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VwGH 13.09.2011, 2011/22/0166

VwGH 13.09.2011, 2011/22/0166

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
RS 1
Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005 darf nach Erlassung einer Ausweisung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK nicht erforderlich ist; dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Neubeurteilung den Antrag letztlich zum Erfolg führt oder nicht (Hinweis E vom , 2011/22/0127). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob sich bis zur Entscheidung durch die erstinstanzliche Niederlassungsbehörde der Sachverhalt im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Fremden maßgeblich geändert hatte, war die Rechtskraft der Ausweisung mit der Zustellung des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates. Daran ändert nichts, dass gegen die Ausweisung Beschwerde beim VwGH erhoben und dieser die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, zumal für die Entscheidung des VwGH stets die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblich ist.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des J L in W, geboren am , vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 157.038/2-III/4/11, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines sudanesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am illegal nach Österreich eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt. Dieser sei am gemäß § 68 AVG zurückgewiesen worden. Am sei dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen. Am sei der Beschwerdeführer abermals illegal in das Bundesgebiet eingereist. Der einen Tag später gestellte Asylantrag sei "am gemäß § 68 AVG rechtskräftig zurückgewiesen" worden; gleichzeitig sei die mit Bescheid vom ausgesprochene Ausweisung des Beschwerdeführers in Rechtskraft erwachsen.

Am habe er persönlich den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG gestellt. Dem Antrag seien Unterlagen betreffend das Asylverfahren seiner Lebensgefährtin R. und ihrer drei Kinder, die Vaterschaftsanerkennung der (am geborenen) Zwillinge sowie eine Bestätigung über die Unterkunft in einem Flüchtlingsheim und die finanzielle Unterstützung der Familie aus dem "Fonds Soziales Wien" beigelegen. Dieser Antrag sei von der erstinstanzlichen Behörde zurückgewiesen worden, weil gegen den Beschwerdeführer seit dem "rechtskräftig eine Ausweisung besteht". In der dagegen erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer eingewendet, dass sich der Sachverhalt dahingehend geändert hätte, dass er mittlerweile Vater von drei Kindern wäre. Seine Zwillinge wären am geboren worden; er lebte mit seiner Lebensgefährtin und den drei Kindern im gemeinsamen Haushalt. Am habe der Beschwerdeführer außerdem ein Sprachdiplom auf der Niveaustufe "A2" vorgelegt.

Die belangte Behörde führte dazu weiter aus, dass der Beschwerdeführer die Vaterschaftsanerkennung nur für die Zwillinge vorgelegt habe. Des Weiteren seien "die Begründung der Lebensgemeinschaft und die Familiengründung" zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem er und seine Lebensgefährtin sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen seien. "Daher" seien "dies keine Angaben, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt (im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG) zu konkretisieren".

Eine "wirtschaftliche bzw. berufliche Integrität" habe der Beschwerdeführer ebenfalls nicht nachweisen können. Die bloße Aufenthaltsdauer allein vermöge kein individuelles Bleiberecht zu vermitteln, vielmehr wäre es unerlässlich gewesen, auch sonstige Integrationsschritte zu erbringen.

Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers sei im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens nicht erkennbar, dass in der Zeit von der rechtskräftigen Ausweisung vom bis zur Entscheidung der erstinstanzlichen Niederlassungsbehörde ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre. Darüber hinaus habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Stellungnahme vom festgestellt, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers auf Dauer zulässig sei.

Die Zurückweisung des Antrages durch die Behörde erster Instanz werde somit bestätigt; eine materielle Entscheidung der belangten Behörde über den Antrag sei nicht möglich, weil von ihr nur geprüft werde, ob die Zurückweisung des Antrages korrekt erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

§ 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 NAG (samt Überschrift; in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 29/2009) lauten:

"Niederlassungsbewilligung - beschränkt

§ 44. …

(3) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

...

§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a vor, sind Anträge gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn

1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder

2. rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend (§ 10 AsylG 2005, § 66 FPG) unzulässig ist, oder

3. die Sicherheitsdirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in der Stellungnahme festgestellt hat, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt."

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, dass der Beschwerdeführer vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom - in Erledigung der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom - rechtskräftig ausgewiesen wurde, wogegen er Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhob. Der Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom aufschiebende Wirkung zuerkannt, mit Beschluss vom , Zl. 2006/01/0555, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Eine rechtskräftige Ausweisung des Beschwerdeführers lag bereits mit der Zustellung des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom vor, da dieser nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden konnte (vgl. zum Begriff der Rechtskraft etwa Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5 (2009) 233 f). Bezogen auf diesen Zeitpunkt war daher die Frage zu beurteilen, ob sich bis zur Entscheidung durch die erstinstanzliche Niederlassungsbehörde der Sachverhalt im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers maßgeblich geändert hatte. Daran ändert nichts, dass gegen die Ausweisung Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben und dieser die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, zumal für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes stets die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblich ist, zwischenzeitig eingetretene Änderungen im Sachverhalt also im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden können (vgl. § 41 VwGG).

In Verkennung der Rechtslage ist die belangte Behörde hingegen davon ausgegangen, dass eine rechtskräftige Ausweisung erst mit (nach Abschluss des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof) vorgelegen sei, weshalb sie die in der Zeit zwischen der Zustellung des letztinstanzlichen Ausweisungsbescheides und dem genannten Zeitpunkt eingetretenen Sachverhaltsänderungen - insbesondere die Aufnahme eines Familienlebens des Beschwerdeführers mit seiner Lebensgefährtin und die Geburt von zwei Kindern - von vornherein nicht als maßgeblich angesehen hat.

Soweit die belangte Behörde das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dennoch - wie oben wiedergegeben - einer (kursorischen) inhaltlichen Bewertung unterzogen hat, lässt sich das nicht mit der von ihr ausgesprochenen Antragszurückweisung in Einklang bringen. Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG darf nämlich nach Erlassung einer Ausweisung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist; dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Neubeurteilung den Antrag letztlich zum Erfolg führt oder nicht (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0127).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die in den Pauschalbeträgen bereits enthaltene, in der Beschwerde allerdings zusätzlich begehrte Umsatzsteuer.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2011:2011220166.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAE-92427