VwGH vom 13.11.2012, 2011/22/0074

VwGH vom 13.11.2012, 2011/22/0074

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 132.418/7- III/4/10, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am bei der Österreichischen Botschaft New Delhi eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zwecks Familiengemeinschaft mit seinem in Österreich niedergelassenen Vater gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 iVm § 46 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig gewesen sei.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG sei als Familienangehöriger u.a. ein unverheiratetes minderjähriges Kind definiert. Als (nunmehr) erwachsener Sohn der Ankerperson sei der Beschwerdeführer kein Familienangehöriger gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG und es sei bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung wie hier auf familiäre und private Interessen nicht Bedacht zu nehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass angesichts des Zeitpunktes der Erlassung des angefochtenen Bescheides am die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 maßgeblich sind und sich nachfolgende Zitierungen auf diese Rechtslage beziehen.

Die Definition in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG lautet:

"Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;"

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2008/22/0882, ausführlich dargelegt, dass zur Beurteilung der Minderjährigkeit auf den Entscheidungszeitpunkt und nicht auf das Alter zur Zeit der Antragstellung abzustellen ist und diese Rechtslage nicht als unsachlich zu werten ist. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen.

Dennoch erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

Festzuhalten ist nämlich, dass der Beschwerdeführer auch einen durch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels bewirkten Eingriff nach Art. 8 EMRK geltend macht.

Zu einer Konstellation wie der vorliegenden hat der Gerichtshof im Erkenntnis vom , 2010/21/0494 (auch hier wird gemäß 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen), ausführlich dargelegt, dass zur Erzielung eines konventionsgemäßen Ergebnisses der Begriff "Familienangehöriger" in § 46 Abs. 4 NAG von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 leg. cit. abzukoppeln ist. Besteht ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug, so ist als "Familienangehöriger" in § 46 Abs. 4 NAG demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen auch jener - nicht im Bundesgebiet aufhältige - Angehörige erfasst, dem ein derartiger Anspruch zukommt.

Entgegen dieser Rechtsansicht hat die belangte Behörde Feststellungen unterlassen, die zur Beurteilung der Zulässigkeit des Eingriffs nach Art. 8 EMRK erforderlich wären. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am