VwGH vom 24.03.2009, 2007/09/0166

VwGH vom 24.03.2009, 2007/09/0166

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde des H I in Wien, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Rechtsanwälte OEG, in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 07/A/57/1835/2007-1, betreffend Nichtbewilligung der Wiedereinsetzung in einer Angelegenheit nach dem AuslBG (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen und Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführer mehrerer Übertretungen nach § 28 Abs. 1 Z. 1. lit. a AuslBG schuldig erkannt und über ihn mehrere Geldstrafen verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer durch postamtliche Hinterlegung zugestellt, wobei als erster Tag der Abholfrist (§ 17 Abs. 2 ZustG) der bekannt gegeben wurde.

Mit Telefax vom erhob der (bereits rechtsanwaltlich vertretene) Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis Berufung, welche mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom mit der Begründung zurückgewiesen wurde, ausgehend vom ersten Tag der Abholfrist (Freitag, dem ) habe die 14-tägige Berufungsfrist bereits am Freitag, dem geendet. Die erst am eingebrachte Berufung sei daher verspätet. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt.

Mit Telefax vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zur Erhebung der Berufung gegen das Straferkenntnis vom . Diesen begründete er - soweit für die Beurteilung der Rechtssache von Bedeutung - wie folgt:

"Mit Zustellung wurde dem Beschuldigten die Säumnis der Frist bekannt. Der Beschuldigte hat seinen Mitarbeiter S H mit der Beauftragung eines Rechtsvertreters ersucht. Dieser hat unwissend über die rechtliche Wirkung der Hinterlegung dem Vertreter zwar innerhalb der 14-Tagefrist, aber gerechnet von der Übernahme der Postsendung, beauftragt und das Zustelldatum mit dem Tag der Abholung angegeben.

Es liegt ein Versehen geringen Grades vor und für den Beschuldigten ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis, wodurch er an der Erhebung der Berufung gehindert war.

Bescheinigung: Einvernahme der S H;

Aus diesen Gründen beantragt der Beschuldigte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung der Berufung zu bewilligen und bezieht sich auf seine bereits eingebrachte Berufungsschrift.

..."

Mit Bescheid der Strafbehörde erster Instanz vom wurde diesem Antrag keine Folge gegeben.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde auf Grund der Ergebnisse der von ihr durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung der gegen den Bescheid vom gerichteten Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer stütze seinen Antrag auf den Wiedereinsetzungsgrund des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG. Allerdings bilde ein Rechtsirrtum keinen Wiedereinsetzungsgrund, so dass auch der Irrtum einer Partei über die gesetzliche Berufungsfrist kein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis darstelle, das eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könne. Mit dem Vorbringen, der Mitarbeiter des Beschwerdeführers habe die Wirkung der Hinterlegung des Bescheides nicht gekannt, sei somit kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund ins Treffen geführt worden.

Abgesehen davon sei der Wiedereinsetzungsantrag verspätet eingebracht worden, weil nach Angaben des vernommenen Zeugen ihm und dem (den Beschwerdeführer vertretenden) Anwalt bereits im Zeitpunkt der Erhebung der Berufung bekannt gewesen sei, dass die Berufungsfrist bereits abgelaufen sei. Es hätte daher gemäß § 71 Abs. 3 AVG der Wiedereinsetzungsantrag mit der Berufung gemeinsam gestellt werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, zu Unrecht sei der Beschwerdeführer nicht einvernommen worden. Die Behörde habe auch unterlassen, den Zeugen unter Beiziehung eines Dolmetschers einzuvernehmen. Die auf ein mangelhaftes Beweisverfahren gestützte Beweiswürdigung sei infolge dessen ebenfalls mangelhaft.

Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor der belangten Behörde auf. Zu der von der belangten Behörde angeordneten Berufungsverhandlung war der Beschwerdeführer geladen worden, jedoch - zunächst unentschuldigt - nicht erschienen. Seiner in der Verhandlung anwesenden Rechtsvertreterin wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme und Darlegung ihres Rechtsstandpunktes eingeräumt. Auch die Vernehmung des Zeugen fand in ihrer Anwesenheit statt, ohne dass sie auf die Notwendigkeit der Beiziehung eines Dolmetschers hingewiesen oder eine solche beantragt hätte. Erst am Schluss der Verhandlung entschuldigte sie den nicht erschienenen Beschwerdeführer mit einer infolge plötzlicher Erkrankung seiner Ehegattin notwendig gewordenen Reise nach Bosnien, ohne dass konkretere Angaben dargetan oder Belege nachgebracht worden wären. Die (auch in der Berufung nicht begehrte) Einvernahme des Beschwerdeführers wurde auch in der Verhandlung nicht beantragt. Es sind aber Verfahrensrügen einer Partei, die im Verwaltungsverfahren untätig geblieben ist, um erst in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ihre Zurückhaltung abzulegen und das Verwaltungsverfahren als mangelhaft zu bekämpfen, an dem sie trotz gebotener Gelegenheit nicht genügend mitgewirkt hat, abzulehnen (vgl. als Beispiel für viele etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/04/0229, mwN).

Ausgehend von einem solcherart mängelfreien Verfahren erscheint auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde, die sich ohnedies nur auf die Angaben des einzigen vernommenen Zeugen stützte, als zutreffend. In der Beschwerde wird auch in Wahrheit nicht die Beweiswürdigung, sondern die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde bekämpft. Dies trifft insbesondere auf die Frage zu, ob der vom Beschwerdeführer beauftragte Mitarbeiter rechtlich als "Stellvertreter" oder als "Bote" anzusehen ist.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung hat die Partei im Fall der Versäumung einer Frist die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/09/0173, mwN). Dass die Verspätung seiner Berufung im vorliegenden Fall für den Beschwerdeführer tatsächlich überraschend gewesen ist, mag zutreffen; ob dies auch unabwendbar und objektiv nicht zu verhindern war, ist zu prüfen. Dabei schadet im Falle eines Versäumnisses lediglich ein "minderer Grad des Versehens" nicht. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/02/0160). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Allerdings ist eine andere Betrachtungsweise geboten, wenn es sich bei dem Überbringer der Beschwerde nicht um einen Vertreter, sondern lediglich um einen Boten handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 9.706/A, und seither in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/02/0157) ausgeführt, dass dann, wenn ein Bote den ihm erteilten Auftrag (im damaligen Fall: eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen) versäumt, darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis erblickt werden kann, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist. Das Verschulden des Boten trifft also die Partei bei ausreichender Überwachung des Boten nicht.

Der Beschwerdeführer nimmt daher mehrfach Bezug auf die (Rechts-)Frage, ob sein Mitarbeiter als Bote oder als sein Vertreter anzusehen war. Zur Unterscheidung dieser beiden Begriffe hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2005/09/0173, unter Verweis auf Koziol-Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I10, 181, ausgeführt, dass ein Stellvertreter an Stelle des Vertretenen und mit Wirkung für diesen eine eigene Erklärung abgibt, hingegen der Bote bloß eine Erklärung des Auftraggebers (d.h. ohne die Erklärung eines eigenen rechtlichen Willens) überbringt, und dass es somit wesentlich darauf ankommt, ob Umstände vorliegen, die auf das Vorliegen eines Bevollmächtigungsvertrages im Sinne des § 1002 ABGB schließen lassen könnten.

Zu Unrecht geht aber der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall davon aus, er habe sich lediglich eines Boten zwecks Überbringung zur Erstattung seiner Berufung gegen das Straferkenntnis vom bedient. Die im Beschwerdefall erfolgte Aushändigung des Straferkenntnisses an seinen Mitarbeiter zwecks Beauftragung eines - nicht näher bestimmten - Rechtsanwalts mit der Erhebung des notwendigen Rechtsmittels schließt es aus, diesen als bloßen Boten zu qualifizieren. Vielmehr ist in einem solchen Fall ein Bevollmächtigungsvertrag zu Stande gekommen, in welchem Fall das Verschulden des Machthabers dem Vertretenen zuzurechnen ist (vgl. das einen ähnlich gelagerten Fall betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/09/0355 mwN). Im Übrigen ist eine ausreichende Überwachung des Mitarbeiters des Beschwerdeführers durch diesen in keinem Fall ersichtlich.

Dass aber den mit der Veranlassung der Erhebung der Berufung beauftragten Mitarbeiter des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nur ein minderer Grad des Versehens treffe, hat der Beschwerdeführer mit seinem oben wiedergegebenen Antragsvorbringen nicht glaubhaft gemacht, weil es zwar der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht, dass das Vorliegen eines Rechtsirrtums ein maßgebliches "Ereignis" im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, aber darüber hinaus konkrete Umstände behauptet werden müssen, die den Beschwerdeführer an der rechtzeitigen Aufklärung dieses Irrtums gehindert haben. Im vorliegenden Fall war der dem Mitarbeiter des Beschwerdeführers unterlaufene Rechtsirrtum darin gelegen, die Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses entfalte erst dann Rechtswirkungen, wenn es dem Beschuldigten tatsächlich zugekommen sei. Der Beschwerdeführer hätte daher in seinem Wiedereinsetzungsantrag behaupten und bescheinigen müssen, dass er bzw. sein Mitarbeiter gehindert gewesen oder ihm nicht zumutbar gewesen wäre, sich die notwendigen Kenntnisse zu verschaffen. In Anbetracht der Bedeutsamkeit der Wahrung von Rechtsmittelfristen trifft den Mitarbeiter des Beschwerdeführers und damit diesen selbst aber ein Verschulden, das den eines minderen Grades des Versehens übersteigt.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2 Wien, am