VwGH vom 23.06.2015, Ra 2014/22/0181

VwGH vom 23.06.2015, Ra 2014/22/0181

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des D S in Wien, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. G307 2011004- 1/3E, betreffend Aufenthaltstitel, Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen bei zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers, eines serbischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom betreffend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 und Abs. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) sowie den §§ 55 und 57 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) als unbegründet ab (Spruchpunkt A I). Der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den genannten Bescheid des BFA betreffend die Erlassung eines Einreiseverbotes wurde hingegen mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG auf ein Jahr herabgesetzt wurde (Spruchpunkt A II). Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

Das Verwaltungsgericht stellt zusammengefasst den Verfahrensgang, den bekämpften Bescheid und die dagegen erhobene Beschwerde dar. Der Revisionswerber habe am einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, die daraufhin erteilte Bewilligung habe bis Gültigkeit gehabt. Über den vom Revisionswerber am gestellten Antrag auf "Ausstellung eines Aufenthaltstitels" sei noch nicht entschieden worden. Im Zuge der Interessenabwägung wertete das Verwaltungsgericht die Einstellungszusage, den österreichischen Führerschein und die "Absolvierung eines Staplerscheinkurses" als positiv. Allerdings sei der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden und es sei keine Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt worden. Hinsichtlich der privaten bzw. familiären Situation wies das Verwaltungsgericht darauf hin, dass der Revisionswerber zwar seit mit der serbischen Staatsangehörigen M M im gemeinsamen Haushalt lebe, das Bestehen einer Lebensgemeinschaft aber nicht hätte festgestellt werden können, zumal der Revisionswerber in einem Schreiben vom (an das Fremdenpolizeiliche Büro der Landespolizeidirektion Wien) noch auf die Bindung zu seiner (früheren) Ehefrau verwiesen habe. Im Ergebnis würde das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Revisionswerbers sein persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 sei nach Abwägung der dargelegten persönlichen Umstände nicht zu erteilen gewesen. Es lägen auch keine Gründe vor, aus denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen gewesen wäre. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung somit gegeben seien, sei die Beschwerde diesbezüglich als unbegründet abzuweisen gewesen. Weiters legte das Verwaltungsgericht dar, warum die Dauer des Einreiseverbotes angemessen zu reduzieren gewesen sei.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine, habe eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) iVm § 24 Abs. 4 VwGVG unterbleiben können.

2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Das BFA sah von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung ab.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung führt der Revisionswerber ins Treffen, das Verwaltungsgericht habe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf das Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018) von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, obwohl der Revisionswerber eine solche beantragt habe. Das BFA habe den Sachverhalt zu den privaten bzw. familiären Verhältnissen des Revisionswerbers nicht ordnungsgemäß ermittelt und dies sei von ihm auch gerügt worden. Der Revisionswerber führt ins Treffen, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eine besondere Bedeutung zukomme (Verweis auf das Erkenntnis vom , 2011/21/0278). Zudem verweist der Revisionswerber auf seinen Inlandsaufenthalt seit 2002 und auf seine Niederlassungsbewilligung, während deren Gültigkeit er einen Verlängerungsantrag eingebracht habe. Bei Durchführung der gebotenen mündlichen Verhandlung hätte das Verwaltungsgericht (u.a.) die familiäre Integration und den rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers seit mehr als zehn Jahren feststellen können. Das Verwaltungsgericht hätte somit nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen.

Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zur Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verbindung mit dem aufenthaltsrechtlichen Status des Revisionswerbers zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich mit den Kriterien für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nach dem - hier allein in Betracht kommenden - § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG auseinandergesetzt (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser Bestimmung und der dazu ergangenen Rechtsprechung auch für dem BFA-VG unterliegende Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/21/0039). Demnach geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

3.3. Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Erlassung der Rückkehrentscheidung in seinem Spruch ausdrücklich auf § 52 Abs. 1 FPG gestützt und auch in der Begründung keinen anderen Tatbestand für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung genannt oder der Sache nach herangezogen (siehe zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, die strengeren Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG). Nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Z 2 dieser Bestimmung ist nicht einschlägig) ist gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Dem angefochtenen Erkenntnis lässt sich entnehmen, dass der Revisionswerber von bis über einen Aufenthaltstitel verfügte und dass er am einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (nach dem im Erkenntnis wiedergegebenen Beschwerdevorbringen des Revisionswerbers: einen Verlängerungsantrag) gestellt hat. Feststellungen zur Art des Aufenthaltstitels, über den der Revisionswerber zumindest bis verfügte, finden sich ebenso wenig wie Ausführungen dazu, inwieweit der vor Ablauf des letztgültigen Aufenthaltstitels gestellte Antrag auf Erteilung eines (weiteren) Aufenthaltstitels Auswirkungen auf den aufenthaltsrechtlichen Status des Revisionswerbers hat (vgl. zur Unzulässigkeit der Erlassung einer auf § 52 Abs. 1 FPG gestützten Rückkehrentscheidung im Fall eines rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet das hg. Erkenntnis vom , 2012/18/0005). Hinzukommt, dass sich dem vom Verwaltungsgericht vorgelegten Verwaltungsakt Hinweise darauf entnehmen lassen, dass dem Revisionswerber 2004 ein Niederlassungsnachweis (nach dem Fremdengesetz 1997) erteilt wurde, der nunmehr als - zur unbefristeten Niederlassung berechtigender - Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" gelten würde (siehe § 11 Abs. 1 C der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung sowie § 81 Abs. 29 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes).

Ausgehend davon kann daher betreffend den aufenthaltsrechtlichen Status des Revisionswerbers und damit das Vorliegen der Voraussetzung für die Erlassung einer auf § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gestützten Rückkehrentscheidung nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgegangen werden. Angesichts der Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses hinsichtlich der Rückkehrentscheidung kann auch der Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtswidrigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfasst schließlich auch die - damit jeweils zusammenhängende - Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (gemäß § 52 Abs. 9 FPG) sowie die Erlassung eines Einreiseverbotes (gemäß § 53 FPG).

3.4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung betont hat, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann und dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (vgl. das Erkenntnis vom , Ra 2014/22/0035, mwN).

4. Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Von der Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am