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VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0231

VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0231

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des W B in S, vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Müllerstraße 27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats in Tirol vom , Zl. Uvs-2007/17/1325-6 und 2007/17/2474-6, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit für die Dauer von vier Monaten, gerechnet ab dem Tag der Abnahme (), entzogen und für dieselbe Zeit ein Lenkverbot ausgesprochen. Die dagegen erhobene Vorstellung wies die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck mit Bescheid vom ab, bestätigte den Mandatsbescheid und erkannte einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen (Spruchpunkt 2) und der Beschwerdeführer gleichzeitig im Instanzenzug einer Übertretung des § 99 Abs. 1b StVO 1960 für schuldig erkannt (Spruchpunkt 1; die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit dem hg. Beschluss vom , Zl. 2009/02/0325, abgelehnt).

Zur Entziehung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht. Eine in der Folge durchgeführte Alkomatmessung habe einen Alkoholgehalt von 0,50 mg/l in der Atemluft des Beschwerdeführers ergeben. Er habe somit eine Übertretung nach § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen. Eine Wertung im Hinblick auf die Verkehrszuverlässigkeit führe "zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass es zum einen sehr gefährlich ist, wenn man sein Fahrzeug alkoholisiert lenkt, was hier im gegenständlichen Fall dann auch zu einem Verkehrsunfall geführt hat. Außerdem ist es verwerflich, wenn man sich alkoholisiert in den Straßenverkehr wagt, gefährdet man doch sich selbst und auch seine Mitmenschen erheblich."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Die gegenständlich maßgeblichen Vorschriften des Führerscheingesetzes (FSG, in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 93/2009) lauten auszugsweise:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:


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1.
2.
verkehrszuverlässig sind (§ 7),
Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. Sind für die Person, der die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit zu entziehen ist, zum Zeitpunkt der Entziehung im Vormerksystem (§ 30a) Delikte vorgemerkt, so ist für jede dieser im Zeitpunkt der Entziehung bereits eingetragenen Vormerkungen die Entziehungsdauer um zwei Wochen zu verlängern; davon ausgenommen sind Entziehungen auf Grund des § 7 Abs. 3 Z 14 und 15.

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. (1) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gem. § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen, so ist, wenn es sich nicht um einen Lenker eines Kraftfahrzeuges der Klasse C oder D handelt und zuvor keine andere der in § 7 Abs. 3 Z 1 und 2 genannten Übertretungen begangen wurde, die Lenkberechtigung für die Dauer von einem Monat zu entziehen.

Wenn jedoch


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1.
2.
der Lenker bei Begehung dieser Übertretung einen Verkehrsunfall verschuldet hat,
so hat die Entziehungsdauer mindestens drei Monate zu betragen. § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist in allen Fällen sinngemäß anzuwenden.
…"
2.
Die Beschwerde ist begründet.
Im Beschwerdefall ist von einer rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen einer Übertretung des § 99 Abs. 1b StVO 1960 auszugehen. Überdies ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer bei Begehung dieser - nach der Aktenlage erstmaligen - Übertretung am einen Verkehrsunfall verschuldet hat.
Die belangte Behörde hatte daher nach § 26 Abs. 1 Z 2 FSG davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens drei Monaten zu entziehen war. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stehen die in § 26 Abs. 1 und 2 FSG normierten Mindestentziehungszeiten dem Ausspruch einer Entziehung für einen längeren Zeitraum jedenfalls dann nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die - im Sinne einer Wertung nach § 7 Abs. 4 FSG - auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen. Die Festsetzung einer über die Mindestzeit des § 26 FSG hinausreichenden Entziehungsdauer hat nach der allgemeinen Regel des § 25 Abs. 3 FSG zu erfolgen, d.h. die Behörde darf über eine solche Mindestentziehungszeit nur insoweit hinausgehen, als der Betreffende für einen die Mindestentziehungsdauer überschreitenden Zeitraum verkehrsunzuverlässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0023, mwN.).
Für den Beschwerdefall folgt daraus, dass sich die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte viermonatige Dauer der Entziehung nur dann als rechtmäßig erweisen kann, wenn Umstände vorlagen, die - sei es auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung, sei es aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers - die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen.
Dass derartige besondere Umstände im Beschwerdefall vorgelegen wären, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die Feststellungen der belangten Behörde reduzieren sich darauf, dass der Beschwerdeführer mit einem Alkoholgehalt von 0,5 mg/l in der Atemluft sein Fahrzeug gelenkt und dabei einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht habe. Soweit die belangte Behörde meint, mit der Aussage, es sei "verwerflich, wenn man sich alkoholisiert in den Straßenverkehr wagt", eine Wertung vorzunehmen, übersieht sie, dass diese (allgemeine) Wertung schon der Gesetzgeber vorgenommen hat, indem er insbesondere für Alkoholdelikte im Straßenverkehr in § 26 FSG eine Mindestentziehungsdauer oder eine fixe Entziehungsdauer festgelegt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl 2010/11/0101, mwN).
Da der angefochtene Bescheid somit weder Feststellungen zu einem allfälligen sonstigen Fehlverhalten des Beschwerdeführers noch eine Wertung desselben im Sinne des § 7 Abs. 4 FSG enthält, ist nicht nachvollziehbar begründet, weshalb gegenständlich eine längere als die in § 26 Abs. 1 Z 2 FSG vorgesehene Mindestentziehungszeit erforderlich sein sollte.
3.
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt 2 gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die bereits im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand enthaltene Umsatzsteuer.
Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-92083