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VwGH vom 23.05.2012, 2009/11/0250

VwGH vom 23.05.2012, 2009/11/0250

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats in Tirol vom , Zl. uvs- 2008/28/3040-5, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: J M in H, vertreten durch Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rosenbursenstraße 2/15), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Schreiben vom hatte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck den Mitbeteiligten dazu aufgefordert, sich zu den ihm vorgeworfenen - näher bezeichneten - Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes zu äußern, die er dadurch begangen habe, dass er es als gemäß § 9 VStG bestelltes Organ der G GmbH, die Arbeitgeberin zweier namentlich genannter LKW-Lenker sei, zu verantworten habe, dass - wie das Arbeitsinspektorat bei einer Kontrolle der digitalen Daten von LKW im Betrieb Transporte N festgestellt habe - diese Lenker zu (näher aufgelisteten) "gesetzwidrigen Arbeitszeiten herangezogen" worden seien.

In seiner Stellungnahme vom brachte der Mitbeteiligte vor, die G GmbH sei nicht Arbeitgeberin der genannten LKW-Lenker, welche Arbeitnehmer der Firma Transporte N seien. Die G GmbH beauftrage die Firma Transporte N als Frächter mit der Durchführung von Transporten.

Mit Bescheid vom stellte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck daraufhin das Strafverfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein.

In der dagegen erhobenen Berufung machte das Arbeitsinspektorat Innsbruck geltend, zwischen der Firma Transporte N und der G GmbH liege ein Lohnfuhrvertrag und damit eine Überlassung von Arbeitskräften der Firma Transporte N an die G GmbH vor. Letztere sei daher gemäß § 6 Abs. 1 des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) zur Zeit der Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes Beschäftigerin der beiden genannten LKW-Lenker gewesen, woraus sich eine Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten ergebe. Mit diesem, bereits in der Strafanzeige erstatteten Vorbringen habe sich die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ebensowenig auseinandergesetzt wie mit den Angaben des Inhabers der Transporte N, die Disponierung der Lenker sei durch die G GmbH erfolgt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats in Tirol vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde - nach extensiver Wiedergabe des Verfahrensgangs - lediglich ausgeführt, es werde festgestellt, dass die beiden LKW-Lenker im vorfallsgegenständlichen Zeitraum bei der Firma Transporte N beschäftigt gewesen seien. Selbst wenn ein Lohnfuhrvertrag vorgelegen wäre, ändere dies nichts daran, dass zwischen dem Auftraggeber und den ihm zur Verfügung gestellten Lenkern keine arbeitsvertraglichen Rechtsbeziehungen bestehen würden. Arbeitgeberin und damit Fürsorgepflichtige sei vorliegend daher lediglich die Firma Transporte N, weshalb eine Verantwortung des Mitbeteiligten ausscheide.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die gemäß § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 erhobene Amtsbeschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ebenso wie der Mitbeteiligte in der von ihm erstatteten Gegenschrift -, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Im Beschwerdeverfahren ist nur strittig, ob die vom Mitbeteiligten verwaltungsstrafrechtlich repräsentierte G GmbH im gegenständlichen Fall als Arbeitgeberin im Sinne des § 6 Abs. 1 AÜG anzusehen war und daher für die dem Arbeitgeber zur Last gelegten Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes einstehen muss.

Die vorliegend interessierenden Bestimmungen des AÜG lauten auszugsweise:

"§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Beschäftigung von Arbeitskräften, die zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen werden.

§ 2. (1) Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz bezweckt

1. den Schutz der überlassenen Arbeitskräfte, insbesondere in arbeitsvertraglichen, arbeitnehmerschutz- und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten, …

§ 3. (1) Überlassung von Arbeitskräften ist die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte.

(2) Überlasser ist, wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet.

(3) Beschäftiger ist, wer Arbeitskräfte eines Überlassers zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzt.

(4) Arbeitskräfte sind Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen. …

§ 4. (1) Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend.

(2) Arbeitskräfteüberlassung liegt insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber

1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder

2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder

3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder

4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet.

§ 6. (1) Für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers gilt der Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften.

(2) Der Überlasser hat den Beschäftiger auf alle für die Einhaltung des persönlichen Arbeitsschutzes, insbesondere des Arbeitszeitschutzes und des besonderen Personenschutzes maßgeblichen Umstände hinzuweisen.

(3) Für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers obliegen die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers auch dem Beschäftiger.

(4) Der Überlasser ist verpflichtet, die Überlassung unverzüglich zu beenden, sobald er weiß oder wissen muß, daß der Beschäftiger trotz Aufforderung die Arbeitnehmerschutz- oder die Fürsorgepflichten nicht einhält."

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Die beschwerdeführende Partei geht vom Vorliegen eines Lohnfuhrvertrages und "somit" - unter Hinweis auf § 3 AÜG - von einer Überlassung von Arbeitskräften im Sinne des AÜG an die G GmbH durch die Firma Transporte N aus, da die LKW-Lenker der Firma Transporte N von der G GmbH disponiert worden seien und von dieser Ladeaufträge und Weisungen erhalten hätten. Aus § 6 AÜG ergebe sich daher die Verantwortlichkeit des die G GmbH repräsentierenden Mitbeteiligten für die Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes.

Der Mitbeteiligte bestreitet in seiner Gegenschrift ausdrücklich das Vorliegen eines Lohnfuhrvertrages und geht erkennbar vom Vorliegen eines Frachtvertrages aus.

Arbeitskräfteüberlassung im Sinne des AÜG liege keinesfalls vor.

2.2. Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, eine Verantwortung des Mitbeteiligten scheide aus, da Arbeitgeberin und damit Fürsorgepflichtige lediglich die Firma Transporte N sei. Selbst wenn ein Lohnfuhrvertrag vorgelegen wäre, änderte dies nichts daran, dass zwischen dem Auftraggeber und den ihm zur Verfügung gestellten Lenkern keine arbeitsvertraglichen Rechtsbeziehungen bestehen würden.

Diese Einschätzung greift schon deshalb zu kurz, weil sich die belangte Behörde nicht mit der vom Arbeitsinspektorat im gesamten Verfahren vertretenen Auffassung auseinandergesetzt hat, es handle sich vorliegend um einen Fall der Arbeitskräfteüberlassung. Nur aufgrund dieser Rechtsansicht kam das Arbeitsinspektorat jedoch zum Ergebnis, es sei eine Anzeige gegen den Verantwortlichen der G GmbH (als Beschäftigerin iSd § 6 Abs. 1 AÜG) wegen Übertretung des Arbeitszeitgesetzes zu erstatten.

2.3. Ob und welche Rechtsbeziehungen zwischen dem Beschäftiger (Auftraggeber) und der Arbeitskraft, aber auch zwischen dem Beschäftiger und dem Überlasser bestehen, ist für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung nicht entscheidend (vgl. Tomandl , Arbeitskräfteüberlassung (2010) 13 f.).

Maßgebend ist vielmehr, ob nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt eine Überlassung von Arbeitskräften im Sinne des § 4 AÜG vorlag. Eine solche Arbeitskräfteüberlassung ist nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs jedenfalls gegeben, wenn einer der alternativen, in § 4 Abs. 2 Z 1 bis 4 AÜG demonstrativ aufgezählten Tatbestände verwirklicht ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 94/08/0178, vom , Zl. 2002/09/0027, oder vom , Zl. 2005/09/0068, jeweils mwN).

Wie sich aus § 3 Abs. 1 bis 3 AÜG ergibt, kommt es überdies darauf an, dass faktisch Arbeitskräfte einem Beschäftiger zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter dessen Aufsicht und Leitung zu arbeiten, und dass die Arbeitskräfte vom Überlasser vertraglich verpflichtet sind, die ihm geschuldete Arbeitsleistung dem Beschäftiger zu erbringen (§ 3 Abs. 2 AÜG). Unter diesen Voraussetzungen gilt der Beschäftiger gemäß § 6 Abs. 1 AÜG für die Dauer der Beschäftigung als Arbeitgeber im Sinne der Arbeitnehmerschutzvorschriften, womit ihm Verpflichtungen unter anderem aus dem Arbeitszeitgesetz erwachsen ( Tomandl , aaO., 67).

Entgegen der von der belangten Behörde und vom Mitbeteiligten vertretenen Rechtsansicht hängt die strafrechtliche Verantwortung der G GmbH somit nicht vom Bestehen eines Arbeitsvertrages zwischen ihr und den eingesetzten LKW-Lenkern ab, sondern lediglich davon, ob die G GmbH Beschäftigerin dieser Lenker iS des AÜG war.

2.4. Vorliegend hätte die Behörde daher anhand der in den §§ 3 und 4 AÜG festgelegten Kriterien zu prüfen gehabt, ob Arbeitskräfteüberlassung vorlag. Ermittlungen dazu - etwa durch Befragung der beiden im vorfallsgegenständlichen Zeitraum beschäftigten LKW-Lenker sowie der Verantwortlichen der Firma Transporte N und der G GmbH - wurden im gegenständlichen Verfahren nicht durchgeführt.

3. Da der angefochtene Bescheid aufgrund einer unzutreffenden Rechtsansicht Feststellungen und Erwägungen zum Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung vermissen lässt und damit eine nachvollziehbare Begründung für die Einschätzung, eine Verantwortung des Mitbeteiligten scheide aus, nicht enthält, war er gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am