VwGH vom 03.03.2011, 2011/22/0014
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des N, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , Zl. E1/3715/4/2010, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen,
gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 unter Bedachtnahme auf § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1995 insgesamt zwölfmal wegen verschiedener Gewalt- und Aggressionsdelikte sowie Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu mehrmonatigen bedingten und unbedingten Haftstrafen rechtskräftig verurteilt worden sei. Zuletzt sei er am durch das Landesgericht Salzburg wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden, die im Berufungsweg auf drei Jahre und neun Monate herabgesetzt worden sei. Der Beschwerdeführer habe von August 2005 bis August 2007 300 g Kokain und eine unbekannte Menge Heroin erworben und bis zum jeweiligen Eigenkonsum besessen sowie vom Frühjahr 2006 bis August 2007 6 g Kokain und insgesamt 1.050,50 g Heroin in einer die Grenzmenge 105-fach übersteigenden Menge durch Verkauf anderen überlassen.
In der Folge listete die belangte Behörde die konkreten strafbaren Handlungen, die zur letztgenannten Verurteilung geführt haben, auf.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zum Schutz der Volksgesundheit und zur Verhinderung strafbarer Handlungen dringend geboten. Durch die Begehung eines schwerwiegenden Suchtgiftdeliktes über einen längeren Zeitraum hinweg habe der Beschwerdeführer seine besondere Gefährlichkeit für die Gesellschaft deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Beschwerdeführer sei an Drogengeschäften in Bezug auf Heroin in einer 105-fachen Grenzmenge innerhalb von zwei Jahren beteiligt gewesen. Bei Suchtgiftdelikten sei erfahrungsgemäß die Wiederholungs- und Rückfallsgefahr besonders groß.
Der Beschwerdeführer habe zuerst angegeben, dass er sich seit seinem dritten Lebensjahr in Österreich befinde. Später habe er ausgesagt, bereits in Österreich geboren worden zu sein. Er sei ledig und lebe in einer Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen. Er habe ein 14-jähriges Kind, für das er sorgepflichtig sei und das bei der vom Beschwerdeführer getrennt lebenden Mutter lebe. Mit seiner Mutter und seiner deutschen Lebensgefährtin habe der Beschwerdeführer am einen gemeinsamen Haushalt gegründet. Er sei am österreichischen Arbeitsmarkt integriert. Er habe nach seinen Angaben keine Bindungen zu seinem Heimatstaat Serbien und es befinde sich seine gesamte Familie in Österreich. Es deute (aber) nichts darauf hin, dass es (ihm) unmöglich wäre, sich in die serbische Gesellschaft zu integrieren. Seit dem Jahr 1989 sei er im Besitz eines unbefristeten Sichtvermerks.
Bei Abwägung der öffentlichen und der privaten Interessen wiege die Verurteilung vom wegen verschiedener Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz so schwer, dass trotz der langen Dauer des inländischen Aufenthaltes ein unbefristetes Aufenthaltsverbot jedenfalls gerechtfertigt sei.
Gemäß § 61 Z 4 FPG dürfe zwar ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen sei. Dies gelte aber nicht, wenn der Fremde (wie hier) rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.
Auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers sei nicht vorhersehbar, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, weggefallen sein werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).
In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.
Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die behördlichen Feststellungen. Der Gerichtshof hegt somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Unter Berücksichtigung der schweren Suchtmitteldelinquenz des Beschwerdeführers kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass die Gefährlichkeitsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG getroffen werden muss.
Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer seit 1989 im Besitz eines zeitlich unbefristeten Sichtvermerks für Österreich sei. Dieser unbefristete Sichtvermerk gilt gemäß § 11 Abs. 2 lit. D iVm § 11 Abs. 3 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG". Dies bedeutet, dass an das Verhalten des Beschwerdeführers der erhöhte Gefährdungsmaßstab nach § 56 Abs. 1 FPG anzulegen ist.
§ 56 FPG lautet:
"§ 56. (1) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' oder 'Daueraufenthalt-Familienangehöriger' verfügen, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(2) Als schwere Gefahr im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht
1. wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, entgeltlicher Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt, Eingehens oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder Aufenthaltspartnerschaften, wegen einer Aufenthaltsadoption oder der Vermittlung einer Aufenthaltsadoption, wegen eines mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens nach dem SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des besonderen Teils des StGB oder
2. wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten
rechtskräftig verurteilt worden ist.
(3) § 55 Abs. 4 und 5 gilt."
Auch bei Anlegung dieses Maßstabs ist auf Grund des Suchtgifthandels des Beschwerdeführers mit Heroin und Kokain die Gefährdungsprognose gerechtfertigt, zumal der für das Vorliegen einer schweren Gefahr beispielsweise aufgezählte Tatbestand des § 56 Abs. 2 FPG bei weitem erfüllt ist.
Soweit die Beschwerde vorbringt, der Beschwerdeführer sei mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet, die ihn während der Anhaltung in Haft geheiratet habe, gesteht die Beschwerde selbst zu, dass es sich um eine "Neuerung" handelt, die somit dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Neuerungsverbot unterliegt.
Die Beschwerde wendet sich in erster Linie gegen das Ergebnis der Interessenabwägung durch die belangte Behörde nach § 66 iVm
§ 66 FPG lautet auszugsweise:
"§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;
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2. | das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; |
3. | die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; |
4. | der Grad der Integration; |
5. | die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; |
6. | die strafgerichtliche Unbescholtenheit; |
7. | Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; |
8. | die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren. |
(3)…" | |
Die belangte Behörde berücksichtigte, dass der Beschwerdeführer vermutlich seit seiner Geburt, jedenfalls seit dem dritten Lebensjahr in Österreich aufgewachsen ist, berufstätig ist und mit seiner Mutter und einer deutschen Lebensgefährtin einen Haushalt gegründet hat. Er hat weiters eine Tochter, die aber nicht mit dem Beschwerdeführer zusammenlebt. | |
Ohne Zweifel ist mit dem Aufenthaltsverbot ein schwerwiegender Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. | |
In diesem Zusammenhang hat aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom , "Kaya gegen Deutschland", NL 2007, 144, ausgesprochen, dass die Ausweisung eines Migranten zweiter Generation zulässig sei, wenn dem Fremden schwerwiegende strafbare Handlungen zur Last zu legen sind. In dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Fall wurde der Fremde u.a. wegen versuchten schweren Menschenhandels und Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Im Vergleich dazu sind das Fehlverhalten des Beschwerdeführers und das öffentliche Interesse an seiner Außerlandesschaffung nicht geringer anzusetzen, birgt doch der Handel mit Heroin im Ausmaß des 105-fachen der Grenzmenge eine äußerst große Gefahr für die Gesundheit anderer. | |
Hinsichtlich seiner Bindungen zum Heimatstaat bringt der Beschwerdeführer vor, solche Bindungen verloren und sogar die "serbische" Sprache verlernt zu haben. Damit wird jedoch offengelegt, dass der Beschwerdeführer die Sprache seines Heimatlandes beherrscht hat und es kann angenommen werden, dass er sich diese Fähigkeit in zumutbarer Weise wieder verschaffen kann. | |
Mit dem Vorbringen, die erste Verurteilung des Beschwerdeführers sei bereits im Jahr 1995 erfolgt und die Fremdenpolizeibehörden hätten es unterlassen, entsprechend gegen den Beschwerdeführer vorzugehen, meint die Beschwerde, dass es, wäre der Beschwerdeführer verwarnt worden, zu weiteren Straftaten voraussichtlich nicht gekommen wäre. Mit diesem Hinweis auf die wiederholte Straffälligkeit des Beschwerdeführers wird jedoch eine Verringerung des öffentlichen Interesses an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht dargetan. | |
In Gesamtbetrachtung aller Umstände kann die behördliche Auffassung, der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff nach Art. 8 EMRK sei im vorliegenden Fall nicht unverhältnismäßig, nicht als rechtswidrig erkannt werden. | |
Nach dem Gesagten stellt es - im konkreten, durch die äußerst schwere jüngste Suchtmittelkriminalität geprägten Fall - in Bezug weder auf die Gefährdungsprognose noch auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rechtswidrigkeit dar, dass die belangte Behörde Feststellungen zu den vorangegangenen Verurteilungen und das diesen zu Grunde liegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers unterlassen hat. Sie durfte jedenfalls berücksichtigen, dass die Straffälligkeit des Beschwerdeführers bereits im Jahr 1995 begonnen hat, er mehrfach rechtskräftig verurteilt wurde und es sich somit bei den zuletzt verübten strafbaren Handlungen keinesfalls um Einzelfälle gehandelt hat. | |
Soweit die Beschwerde letztlich meint, die belangte Behörde habe ihrer Begründungspflicht nicht entsprochen und kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, wird die Relevanz dieser Verfahrensrüge nicht dargelegt. Die Beschwerde bringt nämlich nicht vor, welche Feststellungen die belangte Behörde auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse hätte treffen können, die zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätten führen können. | |
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. | |
Wien, am |
Fundstelle(n):
CAAAE-92075