VwGH vom 10.09.2015, Ra 2014/20/0167

VwGH vom 10.09.2015, Ra 2014/20/0167

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

Ra 2014/20/0168

Ra 2014/20/0171

Ra 2014/20/0170

Ra 2014/20/0169

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Eder und und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision 1. des AS, 2. der NS, 3. der SS,

4. des AS, und 5. des IS, alle in G, alle vertreten durch Mag. Jörg Peter Helm, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Schulstraße 12, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom , Zlen.: W159 1436244-1/7E (zu 1.), W159 1436245- 1/5E (zu 2.), W159 1436246-1/4E (zu 3.), W159 1436247-1/4E (zu 4.) und W159 1436248-1/4E (zu 5.), jeweils betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind verheiratet, bei den Dritt- bis Fünftrevisionswerbern handelt es sich um deren minderjährige Kinder.

Die Revisionswerber sind tadschikische Staatsangehörige und usbekischer Volksgruppenzugehörigkeit. Sie reisten am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Anträge auf internationalen Schutz wurden von der Verwaltungsbehörde jeweils mit Bescheiden vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurden die Revisionswerber nach Tadschikistan ausgewiesen.

Begründend führte das Bundesasylamt unter anderem aus, das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin sei nicht glaubwürdig. So seien ihre Angaben via Österreichische Botschaft in Astana einer Überprüfung unterzogen worden. Dabei sei zu Tage gekommen, dass die von den Revisionswerbern vorgelegte behördliche Bestätigung (betreffend den Immobilienbesitz) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Gefälligkeitsschreiben sei. Darüber hinaus habe nicht bestätigt werden können, dass der genannte Widersacher, A.K., Abgeordneter sei und es gebe keinerlei Hinweise, dass die Wohnung der Revisionswerber ausgeraubt oder verwüstet worden sei. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin seien zwar im Stande gewesen, eine im Wesentlichen übereinstimmende Rahmengeschichte vorzubringen, weil jedoch in wesentlichen Punkten Widersprüche aufgetreten seien und belegbare Behauptungen durch einen Vertrauensanwalt nicht hätten bestätigt werden können, sei von der Unglaubwürdigkeit auszugehen. Die übrigen Revisionswerber hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Gegen diese Bescheide erhoben die Revisionswerber Beschwerden an den Asylgerichtshof mit umfangreichen Angaben zu den Fluchtgründen. Die Verfahren über die Beschwerden wurden gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende geführt.

In den Beschwerden traten die Revisionswerber den beweiswürdigenden Erwägungen sowie den darauf beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes entgegen und versuchten, die angeführten Widersprüche zu entkräften. So entgegnete der Erstrevisionswerber den Feststellungen des Bundesasylamtes, dass A.K. kein Parlamentsabgeordneter sei, damit, dass ihn der Dolmetsch nicht richtig verstanden hätte. Der Erstrevisionswerber habe bei seiner Einvernahme ausgesagt, dass A.K. ein sehr einflussreicher Mann und ein Feldkommandant sei. Dass die Verwüstung der Wohnung der Revisionswerber (vom Vertrauensanwalt) nicht bestätigt habe werden können, erklärte der Erstrevisionswerber damit, dass er keine Anzeige erstattet hätte, weil er gleich daraufhin geflohen sei. Weiters bot der Erstrevisionswerber neue Beweismittel für die Richtigkeit seiner Angaben an.

Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden jeweils ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und verwies die Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision wurde jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen gleichlautend aus, zu den Gründen der Ausreise der Revisionswerber könnten mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden. Das Vorbringen des Erstrevisionswerbers sei wohl konkret, ausführlich und zum großen Teil widerspruchsfrei, diesem könne jedoch auf Grund von "Plausibilitätserwägungen und mangels Nachvollziehbarkeit" nicht gefolgt werden, was vom Bundesasylamt zutreffend erkannt worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht trete -

auch aus näher ausgeführten, weiteren beweiswürdigenden Überlegungen - den Feststellungen der Behörde bei, wonach keine Gefährdung der Revisionswerber vor der Ausreise bzw. für den Fall der Rückkehr nach Tadschikistan festgestellt werden könne. Die eingeholte Recherche durch einen Vertrauensanwalt habe überhaupt keine Informationen zu A.K. geliefert. Wenn es sich bei diesem jedoch um eine derart einflussreiche Person handeln würde, hätte eine entsprechende Recherche im Herkunftsstaat wohl zu einem Ergebnis führen müssen.

Zu den Feststellungen des Bundesasylamtes, dass der Erstrevisionswerber zunächst noch gemeint habe, A.K. sei ein Abgeordneter im Parlament gewesen, führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Zweitrevisionswerberin vor dem Bundesasylamt "anfangs überhaupt" erklärt habe, dass es sich bei A.K. um einen Nachbarn gehandelt hätte, was offensichtlich nicht der Fall sei. Zumal die Recherche kein Ergebnis zu A.K. gebracht habe und auch der Erstrevisionswerber - abgesehen von einem Internetauszug, wonach dieser Direktor einer Fabrik sei - keine Informationen habe beibringen können, die auf dessen Einfluss hinweisen würden, erschienen weitere Ermittlungen in diesem Zusammenhang nicht zielführend.

Zu der vorgebrachten Verwüstung bzw. Durchsuchung der Wohnung der Revisionswerber führte das Verwaltungsgericht aus, dass weder der Erstrevisionswerber noch die Zweitrevisionswerberin die Wohnung danach gesehen hätte. Die Zweitrevisionswerberin habe lediglich einen Verwandten zu ihrer Wohnung geschickt. Eine weitere Recherche in diesem Zusammenhang könne demnach zu keinem Ergebnis führen.

Weiters führte das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung aus, dass es mit der allgemeinen Lebenserfahrung geradezu unvereinbar sei, dass A.K., dem selbst die Unterstützung durch den Präsidenten sicher sein soll, es in einem Zeitraum von vielen Jahren nicht geschafft hätte, ein Haus in sein Eigentum zu bringen. Bei dem dargelegten Einfluss von A.K. sei nicht nachvollziehbar, weshalb dieser nicht seinen politischen Einfluss habe spielen lassen, um eine Enteignung des Erstrevisionswerbers oder dergleichen zu erwirken.

In einer Eventualbegründung führte das Bundesverwaltungsgericht zudem aus, dass selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens jeglicher Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen fehle.

Das Absehen von der mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017 und 0018, damit, dass aus dem Inhalt der Verwaltungsakten die Grundlagen der bekämpften Bescheide unzweifelhaft nachvollziehbar seien. Es habe sich auch in den Beschwerden kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit den Revisionswerbern zu erörtern. In den Beschwerden fänden sich weiters keine Hinweise, wonach eine weitere mündliche Verhandlung zur Verfolgungsbehauptung notwendig sei. Den Revisionswerbern sei im Wege des schriftlichen Parteiengehörs Gelegenheit gegeben worden, sich zum Fluchtgrund zu äußern und darzulegen, ob sich am Gesundheitszustand oder an der privaten Situation der Revisionswerber in der Zwischenzeit etwas verändert habe, wobei die in der Folge übermittelte Stellungnahme keine Anhaltspunkte dahingehend geliefert hätte, dass der Sachverhalt nicht geklärt wäre.

Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG sei nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhänge. Es bestehe ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie eine ohnehin klare Rechtslage.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidungen erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revisionswerber brachten zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe.

Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018, dargelegt, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen, die Abstandnahme von der Durchführung einer (beantragten) Verhandlung ermöglichenden - und hier allein in Betracht zu ziehenden - Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Diese in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Zu Recht weisen die Revisionswerber darauf hin, dass die Bestreitung der behördlichen Beweiswürdigung in den Beschwerden nicht bloß unsubstantiiert erfolgt ist. Die Revisionswerber sind in den selbstgeschriebenen Beschwerden mit umfangreichen Gegendarstellungen der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde entgegengetreten und versuchten, die von der Verwaltungsbehörde im Rahmen der Beweiswürdigung angenommenen Widersprüche zu entkräften.

Darüber hinaus ergänzte das Bundesverwaltungsgericht seine Beweiswürdigung gegenüber jener des Bundesasylamtes, der es sich inhaltlich hinsichtlich der Widersprüche im Zusammenhang mit der behaupteten Bedrohung der Revisionswerber durch A.K. anschloss, um weitere, vom Bundesasylamt nicht thematisierte Aspekte, aus denen sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens ergebe. Es nimmt damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0174). Eine solche Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck vom Asylwerber gewonnen werden konnte, zu erfolgen.

Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG für die Abstandnahme von der Durchführung der mündlichen Verhandlung lagen somit nicht vor. Die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, sich zum Fluchtgrund schriftlich zu äußern, kann die Durchführung einer Verhandlung in einem Fall, wie er auch hier vorliegt, nicht ersetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/19/0171).

Zu der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen "Wahrunterstellung" ist auszuführen, dass diese nicht den Anforderungen an die Feststellung des Vorbringens wie sie im hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0069, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt wurden, entspricht. Das Bundesverwaltungsgericht hat es verabsäumt offenzulegen, von welchen als hypothetisch richtig angenommenen Sachverhaltsannahmen bei der rechtlichen Beurteilung konkret ausgegangen wird, um sowohl den Verfahrensparteien als auch dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung zu ermöglichen, ob einerseits die derart erfolgte rechtliche Beurteilung dem Gesetz entspricht, und ob andererseits überhaupt bei der rechtlichen Beurteilung vom Inhalt des Vorbringens ausgegangen wurde. Die Wiedergabe der - vom Verwaltungsgericht als widersprüchlich eingestuften - Angaben des Erstrevisionswerbers im Rahmen der Darstellung des Verfahrensganges ist dafür nicht hinreichend. Das Bundesverwaltungsgericht konnte das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung daher auch nicht auf die Eventualbegründung stützen.

Die angefochtenen Erkenntnisse erweisen sich somit als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet und waren gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf den Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war - soweit es den in der genannten Verordnung als Ersatz für den Schriftsatzaufwand festgelegten Betrag übersteigt - abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/02/0050).

Wien, am