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VwGH vom 24.03.2015, Ra 2014/21/0058

VwGH vom 24.03.2015, Ra 2014/21/0058

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der N Q, vertreten durch Dr. Roland Gabl, u.a. Rechtsanwälte in 4020 Linz, Museumstraße 31a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-780019/12/Gf/Rt, betreffend Beschwerde gemäß § 88 Abs. 1 SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 977,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Revisionswerberin ist bolivianische Staatsangehörige und mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Im Hinblick darauf wurde ihr in der Bundesrepublik Deutschland am ein bis gültiger Aufenthaltstitel, nämlich eine mit dem Vermerk "Erwerbstätigkeit gestattet" versehene Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 deutsches Aufenthaltsgesetz, erteilt.

Die Revisionswerberin reiste am im Besitz ihres gültigen Reisepasses nach Österreich ein und mietete in einem "Laufhaus" in Linz ein Zimmer, um hier für eine Woche die Prostitution auszuüben. Dort wurde die Revisionswerberin am im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle von Organen der Landespolizeidirektion Oberösterreich (LPD) gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 FPG festgenommen und einige Stunden später gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 FPG nach Deutschland zurückgeschoben.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) die von der Revisionswerberin gegen die erwähnten Maßnahmen erhobene, auf § 88 Abs. 1 SPG gestützte Beschwerde unter Kostenzuspruch an den Bund gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet ab. Unter einem sprach das LVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - die vor dem LVwG belangte LPD verwies im Rahmen des Vorverfahrens nur auf die gegenüber dem LVwG am erstattete Gegenschrift - erwogen hat:

Im vorliegenden Fall ist von dem mit "Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet" überschriebenen § 31 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 68/2013 auszugehen. Nach dem in der gegenständlichen Konstellation relevanten Abs. 1 Z 3 dieser Bestimmung halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, "wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen".

In der Beschwerde an das LVwG bestritt die Revisionswerberin den ihr unterstellten unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet mit der Begründung, die von ihr ausgeübte kurzfristige Tätigkeit als Prostituierte sei nicht "unerlaubt" im Sinne der genannten Bestimmung des FPG gewesen; diesbezüglich bezog sie sich vor allem auf verschiedene unionsrechtliche Rechtsgrundlagen. Demgegenüber machte die LPD in ihrer Gegenschrift geltend, der in Deutschland ausgestellte Aufenthaltstitel habe die Revisionswerberin zu keiner "wie immer gearteten" Erwerbstätigkeit in Österreich berechtigt, und zwar auch nicht zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit, sodass ihr Aufenthalt nicht rechtmäßig gewesen sei.

Darauf ist das LVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht näher eingegangen. Es bezog sich nämlich nur auf § 3 Abs. 1 des Oö. Sexualdienstleistungsgesetzes (Oö. SDLG). Danach darf eine Sexualdienstleistung nicht von Personen angebahnt oder ausgeübt werden, die kein gültiges Gesundheitsbuch besitzen (Z 3) oder bei denen keine Untersuchung gemäß der Oö. Tuberkulose-Reihenuntersuchungsverordnung durchgeführt wurde (Z 4). Die Revisionswerberin verfüge - so das LVwG - weder über ein Gesundheitsbuch noch sei an ihr die erforderliche Tuberkuloseuntersuchung durchgeführt worden. Dementsprechende Nachweise seien von ihr nicht vorgelegt worden und auch dem Akt der LPD nicht zu entnehmen. Vielmehr ergebe sich (u.a.) aus der in der Verhandlung vor dem LVwG abgegebenen Zeugenaussage eines einschreitenden Sicherheitsorgans, dass die Revisionswerberin bei der Kontrolle "allerdings die hierfür erforderlichen Papiere nicht hatte". Damit sei der Revisionswerberin schon aus diesem Grund die Anbahnung und Ausübung der Prostitution - und zwar "einerlei", ob sie tatsächlich selbständig oder in Form eines arbeitsrechtlichen Verhältnisses erfolgt sei - untersagt gewesen. Davon ausgehend - so das LVwG zusammenfassend - erweise sich die Annahme der einschreitenden Sicherheitsorgane, der Aufenthalt der Revisionswerberin sei ungeachtet ihrer gültigen deutschen "Niederlassungsbewilligung" unrechtmäßig (gewesen), als zutreffend. Die bekämpften Maßnahmen seien daher "schon von vornherein" nicht rechtswidrig gewesen.

Dem wird in der Revision entgegen gehalten, das LVwG habe gegen das Überraschungsverbot des § 45 Abs. 3 AVG verstoßen, weil es im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung festgestellt habe, die Revisionswerberin habe weder über ein Gesundheitsbuch verfügt noch sei die erforderliche Tuberkuloseuntersuchung durchgeführt worden. Derartiges sei von der belangten LPD auch gar nicht behauptet worden. Diese Fragen seien vielmehr im gesamten Verfahren nicht erörtert worden. Strittig sei "stets und ausschließlich" die Frage gewesen, ob es sich gegenständlich um eine erlaubte Tätigkeit im Sinne der Bestimmungen des FPG handle. Die Frage, ob die Revisionswerberin über die notwendigen Nachweise für die Ausübung der Prostitution nach dem Oö. SDLG verfüge, sei erstmals im angefochtenen Erkenntnis aufgeworfen worden. Demnach habe das LVwG in seine rechtliche Würdigung - wie in der Revision noch näher dargetan wird: überdies nicht zutreffende - Sachverhaltselemente einbezogen, die der Revisionswerberin bis dahin nicht vorgehalten worden seien. Dadurch habe das LVwG gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - in diesem Zusammenhang wird auf das Erkenntnis vom , Zl. 2002/18/0053, verwiesen - verstoßen.

Damit wird im Ergebnis zutreffend geltend gemacht, dass die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Ausspruch des LVwG zulässig ist; sie ist auch berechtigt.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Verwaltungsverfahren das sogenannte "Überraschungsverbot" zu beachten. Darunter ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0066, u.a. mit dem Hinweis auf das auch in der Revision ins Treffen geführte Erkenntnis vom , Zl. 2002/18/0053). Im erstgenannten Erkenntnis (Punkt IV.A.4.2.2. der Entscheidungsgründe) wurde überdies schon klargestellt, dass die zum "Überraschungsverbot" entwickelten Grundsätze auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten maßgeblich sind, weil von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG zu beachten seien.

Gegen diese Grundsätze hat das LVwG aber verstoßen, indem es die Abweisung der Maßnahmenbeschwerde ausschließlich auf Umstände - angebliches Fehlen der nach dem Oö. SDLG für die Ausübung der Prostitution erforderlichen medizinischen Untersuchungen - stützte, die im Verfahren von den Parteien gar nicht geltend gemacht worden waren und zu denen vom LVwG auch kein Parteiengehör eingeräumt worden war. Im Übrigen hätte diese Begründung des LVwG seine abweisende Entscheidung auch deshalb nicht tragen können, weil der letzte Halbsatz des § 31 Abs. 1 Z 3 FPG nach seinem Telos (vgl. dazu die ErlRV 330 BlgNR 24. GP 29) darauf abstellt, ob der Fremde während seines Aufenthalts in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgeht, die nicht von dem ihm erteilten Aufenthaltstitel eines anderen Schengen-Staates umfasst ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist der Aufenthalt eines Fremden, der Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels ist, unter dem Gesichtspunkt des letzten Halbsatzes des § 31 Abs. 1 Z 3 FPG als unrechtmäßig zu qualifizieren; also nicht schon dann, wenn bestimmte Rahmenbedingungen für die Aufnahme einer grundsätzlich erlaubten Erwerbstätigkeit (fallbezogen nach dem Oö. SDLG oder wie das LVwG bei der Aktenvorlage noch ergänzend ins Treffen führte: nach der GewO) fehlen.

Da die Abweisung der von der Revisionswerberin erhobenen Maßnahmenbeschwerde vom LVwG nur mit einer nach dem Gesagten nicht tragfähigen Begründung vorgenommen wurde, war das angefochtene Erkenntnis wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 und erfolgte im ausdrücklich verzeichneten Ausmaß.

Wien, am