VwGH vom 19.04.2007, 2007/09/0019
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des WP in Wien, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. MA 62 - I/36356/2006, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem Wiener Prostitutionsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde dem Beschwerdeführer als Eigentümer, Verfügungsberechtigter und Betreiber von Räumlichkeiten an einem näher angeführten Standort in Wien gemäß § 5 Abs. 4 erster Satz des Wiener Prostitutionsgesetzes die Ausübung der Prostitution untersagt. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer persönlich am übernommen. Dagegen brachte der Beschwerdeführer eine am zur Post gegebene Berufung und zugleich damit einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ein. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass er den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien am persönlich übernommen habe und der Bescheid am "am Abend - kurz vor Dienstschluss des Sekretärs -" von seinem Vater dem Sekretär seines ausgewiesenen Vertreters in dessen Rechtsanwaltskanzlei in Abwesenheit des Rechtsanwalts selbst, der zu diesem Zeitpunkt einen Auswärtstermin gehabt habe, überreicht worden sei. Das Erscheinen des Vaters des Beschwerdeführers in der Kanzlei des Rechtsanwalts sei unangemeldet und plötzlich erfolgt. In dieser Zeit habe sich die ständige Rechtsanwaltsanwärterin und Sachbearbeiterin des Rechtsanwalts, Frau Mag. Dr. Y, vom bis wegen einer Operation im Krankenstand befunden. Kurz zuvor, am , sei die bislang ständig in der Kanzlei beschäftigte Sekretärin, Frau C, wegen einer Schwangerschaft in Karenz gegangen. In der Kanzlei seien daher außer Hilfskräften nur der erst seit beschäftigte Sekretär, "allerdings mit fertiger Ausbildung als Rechtskanzleiassistent", Herr L, tätig gewesen. Gerade in diesem Zeitraum habe sich - trotz der Urlaubszeit - überraschend ein besonders hoher Arbeitsanfall bedingt durch zahlreiche neue Klienten, Verfassung anderer Rechtsmittel und Ferialsachen etc. ergeben, der Sekretär habe sich daher "in einem Zustand hoher Anforderung" befunden. Insbesondere seien allein in den Kausen des Beschwerdeführers vom bis zum rund 20 Rechtsmittel und -behelfe zu besorgen gewesen. Herr L habe den übernommenen Bescheid zur Abstempelung und Vorlage an den Vertreter des Beschwerdeführers zurecht gelegt und die Bezug habende Akte beigeschafft. Auf Grund der dargelegten Situation sei es offenbar passiert, dass Herr L "in Überforderung seiner neuen Tätigkeit" den gegenständlichen Bescheid "versteckt" habe, indem er ihn in der Hektik unabsichtlich in den Ordner des Beschwerdeführers habe rutschen lassen, ohne Eingangsstempel, Frist oder Vorlage bewirkt zu haben. Da in dieser Zeit zahlreiche Bescheide gegen den Beschwerdeführer von dessen Vater in der Kanzlei des Rechtsanwalts abgegeben gewesen seien, deren Eintragung im Übrigen von dem ansonsten stets verlässlichen Sekretär nach Anleitung des Rechtsfreundes stets gewissenhaft und korrekt bewirkt worden sei, habe der Sekretär leider auf den Bescheid vergessen und stattdessen den Ordner bereits für das nächste Rechtsmittel des Beschwerdeführers, das am auszuführen gewesen sei, seinem Chef vorgelegt. Durch das "Blackout" des Sekretärs habe der Rechtsanwalt aber nicht von dem Bescheid gewusst. So sei ihm dieser auch nicht weiter aufgefallen und es dazu gekommen, dass der Bescheid im Ordner "schlummerte" und die Rechtsmittelfrist versäumt worden sei. Erst auf die zufällige Nachfrage des Beschwerdeführers bei seinem Vertreter, ob er eine Berufungsausfertigung erhalten könne, sei der Vertreter auf den Irrtum am 17. August, also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist aufmerksam geworden. Seine Sachbearbeiterin sei inzwischen wieder genesen und habe unverzüglich telefonisch bei der Behörde interveniert und die Auskunft erhalten, wann der Bescheid zugestellt worden sei. Der Vertreter des Beschwerdeführers sei daher ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist verhindert gewesen. Das Versehen seines Sekretärs, der ansonsten stets gewissenhaft und korrekt seinen Dienst versehen habe, sei auf die hohen Belastungen und die vielfachen "Besuche" des Vaters des Beschwerdeführers zurückzuführen, die bewirkt hätten, dass er augenscheinlich wegen Übermüdung bzw. mangelnder Konzentration am Abend eines schweren Arbeitstages zunächst den Bescheid verlegt habe und in der Folge den Bescheid vergessen habe. Dieses Versehen sei dem hochtalentierten Sekretär erstmals passiert. Es sei als ein minderer Grad des Versehens einzustufen, weil dies auch einem gut ausgebildeten Sekretär bei starker Überlastung einmal passieren könne. Auch sei der Vertreter des Beschwerdeführers der ihm auf Grund der besonderen Situation zumutbaren und der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleiangestellten nachgekommen.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 AVG abgewiesen. Zusammengefasst wurde dies damit begründet, dass der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers angesichts des starken Arbeitsaufkommens und der Abwesenheit zweier Beschäftigter seiner Kanzlei seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachkommen und er sich hätte nachdrücklich vergewissern müssen, ob tatsächlich alle fristgebundenen Schriftstücke vorgelegt worden seien.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, die mit dem angefochtenen Bescheid vom abgewiesen wurde. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde auch die in der Sache selbst erhobene Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurückgewiesen.
Der angefochtene Bescheid wurde nach Darstellung des Verfahrensganges, der Rechtsvorschriften und hiezu ergangener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abweisenden Teil im Wesentlichen damit begründet, dass nicht im Detail dargelegt worden sei, wie das Kontrollsystem bezüglich der Handhabung von Eingangsstücken bis zur Vorlage an die zuständige Referentin bzw. bis zur Eintragung von Fristen in das Fristenvormerkbuch gehandhabt werde. Der Vertreter des Beschwerdeführers habe durch das Unterlassen einer besonderen Kontrolle des Aktes des Beschwerdeführers und vor allem in Anbetracht der ausführlich beschriebenen besonders angespannten Personalsituation in seiner Kanzlei zur Zeit des Überbringens des Bescheides durch den Vater des Beschwerdeführers ein Verschulden gesetzt, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe. Der Rechtskanzleiassistent des Vertreters des Beschwerdeführers sei erst eineinhalb Monate in der Kanzlei des Rechtsanwalts des Beschwerdeführers beschäftigt gewesen, sodass eine besondere Überwachung geboten gewesen sei. Angesichts der für den Vertreter des Beschwerdeführers keinesfalls unvorhersehbaren Verhinderung der in seiner Kanzlei tätigen Rechtsanwaltsanwärterin und seiner Sekretärin und der dadurch sehr angespannten Personalsituation habe für den Vertreter des Beschwerdeführers eine erhöhte Kontrollpflicht hinsichtlich der Maßnahmen und Vorgänge gegolten, die während dieses Zeitraumes vorgenommen worden bzw. aufgetreten seien. Die Tätigkeit auch besonders gut ausgebildeter und sonst zuverlässiger Kanzleikräfte bzw. Konzipientinnen sei im Fall einer besonders angespannten Personalsituation in besonderer Weise vom Rechtsvertreter zu überwachen. Zwar müsse ein Rechtsanwalt seine Angestellten nicht auf "Schritt und Tritt" überwachen, eine ausreichende Kontrolle, insbesondere im Fall einer angespannten Situation sei jedoch erforderlich. Auch sei im vorliegenden Fall für den Vertreter des Beschwerdeführers zu erkennen gewesen, dass der Akt des Beschwerdeführers angesichts von rund 20 Rechtsmitteln als besonders heikel und komplex einzuschätzen gewesen sei und sein Mitarbeiter L angesichts seiner Tätigkeit von bisher erst eineinhalb Monaten sich noch in seiner Einarbeitungszeit befunden habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden einer Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht diesem Bediensteten gegenüber verletzt hat. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird, wobei durch ein entsprechendes Kontrollsystem dafür vorzusorgen ist, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen z.B. den hg. Beschluss vom , Zlen. 97/10/0236, 98/10/0067, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/09/0108).
Diese Voraussetzungen wurden im vorliegenden Fall nicht erfüllt: Im Rahmen der berufsmäßigen Parteienvertretung ist die Organisation des Kanzleibetriebes vom Vertreter so einzurichten und es sind die für ihn tätigen Personen so zu überwachen, dass die erforderliche und fristgerechte Wahrung von Prozesshandlungen bzw. die Einhaltung behördlicher Termine sichergestellt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/03/0080).
Im Beschwerdefall wurde - zusammengefasst - der mit Berufung anzufechtende Bescheid der Behörde erster Instanz durch einen Kanzleiassistenten des Vertreters des Beschwerdeführers von einem Boten übernommen und - ohne dass eine Vorlage an den Rechtsanwalt oder eine Eintragung in ein Fristenbuch oder sonstiges Verzeichnis erfolgt wäre - in einen Akt geschoben, wo das Schriftstück nach den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag solange "schlummerte", bis es erst auf Grund einer Nachfrage des Beschwerdeführers gesucht und im Akt aufgefunden wurde. Konkrete Angaben hinsichtlich der in der Kanzlei des damaligen Vertreters des Beschwerdeführers bestehenden generellen Anordnungen betreffend die Vorgangsweise von Kanzleiangestellten nach erfolgter Entgegennahme von Schriftstücken, die Vorlage an den Rechtsanwalt sowie auch hinsichtlich der Kontrolle der Tätigkeit des Kanzleiassistenten L durch den Vertreter des Beschwerdeführers wurden weder im Wiedereinsetzungsantrag selbst, noch im weiteren zur Erlassung des angefochtenen Bescheides führenden Verwaltungsverfahren gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht rechtswidrig finden, wenn die belangte Behörde angesichts dessen einen bloß minderen Grad des Versehens im vorliegenden Fall nicht als gegeben erachtet hat. Der Fristenkontrolle ist nämlich vom Rechtsvertreter ein besonderes Augenmerk zu widmen. Daher hat er auch durch entsprechende, durch Kontrollmaßnahmen abgesicherte Anordnungen sicherzustellen, dass ihm tatsächlich die gesamte eingehende Post rechtzeitig vorgelegt wird (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2001/03/0080). Dies hätte der Beschwerdeführer initiativ darzulegen gehabt, widrigenfalls die belangte Behörde vom Fehlen solcher Maßnahmen und Anordnungen ausgehen durfte. Diesfalls kann am Vorliegen eines den Grad minderen Versehens übersteigenden Verschuldens des Vertreters des Beschwerdeführers kein Zweifel bestehen.
Die Auffassung der belangten Behörde, dass die Sorgfaltspflicht des damaligen Vertreters des Beschwerdeführers durch den Umstand der besonderen Belastung seiner Kanzlei angesichts des Umstandes, dass zwei Mitarbeiterinnen nicht anwesend waren, nicht etwa herabgesetzt war, sondern dass der Vertreter sich angesichts dieser - für ihn weder unvorhersehbaren noch unabwendbaren Situation - den Vorgängen in seiner Kanzlei geradezu ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit und Kontrolle hätte widmen müssen, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden. Zwar muss - darin ist dem Beschwerdeführer durchaus beizupflichten - ein Rechtsanwalt einen erfahrenen und bewährten Mitarbeiter seiner Kanzlei nicht "auf Schritt und Tritt" überwachen, allerdings ist es in einer Rechtsanwaltskanzlei, in der fristenrelevante Schriftstücke von einem erst eineinhalb Monate in der Kanzlei tätigen Mitarbeiter übernommen werden, schon erforderlich, dass der Rechtsanwalt an diesen die Anweisung erteilt hat, dass diese Schriftstücke am selben Tag ihm selbst vorgelegt werden, und dass der Rechtsanwalt die Einhaltung dieser Anweisung auch durch entsprechende Maßnahmen auf effektive Weise kontrolliert. Dass derartige Vorkehrungen in der Rechtsanwaltskanzlei des Vertreters des Beschwerdeführers getroffen worden wären, wurde aber nicht einmal behauptet. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr meint, er habe entgegen den Ausführungen der belangten Behörde das Bestehen eines Kontrollsystems in der Kanzlei seines damaligen Rechtsbeistandes bezüglich der Handhabung des Posteinganges durchaus dargelegt bzw. ein solches sei zumindest indirekt zu erschließen gewesen, so kann dem nicht gefolgt werden.
Der Beschwerdevorwurf an die belangte Behörde, sie verlange von einem Rechtsanwalt im Ergebnis, dass er seine Rechtsanwaltskanzlei überhaupt nicht mehr verlassen dürfe, kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden, weil auch die belangte Behörde einräumt, dass ein Rechtsanwalt durchaus die Besorgung von Aufgaben an Mitarbeiter in seiner Kanzlei delegieren kann. Er muss aber - damit ist die belangte Behörde im Recht - die erforderlichen Anweisungen erteilen und deren Einhaltung durch effektive Kontrollmaßnahmen sicherstellen.
Nach dem Gesagten ist es daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde dem vorliegenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Folge gab und angesichts der unbestrittenen Verspätung der in der Sache selbst erhobenen Berufung diese zurückwies.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am