VwGH vom 19.01.2016, Ra 2015/01/0070
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des A I in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I401-1404588-2/27E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, sohin in seinem Spruchpunkt A.I., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein sudanesischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers bezogen auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (A.I.), dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 zuerkannt (A.II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt (A.III). Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt (B.).
Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber sei bis zu seiner Ausreise aus dem Sudan Mitglied einer Studentenverbindung, jedoch nicht in führender Funktion, gewesen, die dem sudanesischen Regime kritisch gegenüber gestanden sei. Das Verwaltungsgericht habe nicht feststellen können, ob der Revisionswerber tatsächlich bei einem Vorfall, bei dem ein Studentenführer umgekommen sei, anwesend gewesen sei. Auch könne es nicht feststellen, dass er inhaftiert gewesen und im Gefängnis gefoltert worden sei. Das Verwaltungsgericht stellte jedoch fest, dass der Revisionswerber in Wien an Versammlungen "gegen Krieg und Gewalt gegen Zivilbevölkerung in Süd Kordofan/Sudan" teilgenommen habe und Mitglied der "S" sei.
In seiner rechtlichen Beurteilung bezogen auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten verwies das Verwaltungsgericht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom , Nr. 58802/12, A.A. gegen die Schweiz, wo sich der EGMR explizit mit der Frage befasst habe, ob bereits wegen der allgemeinen Sicherheitssituation eine Ausweisung in einen Staat Artikel 3 EMRK verletzen könnte. Im genannten Urteil habe der EGMR festgehalten, dass die Abschiebung eines sudanesischen Oppositionellen Art. 3 EMRK verletze. Auch sei der EGMR in seinem Urteil vom , Nr. 18039/11, A.A. gegen Frankreich, von einer alarmierenden Menschenrechtssituation im Sudan ausgegangen, die sich seit 2014 noch verschlechtert habe.
Im vorliegenden Fall habe der Revisionswerber nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Sudan eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohe. Er habe allerdings dargelegt und belegt, dass er in Österreich an Demonstrationen gegen das sudanesische Regime (vor der sudanesischen Botschaft und am Stephansplatz) teilgenommen habe. Da im Sudan nach dem Urteil des EGMR Nr. 58802/12, A.A. gegen die Schweiz, auch Oppositionelle niederen Ranges Gefahr liefen, misshandelt zu werden, könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr festgenommen, angehalten oder gefoltert würde. Seine Abschiebung würde daher Art. 3 EMRK verletzen.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision führt zur Zulässigkeit gemäß § 28 Abs. 3 VwGG aus, der Revisionswerber habe exilpolitische Aktivitäten nachgewiesen und auf die davon ausgehende Verfolgungsgefahr hingewiesen. Das Verwaltungsgericht sei jedoch in seiner Entscheidung nicht auf diesen Nachfluchtgrund eingegangen.
Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrmals festgehalten, dass eine exilpolitische Betätigung im Ausland einen asylrelevanten Nachfluchtgrund bilden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0398, mwN; sowie zu den Nachfluchtgründen auch Art. 5 der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie).
Im vorliegenden Fall geht das Verwaltungsgericht davon aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Sudan eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohe. Gleichzeitig hält das Verwaltungsgericht aber fest, der Revisionswerber habe dargelegt und belegt, dass er in Österreich an Demonstrationen gegen das sudanesische Regime teilgenommen habe, weswegen nicht ausgeschlossen werden könne, dass er im Falle einer Rückkehr festgenommen, angehalten oder gefoltert würde, und seine Abschiebung daher Art. 3 EMRK verletzen würde.
Damit hat das Verwaltungsgericht verkannt, dass die festgestellte exilpolitische Tätigkeit des Revisionswerbers dahingehend zu prüfen gewesen wäre, ob sie einen asylrelevanten Nachfluchtgrund gebildet habe.
Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt A I.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Für das fortgesetzte Verfahren wird darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht nicht an die Begründung der Gewährung von subsidiärem Schutz (im nicht angefochtenen Spruchpunkt II.A. des Erkenntnisses) gebunden ist:
Jede Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, welche - allenfalls unter Rückgriff auf den Inhalt bzw. Abspruch eines (in Beschwerde gezogenen) verwaltungsbehördlichen Bescheides - die Angelegenheit erledigt, die zunächst von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war, tritt an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides. Dies ist bei der Gestaltung sowohl des Spruches als auch der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/03/0032, mwN). Alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens haben einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft. Was Gegenstand eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides einer Behörde ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Spruches des Bescheides. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest. Die Bescheidbegründung spielt nur insoweit eine Rolle, als (auch) sie zu der (nach den für Gesetze maßgebenden Regeln vorzunehmenden) Auslegung (Deutung), nicht aber zur Ergänzung eines in sich unklaren Spruches heranzuziehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/08/0138, mwN).
Bei der Entscheidung über den Status des Asylberechtigten nach § 3 AsylG 2005 und der Entscheidung über den Status des subsidiär Schutzberechtigten handelt es sich um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche, die separat anfechtbar sind und auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/19/0001, mwN).
Eine rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz ist daher als solche zu beachten und steht etwa der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen, weil § 11 AsylG 2005 deren Annahme nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/20/0181).
Aus welchen näheren Gründen subsidiärer Schutz gewährt wurde, ist jedoch Gegenstand der Begründung, die für sich keine Bindungswirkung entfaltet. Das Verwaltungsgericht kann daher im fortgesetzten Verfahren bei der Entscheidung über den Status des Asylberechtigten insoweit eine neuerliche Ermittlung und Würdigung des asylrelevanten Sachverhalts vornehmen (vgl. zur Verpflichtung des Verwaltungsgerichtes nach § 18 AsylG 2005, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, das hg. Erkenntnis vom , Zlen. Ra 2015/18/0082 bis 0085, mwN; vgl. zur Maßgeblichkeit des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Entscheidungszeitpunkt das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/19/0066, mwN). Dabei wäre fallbezogen auch zu prüfen, ob die (festgestellten) Tätigkeiten des Revisionswerbers in Österreich bereits geeignet sind, ihn in asylrelevanter Weise in das Blickfeld der sudanesischen Behörden geraten zu lassen.
Wien, am