VwGH vom 18.03.2014, 2011/22/0077
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Fatma Özdemir-Bagatar, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Alpenstraße 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 320.250/2-III/4/10, betreffend Entziehung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, einem kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 28 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG den ihm zuletzt mit einer Gültigkeitsdauer vom bis erteilten Aufenthaltstitel "Familienangehöriger".
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und danach unter Berufung auf diese Ehe einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gestellt. Dieser sei dem Beschwerdeführer erteilt und in weiterer Folge mehrfach verlängert worden. Mit Urteil vom sei die Ehe aus dem Verschulden des Beschwerdeführers geschieden worden, wovon er die erstinstanzliche Behörde erst am informiert habe.
Rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe den Umstand, dass seine Ehe geschieden worden sei, nicht unverzüglich, längstens binnen einem Monat der zuständigen Behörde gemeldet, sondern erst mehr als vier Monate nach Eintritt der maßgeblichen Umstände. Besondere Gründe, die den Beschwerdeführer wegen unvorhersehbarer Ereignisse an der fristgerechten Meldung gehindert hätten und als Wiedereinsetzungsgrund anzuerkennen wären, habe er nicht bekannt gegeben. Da die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht mehr vorlägen, sei der Aufenthaltstitel gemäß § 28 Abs. 5 NAG zu entziehen gewesen. Die in § 27 Abs. 2 und Abs. 3 leg. cit. normierten Einschränkungen kämen nicht zum Tragen, weil die Ehe aus dem Verschulden des Beschwerdeführers geschieden worden sei und besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne der genannten Bestimmungen nicht vorlägen.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG legte die belangte Behörde dar, dass der Beschwerdeführer seit in Österreich niedergelassen sei und die anlässlich der Erteilung seines ersten Aufenthaltstitels eingegangene Integrationsvereinbarung bislang nicht erfüllt habe. Er sei zwar bei verschiedenen Arbeitgebern erwerbstätig gewesen, doch seien seine Beschäftigungszeiten sehr häufig durch Arbeitslosigkeit unterbrochen worden. Der Beschwerdeführer habe keine Verwandten in Österreich und lebe alleine. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiege also in der vorgenommenen Interessenabwägung jedenfalls, weshalb die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Art. 8 EMRK ausgeschlossen sei.
Der Beschwerdeführer erfülle die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" nicht, weshalb die Entziehung des zuletzt gültigen Aufenthaltstitels gerechtfertigt gewesen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (am ) die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010 anzuwenden sind und sich nachfolgende Zitierungen auf diese Rechtslage beziehen.
§ 27, § 28 Abs. 5 und § 47 Abs. 5 (jeweils samt Überschrift) lauten:
" Niederlassungsrecht von Familienangehörigen mit Niederlassungsbewilligungen
§ 27. (1) Familienangehörige mit einer Niederlassungsbewilligung haben ein eigenständiges Niederlassungsrecht. Liegen die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht mehr vor, ist dem Familienangehörigen eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, deren Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 vorliegt und er die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 erfüllt.
(2) Dem Familienangehörigen ist trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, deren Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht,
1. bei Tod des Ehegatten, eingetragenen Partners oder Elternteils;
2. bei Scheidung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft wegen überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten oder eingetragenen Partners oder
3. aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen.
(3) Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des Abs. 2 Z 3 liegen insbesondere vor, wenn
1. der Familienangehörige Opfer einer Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) ist;
2. der Familienangehörige Opfer von Gewalt wurde und gegen den Zusammenführenden eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder
3. der Verlust der Niederlassungsbewilligung des Zusammenführenden die Folge einer fremdenpolizeilichen Maßnahme war, die auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung des Zusammenführenden wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung gesetzt wurde.
(4) Zur Wahrung dieser Rechte hat der Familienangehörige die Umstände nach Abs. 1 bis 3 der Behörde unverzüglich, längstens jedoch binnen einem Monat, bekannt zu geben. § 24 Abs. 2 gilt sinngemäß."
" Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels
§ 28. (1) ...
...
(5) Aufenthaltstitel sind zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 2 oder 3 vorliegt oder dem Fremden im Rahmen eines Zweckänderungsverfahrens (§ 26) ein anderer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. § 10 Abs. 3 Z 1 gilt."
" 2. Hauptstück
Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden
Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'
§ 47. (1) ...
...
(5) In den Fällen des § 27 kann, wenn die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllt sind, Drittstaatsangehörigen, die einen Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' hatten, eine 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' erteilt werden."
Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Der Beschwerdeführer macht geltend, vor der Entziehung seines Aufenthaltstitels wäre die Möglichkeit einer "Zweckänderung gem. § 47 Abs. 5 NAG", deren Voraussetzungen er erfülle, zu prüfen gewesen. Da diese Norm nur von den Fällen des § 27 NAG spreche, ordne sie nicht die entsprechende Anwendung dieser Bestimmung an, sodass die Erfüllung der Meldepflicht (§ 27 Abs. 4 leg. cit.) für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung irrelevant sei. Auch in der bis geltenden Rechtslage sei ein Verweis auf den die Meldepflicht regelnden Absatz des § 27 NAG ausdrücklich unterblieben, weshalb das Fehlen dieses Formalerfordernisses nach dem nicht zu einer Entziehung des auf dieser Rechtslage bereits erteilten Aufenthaltstitels führen könne. Abgesehen davon sei der Behörde die bereits erfolgte tatsächliche Trennung des Ehepaars und die beabsichtigte Scheidung schon im September 2009 bekannt gewesen.
Die Behörde hat in Anwendung des § 28 Abs. 5 NAG dem Beschwerdeführer den ihm erteilten Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" entzogen. Ein Anwendungsfall des § 28 Abs. 5 zweiter Satz leg. cit. liegt hier nämlich nicht vor, weil zum einen keine Konstellation nach § 27 Abs. 2 oder Abs. 3 NAG gegeben ist und zum anderen ein Zweckänderungsantrag nicht gestellt wurde. Letzteres wird auch in der Beschwerde nicht in Abrede gestellt, wenn dort vorgebracht wird, es wäre (bloß) die Möglichkeit einer Zweckänderung zu prüfen gewesen.
Weiters ist klarzustellen, dass zwar der Wortlaut des § 27 Abs. 1 NAG nur das Niederlassungsrecht von Familienangehörigen mit einer Niederlassungsbewilligung nennt, über die der Beschwerdeführer nicht verfügte, hatte er doch einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 NAG inne. Für Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" hatten, bestimmt § 47 Abs. 5 NAG allerdings, dass ihnen in den Fällen des § 27 NAG bei Erfüllung der Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" erteilt werden kann. Damit wurde der Anwendungsbereich des § 27 NAG auf (ehemalige) Familienangehörige mit dem genannten Aufenthaltstitel ausgedehnt. Diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 27 NAG auf den von § 47 Abs. 5 NAG erfassten Personenkreis hat zur Folge, dass auch diese Drittstaatsangehörigen der Meldepflicht des § 27 Abs. 4 NAG unterliegen. Es ist kein Grund ersichtlich, dass Familienangehörige mit Aufenthaltstitel - im Gegensatz zu Familienangehörigen mit einer Niederlassungsbewilligung - keine Pflicht zur unverzüglichen Bekanntgabe jener Umstände träfe, die nach dem Wegfall der Voraussetzungen für den Familiennachzug die Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung ermöglichen.
Nun ging die Behörde zu Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer der Meldepflicht nach § 27 Abs. 4 NAG nicht fristgerecht nachgekommen ist. Auf die in der Beschwerde ins Treffen geführte Kenntnis der Behörde von einer Scheidungsabsicht der Ehefrau des Beschwerdeführers stellt § 27 Abs. 4 NAG nämlich nicht ab, weil damit allein der Beschwerdeführer die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG nicht verliert.
Da somit beim Beschwerdeführer kein Fall des § 27 NAG vorliegt, kann dahinstehen, ob dies - für die hier relevante Rechtslage - einer Entziehung des Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 5 erster Satz leg. cit. entgegengestanden wäre.
Wegen des Fehlens einer mit dem angefochtenen Bescheid verbundenen Rechtsverletzung war daher die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am