VwGH vom 17.04.2013, 2011/22/0103
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2011/22/0104
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde 1. der J und 2. des S, beide in S und vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres jeweils vom , 1.) Zl. 320.440/2-III/4/10 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2011/22/0103), und 2.) Zl. 320.440/3-III/4/10 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2011/22/0104), betreffend Aufenthaltskarten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die am persönlich eingebrachten Erstanträge der Beschwerdeführer, eines serbischen Ehepaares, auf Ausstellung jeweils einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde weitgehend gleichlautend im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer hätten ihre Anträge im Hinblick auf die von ihrem Sohn, einem österreichischen Staatsbürger, behauptetermaßen in Anspruch genommene Freizügigkeit gestellt und eine Kopie des Reisepasses und der Geburtsurkunde ihres Sohnes sowie seine finanzielle Unterstützungserklärung zum Nachweis über die Gewährung von Unterhalt an seine Eltern vorgelegt. Da die Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts durch den Sohn aber nicht habe nachgewiesen werden können - unter anderem durch eine deutsche Anmeldebescheinigung -, seien diese Anträge erstinstanzlich abgewiesen worden. In den dagegen erhobenen Berufungen sei betont worden, dass der Sohn vier Monate in Deutschland gewohnt habe und somit niedergelassen gewesen sei; eine Zeitlang sei er sowohl in Deutschland als auch in Österreich gemeldet gewesen. Aus diesen Gründen fänden auch die Bestimmungen der §§ 54 bis 56 NAG auf die Beschwerdeführer Anwendung, ohne dass es auf den Zweck des Aufenthalts des Sohnes in Deutschland ankäme. Zwar wäre ihm keine Freizügigkeitsbescheinigung in Deutschland ausgestellt worden, doch käme es nach dem "Gemeinschaftsrecht" darauf nicht an.
Die Erstbeschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - sei seit , der Zweitbeschwerdeführer seit "bis dato" an einer näher genannten Adresse in S "hauptgemeldet". Der Zweitbeschwerdeführer sei von bis im Besitz einer Niederlassungsbewilligung "Angehöriger" gewesen, wobei der Zusammenführende sein österreichischer Sohn gewesen sei; die Erstbeschwerdeführerin sei im Besitz eines Reisevisums der österreichischen Botschaft in Belgrad, gültig von bis gewesen. Der Sohn der Beschwerdeführer sei laut Melderegister von bis und dann wieder ab an einer näher genannten Adresse in S mit Hauptwohnsitz gemeldet; folglich sei er zwei Monate nicht in Österreich gemeldet gewesen. Nach den vorgelegten Meldebestätigungen aus Deutschland sei er dort am in B, danach am in T mit Wohnsitz angemeldet worden; die Abmeldung sei am erfolgt. Er sei damit ca. vier Monate in Deutschland mit Wohnsitz gemeldet gewesen, mindestens zwei Monate sei er parallel zu seiner Wohnsitzmeldung in Deutschland auch in Österreich hauptgemeldet gewesen.
Er sei weiters verheiratet und habe zwei minderjährige Kinder; die Ehefrau und die Kinder seien laut Melderegister durchgehend in Österreich aufhältig gewesen. Weiters gehe er laut aktuellem "Auszug aus dem Hauptverband" seit durchgehend einer Erwerbstätigkeit als Angestellter bei der S AG nach.
Die Beschwerdeführer hätten auch selbst angegeben, dass ihrem Sohn vom Landesratsamt B (Deutschland) keine Freizügigkeitsbescheinigung erteilt worden sei.
Aufgrund "des gegenständlichen Sachverhaltes" stehe für die belangte Behörde fest, dass keine echte und tatsächliche Ausübung des Freizügigkeitsrechts des Sohnes der Beschwerdeführer vorliege, "da die Umstände der Aufenthaltsbegründung, der tatsächliche und effektive Aufenthalt (lediglich eine Meldung eines Wohnsitzes) der Verwirklichung eines zurechenbaren und qualifizierten 'Freizügigkeitssachverhalt(es)' im Sinne der Unionsbürger-RL entgegenstehen". Der Behauptung, dass ihr Sohn seinen Lebensmittelpunkt für einige Monate in Deutschland gehabt und somit den Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht habe, stünden die Tatsachen entgegen, dass der Sohn durchgehend einer Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen sei und seine Familie (Ehefrau und zwei Töchter) sich ebenfalls durchgehend in Österreich aufgehalten hätten. Darüber hinaus stünde einer korrekten Ausübung der Freizügigkeit ihres Sohnes entgegen, dass dieser nie im Besitz einer Anmeldebescheinigung für Deutschland gewesen sei. Davon ausgehend komme das" gemeinschaftliche" Niederlassungsrecht gemäß §§ 52 iVm 54 NAG für seine drittstaatsangehörigen Familienangehörigen nicht zum Tragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Angesichts der Zustellung der angefochtenen Bescheide am ist für die Beurteilung des Beschwerdefalls das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010 maßgeblich.
Die Bestimmungen des § 57 iVm § 54 Abs. 1 NAG sind auf die Beschwerdeführer dann nicht anwendbar, wenn das Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhaltes im Hinblick auf ihren Sohn mit Recht verneint werden kann. Die belangte Behörde gesteht dem Sohn zwar zu, dass er etwa vier Monate in Deutschland nachweislich gemeldet gewesen sei, geht jedoch aufgrund der fehlenden Anmeldebescheinigung, seiner durchgehenden Erwerbstätigkeit in Österreich und des Verbleibs seiner Ehefrau und seiner Töchter in Österreich davon aus, dass er sein Freizügigkeitsrecht nicht" korrekt" ausgeübt habe.
Dagegen wendet die Beschwerde ein, dass der Sohn der Beschwerdeführer irrtümlich in Österreich nicht abgemeldet worden sei, der Verbleib seiner Frau und Kinder in Österreich Teil der persönlichen Führung seines Familienlebens sei und er seinen sicheren Arbeitsplatz als Buschauffeur bei der S AG nicht aufgeben habe können, da er auch über finanzielle Unabhängigkeit und somit über ausreichend finanzielle Mittel verfügen hätte müssen, was schließlich auch Voraussetzung für die Wohnsitznahme in einem andern EU-Mitgliedstaat sei. Sowohl B als auch T seien von seiner Arbeitsstelle mit einer Fahrzeit von jeweils unter einer halben Stunde erreichbar. Auch komme es nicht auf die Meldung, sondern auf die tatsächliche Wohnsitznahme an - er habe in Deutschland gewohnt; bei allfälligen diesbezüglichen Unklarheiten hätte ihn die belangte Behörde jederzeit persönlich vernehmen können.
Damit zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf.
Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer folgt, dass ihr Sohn sich - ohne dortige Berufstätigkeit - mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten habe. Somit war er nicht Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden: RL), wohl aber könnte eine Inanspruchnahme des Rechts auf Aufenthalt für einen Zeitraum von über drei Monaten gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b RL zum Tragen kommen. Demzufolge besteht das Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt. Dazu hat die belangte Behörde aber keine Feststellungen getroffen, obwohl sie dazu gehalten gewesen wäre, weil auch die ohne wirtschaftliche Zweckbindung erfolgende Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 21 AEUV samt darauf folgender Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von § 57 NAG erfasst ist, und dies daher für die Beurteilung der fallbezogen zentralen Frage, ob aufgrund der Inanspruchnahme seiner unionsrechtlichen Freizügigkeit gemäß § 57 NAG durch den Sohn der Beschwerdeführer diesen als seinen Familienangehörigen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß § 54 NAG zusteht, erforderlich gewesen wäre. Zur Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0011, ausführlich Stellung genommen, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird.
Träfe es zu, dass der Sohn der Beschwerdeführer entsprechend seinen, auch durch die Vorlage von Unterlagen (Meldebestätigungen) untermauerten Angaben unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 lit. b RL über vier Monate in Deutschland aufhältig war, wäre von einer tatsächlichen und effektiven Ausübung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts im Sinn der RL durch den Sohn der Beschwerdeführer auszugehen, wodurch eine ausreichende Grundlage für die Anwendung von § 57 iVm § 54 NAG gegeben gewesen wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0438, sowie das bereits zitierte Erkenntnis vom ).
Hätte die belangte Behörde dagegen Zweifel an der tatsächlichen Wohnungsnahme des Sohnes der Beschwerdeführer in Deutschland gehabt, hätte sie nähere Erhebungen zu Art und Umständen seines Aufenthaltes pflegen müssen, wofür schon seine persönliche Vernehmung zweckmäßig gewesen wäre, um geeignete Feststellungen treffen zu können. Indem sie stattdessen in Verkennung der Rechtslage seine bloße Wohnungsnahme - mangels Vorlage einer Anmeldebescheinigung - als rechtlich unerheblich einstufte und sich nur auf Auszüge des Registers des Hauptverbandes und des Melderegisters stützte anstatt die konkreten Umstände des Sachverhaltes zu erheben, hat sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Nach dem Gesagten waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am