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VwGH vom 18.09.2012, 2009/11/0248

VwGH vom 18.09.2012, 2009/11/0248

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des RN in U, vertreten durch Mag. Stefan Schlager, Rechtsanwalt in 2020 Hollabrunn, Brunnthalgasse 28, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-AB-09-2046, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, Lenkverbot und begleitende Maßnahmen (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Vorstellungsbescheid vom entzog die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn, ihren Mandatsbescheid vom bestätigend, dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klasse B bis einschließlich . Unter einem wurde dem Beschwerdeführer für dieselbe Zeitspanne das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenfahrzeugen verboten. Überdies wurde angeordnet, dass sich der Beschwerdeführer einer Nachschulung zu unterziehen habe und ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen sowie eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen habe.

Die dagegen erhobene Berufung, mit welcher der erstbehördliche Bescheid zur Gänze angefochten wurde, wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (UVS) mit Bescheid vom abgewiesen und der erstbehördliche Bescheid bestätigt.

Begründend führte der UVS im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am gegen 3.40 Uhr als Lenker eines PKW auf dem Gebiet der Tschechischen Republik an einer näher bezeichneten Stelle einen Verkehrsunfall verursacht, in dessen Verlauf er selbst schwer verletzt worden sei. Durch eine etwa eine Stunde nach dem Unfall im Krankenhaus Z. durchgeführte Blutanalyse habe für den Unfallzeitpunkt eine erhebliche Alkoholbeeinträchtigung festgestellt werden können. So gehe aus einem Bericht der tschechischen Verkehrspolizei Z. vom hervor, dass bei der vorläufigen Analyse des venösen Blutes des Beschwerdeführers ein Blutalkoholgehalt von 2,19 Promille festgestellt worden sei. Auch unter Ansetzung des über 12 Stunden nach dem Unfall durch Ärzte in einem Wiener Krankenhaus ermittelten Blutalkoholwertes von 0,0 Promille lasse sich für die Annahme der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers nichts gewinnen, weil aus dem Gutachten des Amtsarztes Dr. R. hervorgehe, dass eine Rückrechnung von einer Blutalkoholkonzentration von 0,0 Promille auf einen bestimmten Tatzeitpunkt nicht möglich sei. Vielmehr habe das amtsärztliche Gutachten festgehalten, dass in einem bestimmten Promillebereich der Alkoholabbau weitgehend linear mit einer Eliminationsrate von 0,1 bis 0,2 Promille pro Stunde erfolge, wobei die Eliminationsrate mit der Gewöhnung an Alkohol zunehme. Alkohol könne nicht nur über die Alkoholhydrogenose in der Leber "verstoffwechselt" werden, auch über das microsomale Äthanol Oxidationssystem (MEOS) in den Zellmitochondrien könnten Alkoholanteile abgebaut werden. Vor allem bei sehr hohen Blutalkoholwerten werde über dieses System mehr Alkohol abgebaut, sodass stündliche Eliminationsraten über 0,2 Promille bis maximal 0,35 Promille vorkommen könnten. Es bestehe folglich kein Widerspruch zwischen der in der tschechischen Republik erfolgten Messung und der später in Österreich gemessenen Blutalkoholkonzentration.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FSG (gemäß § 41 Abs. 9 Z. 3 idF. vor der Novelle BGBl. I Nr. 93/2009) lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

(2) Handelt es sich bei den in Abs. 3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a eine Nachschulung anzuordnen:

3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StVO 1960.

Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. Bei einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 ist unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a zusätzlich die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme anzuordnen. … .

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. … .

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges eine Übertretung gem. § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen; § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist sinngemäß anzuwenden.

Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

…"

Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Die belangte Behörde gründet den angefochtenen Bescheid auf ihre - aus dem Gutachten des Amtsarztes übernommene - Ansicht, aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Blutuntersuchung im Krankenhaus in Wien einen Blutalkoholgehalt von 0,0 Promille aufgewiesen hat, ergebe sich nicht, dass die annähernd 12 Stunden zuvor in der tschechischen Republik durchgeführte Blutuntersuchung, die einen Alkoholgehalt von 2,19 Promille ergeben habe, fehlerhaft gewesen wäre.

Der Beschwerdeführer hat freilich bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass er nach dem Verkehrsunfall zum Teil im Koma gelegen sei und in diesem Zustand von einer deutlich geringeren Abbaurate (nur 0,09 Promille pro Stunde) auszugehen sei. Dazu enthält der angefochtene Bescheid keine Ausführungen. Eine entsprechende Ergänzung des amtsärztlichen Gutachtens, auf das sich die belangte Behörde stützt, wurde von ihr nicht veranlasst. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid gelangt wäre, weil bei einer geringeren als der vom Amtsarzt angegebenen Eliminationsrate ein aufklärungsbedürftiger Widerspruch zwischen den beiden erwähnten Messergebnissen bestehen könnte.

2.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich auch noch aus einem anderen Grund als rechtswidrig.

Durch die Bestätigung ihres Mandatsbescheides vom gab die Erstbehörde in ihrem Vorstellungsbescheid zu erkennen, dass sie die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers jedenfalls für den Zeitraum ab Zustellung des Mandatsbescheides (nach der Aktenlage am ) bis zum entzog. Da die belangte Behörde diesen Vorstellungsbescheid vollinhaltlich bestätigte, macht sie sich die Auffassung der Erstbehörde zu eigen.

Da das Entziehungsverfahren am bereits anhängig war, hatte es die belangte Behörde gemäß § 41 Abs. 9 Z. 3 FSG "nach der bisher geltenden Rechtslage" fortzuführen, mithin nach dem FSG idF. vor der Novelle BGBl. I Nr. 93/2009. § 26 Abs. 2 FSG in der anzuwendenden Fassung ermächtigte bei Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 beim Lenken oder Inbetriebnehmen von Kraftfahrzeugen zur Entziehung der Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten.

Die belangte Behörde hatte daher nach § 26 Abs. 2 FSG in der oben zitierten Fassung davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen war. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stehen die in § 26 Abs. 1 und 2 FSG normierten Mindestentziehungszeiten dem Ausspruch einer Entziehung für einen längeren Zeitraum jedenfalls dann nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die - im Sinne einer Wertung nach § 7 Abs. 4 FSG - auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen. Die Festsetzung einer über die Mindestzeit des § 26 FSG hinausreichenden Entziehungsdauer hat nach der allgemeinen Regel des § 25 Abs. 3 FSG zu erfolgen, d.h. die Behörde darf über eine solche Mindestentziehungszeit nur insoweit hinausgehen, als der Betreffende für einen die Mindestentziehungsdauer überschreitenden Zeitraum verkehrsunzuverlässig ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/11/0023, und vom , Zl. 2009/11/0227, jeweils mwN).

Für den Beschwerdefall folgt daraus, dass sich die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte, vier Monate überschreitende, Dauer der Entziehung nur dann als rechtmäßig erweisen kann, wenn Umstände vorlagen, die - sei es auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung, sei es aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers - die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen.

Dass derartige besondere Umstände im Beschwerdefall vorgelegen wären, ist im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt. Da der angefochtene Bescheid weder Feststellungen zu einem allfälligen sonstigen Fehlverhalten des Beschwerdeführers noch eine Wertung desselben im Sinne des § 7 Abs. 4 FSG enthält, ist nicht nachvollziehbar begründet, weshalb gegenständlich eine die - in § 26 Abs. 2 FSG vorgesehene - Mindestentziehungsdauer übersteigende Entziehungszeit erforderlich sein sollte (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0231, mwN).

2.3. Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-92112