VwGH vom 10.12.2013, 2011/22/0144
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der N, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 151.443/4-III/4/10, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid gab die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 21 Abs. 3 Z 2 und § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) der Berufung der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen des Iran, gegen die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels statt und erteilte einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" für die Dauer von zwölf Monaten.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe zuletzt über einen bis (das war ein Sonntag) gültigen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" verfügt, jedoch erst am einen Verlängerungsantrag eingebracht und am selben Tag bei der erstinstanzlichen Behörde einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG mit der Begründung gestellt, dass die Beschwerdeführerin Mitte Jänner 2010 in den Iran geflogen sei, um ihre an Diabetes und den Folgekrankheiten leidende Mutter zu unterstützen. Die Beschwerdeführerin habe angekündigt, Flugtickets und Nachweise über die Krankheit ihrer Mutter nachzureichen. (Dieser von der erstinstanzlichen Behörde zu Protokoll genommene Antrag hat nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten folgenden Wortlaut:
"Ich bin ca. Mitte Jänner in den Iran geflogen um meine, an Diabetes und den Folgekrankheiten, leidende Mutter zu unterstützen. Ich kehrte am nach Österreich mit dem Flugzeug zurück (Stempel über meine Ausreise aus dem Iran sind der Kopie des Reisepasses zu entnehmen). Flugtickets und Nachweise über die Krankheit meiner Mutter werde ich nachreichen. Auf Grund der Schwere der Erkrankung meiner Mutter, eine Amputation der Beine stand und steht noch im Raum, dachte ich nicht an die Verlängerung meines Aufenthaltstitels sondern war auf Grund der angespannten Gesundheitssituation meiner Mutter emotional weiterhin sehr aufgebracht. Auf Grund der dargebrachten Vorliegen stelle ich hiermit einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG und ersuche um Zulassung zur Antragstellung im Inland, da eine neuerliche Reise in den Iran mich von meinem Ehegatten trennen würde, was in meinem jetzigen Gefühlszustand ein erhebliches Problem ist.")
Am - so die belangte Behörde in ihrer weiteren Begründung im angefochtenen Bescheid - habe die Beschwerdeführerin unter anderem ein Flugticket sowie nicht in die deutsche Sprache übersetzte und nicht notariell beglaubigte medizinische Bestätigungen vorgelegt. Aus dem Flugticket sei ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin am (das war ein Samstag) aus dem Iran nach Österreich zurückgekehrt sei und dennoch ihren Antrag erst am eingebracht habe. Dem gesamten Verwaltungsakt seien keine Unterlagen in deutscher Sprache über den Gesundheitszustand der Mutter der Beschwerdeführerin zu entnehmen.
(Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Niederlassungsbehörde erster Instanz die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigte und darin u.a. ausführte: "Aufgrund der erst kürzlich erfolgten Wiedereinreise am und trotz des Schicksals Ihrer Mutter, ist eine Ausreise und damit verbundene Erstantragstellung im Ausland zulässig und zumutbar.")
Die belangte Behörde führte weiter aus, erst Anfang Mai 2010 habe die Beschwerdeführerin die Erstbehörde von ihrer eigenen Erkrankung in Kenntnis gesetzt, welche sie am rechtzeitigen Einbringen eines Verlängerungsantrages gehindert hätte.
Die Niederlassungsbehörde erster Instanz habe den Verlängerungsantrag der Beschwerdeführerin als verspätet eingebracht, somit als Erstantrag gewertet und wegen unzulässiger Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen.
Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung prüfte die belangte Behörde zur Frage der Rechtzeitigkeit des Verlängerungsantrages § 24 Abs. 2 NAG und führte aus, dem gesamten Verwaltungsakt seien keine Unterlagen in deutscher Sprache über den Gesundheitszustand der Mutter der Beschwerdeführerin zu entnehmen. Die Erkrankung der Mutter der Beschwerdeführerin hätte deren Reise in den Iran erfordern und ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen können, doch sei das Buchen eines Rückflugtickets im Verantwortungsbereich der Beschwerdeführerin gelegen und sie hätte die Reise nach Wien auch früher antreten können. Daran vermöge auch eine ärztliche Bestätigung über die Erkrankung der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, weil anzunehmen sei, dass diese Bestätigung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Angaben der Beschwerdeführerin basierend ausgestellt worden sei. Ihr wäre es sohin möglich gewesen, den Antrag bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Aufenthaltstitels einzubringen, weshalb das als Verlängerungsantrag eingebrachte Ansuchen als Erstantrag zu werten sei.
In weiterer Folge führte die belangte Behörde aus, weshalb dem Zusatzantrag der Beschwerdeführerin, die Antragstellung im Inland zuzulassen, gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG stattzugeben gewesen sei. Da die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren die Verwirklichung eines Freizügigkeitssachverhaltes durch ihren österreichischen Ehemann nicht vorgebracht habe, sei ihr ein Aufenthaltstitel gemäß § 47 Abs. 2 NAG zu erteilen gewesen.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 82/11-3, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (Dezember 2010) die Rechtslage des NAG idF BGBl. I Nr. 135/2009 maßgeblich ist.
Die Beschwerde macht in erster Linie geltend, der Antrag vom sei im Sinn des § 24 Abs. 2 NAG als Verlängerungsantrag zu werten, weil u.a. die Beschwerdeführerin wegen der schwerwiegenden Erkrankung ihrer Mutter an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen sei.
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Gemäß § 24 Abs. 1 NAG sind Verlängerungsanträge vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen. Nach Abs. 2 leg. cit. gelten Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, nur dann als Verlängerungsanträge, wenn der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft (Z 1), und der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird (Z 2).
Zutreffend prüfte die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin vom (Begründung des Zusatzantrages gemäß § 21 Abs. 3 NAG) auch dahingehend, ob die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 NAG vorlägen. Dabei stellte sie jedoch nur auf den Gesundheitszustand der Mutter der Beschwerdeführerin ab, der durch keine Unterlagen in deutscher Sprache belegt sei, und ging auf die Verspätung des Vorbringens über die Erkrankung der Beschwerdeführerin ein. Da eine Gesundheitsbeeinträchtigung der Beschwerdeführerin erst mit ihrer Eingabe vom aktenkundig wurde, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie dieses Vorbringen als verspätet ansah, weil die Glaubhaftmachung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 gleichzeitig mit dem Antrag zu erfolgen hat. Ob die Beweiswürdigung der belangten Behörde betreffend die ärztliche Bestätigung über die Erkrankung der Beschwerdeführerin einer Schlüssigkeitsprüfung standhält, war sohin nicht mehr zu prüfen.
Die belangte Behörde setzte sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Niederschrift vom , wonach sie auf Grund der Schwere der Erkrankung ihrer Mutter - eine Amputation der Beine stand noch im Raum - nicht an die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels dachte und sie auf Grund der angespannten Gesundheitssituation ihrer Mutter emotional weiterhin sehr aufgebracht gewesen sei, nicht auseinander. Das wäre jedoch erforderlich gewesen, weil die Bestimmung des § 24 Abs. 2 NAG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) dem § 71 Abs. 1 Z 1 AVG nachgebildet ist und der Sache nach eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Fall der Versäumung der materiell-rechtlichen Frist des § 24 Abs. 1 NAG ermöglichen soll. Die Judikatur zu § 71 Abs. 1 Z 1 AVG kann daher auch für die Auslegung des § 24 Abs. 2 NAG herangezogen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0021). Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann nun auch in einem inneren, psychischen Geschehen liegen, daher auch in einem Vergessen oder Versehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0179, mwN). Hätte sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe wegen der schweren Erkrankung ihrer Mutter nicht an die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels gedacht, auseinandergesetzt, darüber Erhebungen durchgeführt und Feststellungen getroffen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies zur Annahme eines Vergessens im Sinn eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 NAG und zu einer gänzlichen Stattgebung der Berufung geführt hätte. Dann gelte der nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellte Antrag der Beschwerdeführerin als Verlängerungsantrag, was zur Folge hätte, dass ihr rechtmäßiger Aufenthalt nicht unterbrochen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am