegnet diese beweiswürdigende Feststellung des Verwaltungsgerichtes keinen Bedenken durch den Verwaltungsgerichtshof.
12 Die rechtliche Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes jedoch, über den Revisionswerber sei daher wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 4 TSchG eine Verwaltungsstrafe nach § 38 Abs. 1 Z 2 leg. cit. zu verhängen, erweist sich gerade auf der Grundlage dieser für den Revisionsfall relevanten, konkreten Sachverhaltsfeststellung durch das Verwaltungsgericht als nicht gesetzeskonform.
13 Anders als das Verwaltungsgericht offenbar vermeint, ist für das konkrete Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung des § 6 Abs. 4 TSchG nämlich weder maßgeblich, ob der Revisionswerber sich "früher vom Zustand der Kuh überzeugen (hätte) müssen, um ihr (...) weiteres Leiden entweder durch Erschießen oder durch Beiziehung veterinärmedizinischer Versorgung zu ersparen", noch, ob der Revisionswerber "im Bewusstsein, dass das Tier schwer verletzt ist, noch Stunden zugewartet hat, bis er es schlussendlich getötet hat". Vielmehr stellt die - die Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 4 TSchG ausschließende - Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 4 Z 4 leg. cit. ausschließlich auf den Tatzeitpunkt ab und setzt bereits nach dem Gesetzeswortlaut (nur) voraus, dass - zum angelasteten Tatzeitpunkt - eine rasche Tötung des Tieres unbedingt erforderlich war, um dem Tier nicht behebbare Qualen zu ersparen.
14 Auch die Gesetzesmaterialien zu § 6 Abs. 4 TSchG legen eine andere Auslegung der in Rede stehenden Bestimmung nicht nahe. Aus dem durch den veterinärfachlichen Amtssachverständigen festgestellten Umstand in den Abendstunden des (nämlich zum Zeitpunkt der Tötung der Kuh durch den Revisionswerber) musste das Tier unbehebbare Qualen erdulden und aus der darauf aufbauenden, insoweit nicht zu beanstandenden Feststellung durch das Verwaltungsgericht, zum Zeitpunkt der Tat sei festgestanden, dass die Kuh nicht mehr zu retten sei, ist die rechtliche Schlussfolgerung zu ziehen, dass gerade auf der Grundlage dieses durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes im vorliegenden Fall die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 4 Z 4 TSchG zum Tragen kommt.
15 Da das Verwaltungsgericht insoweit der Bestimmung des § 6 Abs. 4 Z 4 TSchG einen unrichtigen Inhalt unterstellte und auf Grundlage dieser falschen rechtlichen Beurteilung im Revisionsfall trotz des - alleine maßgeblichen - festgestellten Sachverhaltes, dass die Kuh zum Tatzeitpunkt wegen nicht behebbarer Qualen nicht mehr zu retten war, von einer Strafbarkeit des Revisionswerbers gemäß § 6 Abs. 4 TSchG iVm § 38 Abs. 1 Z 2 leg. cit. ausging, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
16 Dazu kommt, dass das Verwaltungsgericht jegliche Feststellungen zu der Frage unterlassen hat, ob angesichts des konkreten Sachverhaltes im Revisionsfall die die Strafbarkeit ebenfalls ausschließende Bestimmung des § 6 Abs. 4 Z 1 TSchG zur Anwendung zu bringen gewesen wäre.
17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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