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VwGH vom 25.04.2014, Ro 2014/21/0039

VwGH vom 25.04.2014, Ro 2014/21/0039

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des L V in R, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-AB-11-0131, betreffend Aufenthaltsverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom erließ die Bezirkshauptmannschaft Melk (im Folgenden: BH) gegen den Revisionswerber, einen rumänischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (in der Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Dem lagen folgende Feststellungen zugrunde:

"Sie wurden am vom Landesgericht St. Pölten zur Zahl xxx wegen Verbrechen nach den §§ 12 dritter Fall, 127, 129 Ziff. 2, 130 zweiter und vierter Fall, § 15 StGB (Gewerbsmäßiger Diebstahl und Diebstahl im Rahmen einer kriminellen Vereinigung) zu einer unbedingten Haftstrafe im Ausmaß von 14 Monaten rechtskräftig verurteilt. Die Gründe für die Verurteilung können Sie dem Gerichtsurteil entnehmen."

Weiter führte die BH aus, dass die Behörde im Zuge der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu beurteilen habe, ob der Aufenthalt des Fremden gemäß § 86 Abs. 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Z 1 FPG die öffentliche Ordnung und/oder Sicherheit gefährde. Auf Grund der vom Revisionswerber gezeigten Verhaltensweise im Bundesgebiet sei zweifellos die Annahme gerechtfertigt, dass sein weiterer Aufenthalt im Schengen-Raum eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle sowie den öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Deshalb sei auch der einmonatige Durchsetzungsaufschub gemäß § 86 Abs. 3 FPG nicht zu gewähren gewesen.

Es sei jedenfalls die Schlussfolgerung zulässig, dass durch den Aufenthalt des Revisonswerbers in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet des Fremdenwesens, schwer gefährdet werde und die Gefährdungsprognose daher zu seinem Nachteil vorgenommen werden müsse. Daher sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch unter Zugrundelegung des § 86 Abs. 1 FPG "zulässig und geradezu geboten".

Hinsichtlich der privaten und familiären Bindungen des Revisionswerbers zu Österreich sei bekannt, dass von seinen Verwandten lediglich seine Schwester in Österreich lebe; seine Verlobte lebe in Niederösterreich. Der Revisionswerber halte sich seit 2006 im Bundesgebiet auf.

Daher würden die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation gemäß § 66 FPG als nicht schwerwiegender beurteilt als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Die "allfälligen Privatinteressen" des Revisionswerbers an einem Weiterverbleib in Österreich hätten daher eindeutig hinter den genannten öffentlichen Interessen zurückzutreten. Diese Überlegungen würden auch für die Beurteilung des Ermessensspielraumes nach § 60 Abs. 1 FPG gelten. Über die Beurteilung nach § 66 FPG hinaus könne die Behörde keine günstigen Parameter erblicken, wonach die Ermessensbestimmung zu Gunsten des Revisionswerbers anzuwenden wäre.

Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Berufung an die belangte Behörde. Er führte aus, dass er seit 2006 in Österreich aufhältig sei, bei seiner Schwester gelebt habe und vier Jahre lang im Restaurant B. als Küchenhilfe beschäftigt gewesen sei. Nach seiner Haftentlassung könne er laut einer Bestätigung seiner Chefin wieder arbeiten. Er könne mit seiner Verlobten zusammenleben. Er habe Kredit- und Leasingschulden, die er gerne abtragen würde.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit Folge, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf fünf Jahre herabgesetzt wurde.

In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst wörtlich den erstinstanzlichen Bescheid und die Berufung wieder. Hinsichtlich des Sachverhaltes verwies sie sodann - ausschließlich - auf die "zutreffenden Sachverhaltsdarstellungen" des erstinstanzlichen Bescheides.

In rechtlicher Hinsicht führte sie aus, dass sie die Rechtslage nach dem FrÄG 2011 anzuwenden habe. In der Folge gab sie die §§ 1, 2, 65 und 67 FPG in der genannten Fassung wieder.

Die daran anschließende Beurteilung lautet nur mehr wie folgt:

"Im vorliegenden Fall ist der dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zugrundeliegende Sachverhalt durch die Ergebnisse des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens sowie durch die nach der Aktenlage getroffenen Tatsachenfeststellungen zweifelsfrei erwiesen.

Der BW ist unstrittig EWR-Bürger.

Wie sich aus den hier anzuwendenden Bestimmungen des § 67 FPG i. d.g.F. ergibt, kann bei der hier erwiesenen Sachverhaltslage ein Aufenthaltsverbot von höchstens 10 Jahren verhängt werden, keinesfalls jedoch ein solches mit unbefristeter Dauer. Aufgrund der gefährdungsrelevanten Vorgeschichte des BW und dem hieraus abgeleiteten persönlichen Verhalten konnte die Dauer des Aufenthaltsverbotes mit fünf Jahren neu bestimmt werden.

Der Berufung des (Revisionswerbers) war aus den genannten Gründen teilweise Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden."

Dieser Bescheid wurde dem Revisionswerber am zugestellt. Die in § 26 Abs. 1 VwGG (in der Fassung vor dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013) normierte sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den genannten Bescheid lief daher mit Ende des noch, und es wurde bis zu diesem Zeitpunkt keine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben. Für diese Konstellation ordnet § 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) an, dass bis zum Ablauf des in sinngemäßer Anwendung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden kann. Davon wurde mit der vorliegenden, am eingebrachten Revision Gebrauch gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision nach deren Verbesserung und nach Aktenvorlage - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

1. Die gegenständliche Revision wäre gemäß dem zweiten Satz des § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG unzulässig, falls die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorlägen. Nach dem vierten Satz des § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen, ob diese Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind. Das ist (nur) dann der Fall, wenn die Entscheidung über die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gemäß § 4 Abs. 5 fünfter Satz VwGbk-ÜG gelten für die Behandlung einer solchen "Übergangsrevision" die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG (in der genannten Fassung) die Revision bei Fehlen der genannten Voraussetzungen als unzulässig zurückgewiesen werden kann.

Vorauszuschicken ist noch, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung im Dezember 2013 zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die Fassung des FrÄG 2011.

2. Der Revisionswerber führt zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aus, dass er - ebenso wie seine rumänische Ehefrau (mit der er seit dem verheiratet sei) - Unionsbürger sei. Es sei daher die Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) maßgeblich, nach welcher der Aufenthalt eines Unionsbürgers zwar beschränkt werden könne, wofür aber ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sei und eine strafrechtliche Verurteilung allein nicht ohne weiteres eine aufenthaltsbeendende Maßnahme begründen könne. Gerade die unionsrechtlichen Bestimmungen schützten in hohem Maße das Zusammenleben von Familien, zumal dem Revisionswerber als Unionsbürger nicht nur ein abgeleitetes, sondern auch ein originäres Aufenthaltsrecht zukomme.

Damit zeigt der Revisionswerber insofern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, als die belangte Behörde - wie im Folgenden darzustellen sein wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den (innerstaatlich in § 67 FPG geregelten) Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot gegenüber (u.a.) Unionsbürgern abgewichen ist.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/21/0197, und vom , Zl. 2012/23/0042, mwN).

Die belangte Behörde hat keinerlei Feststellungen zu dem der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Verhalten des Revisionswerbers getroffen; auch dem erstinstanzlichen Bescheid lassen sich solche Feststellungen nicht entnehmen. Von einer nachvollziehbaren Darstellung der Gefährdungsannahme im Sinn der zitierten Rechtsprechung kann daher keine Rede sein.

Außerdem hat die belangte Behörde keine Interessenabwägung nach § 61 FPG vorgenommen. Bei dieser hätte sie sich insbesondere mit den in der Berufung vorgebrachten Aspekten (persönliche und familiäre Bindungen, Berufstätigkeit), auf die auch die Revision zurückkommt, auseinanderzusetzen gehabt.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Übergangsfälle" gemäß § 3 Z 1 iVm § 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am