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VwGH vom 28.04.2016, Ra 2014/20/0139

VwGH vom 28.04.2016, Ra 2014/20/0139

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision des A R in W, vertreten durch Dr. Hubert Mayrhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. L502 1419812-1/25E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Das vom Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA) zur Feststellung des Lebensalters des Revisionswerbers in Auftrag gegebene gerichtsmedizinische Gutachten vom brachte im Ergebnis hervor, dass die Feststellung eines Mindestalters des Revisionswerbers aufgrund von Hinweisen "auf eine erhebliche Störung der körperlichen Entwicklung" nicht möglich sei. Das zum Zeitpunkt der Untersuchung geltend gemachte chronologische Alter von sechzehn Jahren könne aufgrund der erhobenen Befunde aus gerichtsmedizinischer Sicht nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden.

3 Mit Schreiben vom übermittelte das Amt für Jugend und Familie als gesetzliche Vertretung für den Revisionswerber einen ambulanten Patientenbrief, welchem unter anderem zu entnehmen ist, dass im Gespräch mit dem Revisionswerber eine kognitive Dysfunktion auffalle.

4 Mit Eingabe vom übermittelte die gesetzliche Vertretung des Revisionswerbers wiederum ihn betreffende medizinische Unterlagen. Aus dem übermittelten psychologischen Befund geht zur Persönlichkeitsdiagnostik unter anderem hervor, dass der Revisionswerber eine unterdurchschnittliche Intelligenz (IQ: 72) aufweise.

5 Im Weiteren erfolgte auf Ersuchen des Bundesasylamtes am eine polizeiärztliche Stellungnahme hinsichtlich der Fragestellung, ob der Revisionswerber im Irak einer dauerhaften beziehungsweise dringend notwendigen medizinischen Behandlung bedürfe. Aus der chefärztlichen Beurteilung geht hervor, dass der Revisionswerber angesichts einer "cerebral bedingten Hormonstörung" einer regelmäßigen und lebenslangen Testosterontherapie bedürfe. Dem dieser Stellungnahme zugrundegelegten Befund der Ambulanz für Sexualentwicklungsstörungen lässt sich entnehmen, dass der Revisionswerber auf das Vorliegen eines Prader-Willi-Syndroms bzw. Prader-Willi-ähnlicher Syndrome untersucht wurde. Dabei hätten in der genetischen Untersuchung "bisher keine Auffälligkeiten gefunden werden" können. Gegen eine syndromale Erkrankung spreche auch eher die im familiären Bereich gelegene normale Körpergröße und der "deutlich verbesserte bzw. normalisierte intellektuelle Eindruck mit zunehmenden Sprachkenntnissen". Zur weiterführenden Abklärung werde die Durchführung eines Schädel-MRTs empfohlen.

6 Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den "Herkunftsstaat Irak/Autonome Kurdenzone Nordirak" abgewiesen und der Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Irak/Autonome Kurdenzone Nordirak" ausgewiesen. Die Zustellung erfolgte an den damals bereits volljährigen Revisionswerber persönlich.

7 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, die dem damals zuständigen Asylgerichtshof vorgelegt wurde.

8 Mit Eingabe vom übermittelte die Asylrechtsberatung einer näher bezeichneten Organisation ein Schreiben der Ambulanz für Sexualentwicklungsstörungen, wonach beim Revisionswerber eine ausgeprägte Adipositas, Hyperlipidämie sowie ein hypophysär verursachter Hypogonadismus bestehe, weshalb es einer regelmäßigen Testosteronsubstitutionstherapie bedürfe. Ferner wurde eine Bestätigung über die Teilnahme des Revisionswerbers an einem Vorbereitungskurs für den Pflichtschulabschluss vorgelegt.

9 Das Verfahren über die Beschwerde wurde ab gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) weitergeführt.

10 Eine für den anberaumte mündliche Verhandlung wurde nach einer Mitteilung durch die vorgenannte Beratungsstelle, wonach der Revisionswerber seit Mitte Februar 2014 abgängig sei, abberaumt.

11 Am wurde dem Bundesverwaltungsgericht die neue Meldeadresse des Revisionswerbers bekannt gegeben.

12 Am führte das Bundesverwaltungsgericht unter Mitwirkung des unvertretenen Revisionswerbers eine mündliche Verhandlung durch.

13 In weiterer Folge wurde noch ein psychiatrischer Befund vom vorgelegt, der unter anderem festhält: "Im Gespräch wirkt (der Revisionswerber) einfach strukturiert, er ist sprunghaft, weitschweifig und unkonzentriert. Laut Angaben der Betreuer ist er im täglichen Umgang sehr schwierig und wenig fassbar. Er berichtet, er sei wegen Haarausfall im AKH in Hormon-Behandlung, er bekomme alle 3 Monate eine Spritze. Laut Betreuern handelt es sich um eine cerebral bedingte Hormon-Störung, mit der vermutlich eine intellektuelle Beeinträchtigung einhergeht. Der Patient klagt über Schlafstörung". Als Diagnosen werden eine "Organische psychische Störung aufgrund einer Schädigung des Gehirns F06.8" sowie eine "Nichtorganische Insomnie F51.0" festgehalten.

14 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am - hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. gemäß §§ 3 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und verwies das Verfahren gemäß § 75 Abs. 19 und 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erachtet. Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber im Irak vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen ausgesetzt gewesen sei oder er im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt wäre. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Irak aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wäre.

Zur gesundheitlichen Situation des Revisionswerbers wurde festgestellt, dass dieser "seit seiner Jugend an einer 'cerebral bedingten Hormonstörung', einem sogen. Hypogonadismus" leide. Zur Behandlung des daraus resultierenden chronischen Testosteronmangels bedürfe der Revisionswerber einer regelmäßigen und lebenslangen Testosteron-Substitutionstherapie, die er auch bereits in seiner Heimat erhalten habe.

Beweiswürdigend erachtete das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers zu den behaupteten Ausreisegründen aus näher dargelegten Erwägungen für nicht glaubhaft. Im Hinblick auf das Aussageverhalten des Revisionswerbers verkenne das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass dieser in seinem Herkunftsstaat lediglich ein sehr niedriges Bildungsniveau erlangt habe, das ihm seiner Aussage nach etwa keine schriftliche Artikulation in der Landessprache ermögliche und dass in Österreich von ärztlicher Seite im Zuge der Diagnose seiner hormonellen Erkrankung auch offenkundig eingeschränkte intellektuelle Fähigkeiten festgestellt worden seien. Im Lichte dessen, dass er demgegenüber in der Heimat über mehrere Jahre einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, in Österreich verschiedene Bildungsmaßnahmen absolviert habe, indem er sich auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift angeeignet und zuletzt die Erlangung des Pflichtschulabschlusses angestrebt habe, er fallweise die Tätigkeit eines Portiers in seiner Unterkunft ausgeübt habe und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG wie schon in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt die grundsätzliche Fähigkeit, die ihm gestellten Fragen zu erfassen und zu beantworten, gezeigt habe, sei jedoch kein maßgeblicher Hinweis darauf gegeben, dass der Revisionswerber nicht in der Lage gewesen wäre, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen und entsprechende Angaben zu seinen Ausreiseumständen und -gründen zu tätigen.

In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, dass die belangte Behörde zu Recht zum Ergebnis gekommen sei, dass der Revisionswerber nicht in der Lage gewesen sei, glaubhaft zu machen, dass er einer individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen sei oder für den Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre. Es sei daher auch nach Ansicht des BVwG die Glaubhaftmachung einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben. Hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG aus, dass im Hinblick auf etwaige widrige Lebensumstände im Herkunftsstaat derart exzeptionelle Umstände, die eine Rückführung im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen lassen könnten, im Falle des Revisionswerbers nicht ersichtlich seien. Weder vor dem Hintergrund der Verhältnisse im Herkunftsstaat noch vor dem Hintergrund des persönlichen Vorbringens des Revisionswerbers sei festzustellen gewesen, dass dieser bei einer Rückführung in den Irak in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse oder im Hinblick auf das Vorliegen eines Zustands willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes einer maßgeblichen Bedrohung ausgesetzt wäre. Auch eine lebensbedrohende Erkrankung des Revisionswerbers oder ein sonstiger auf seine Person bezogener "außergewöhnlicher Umstand", welcher ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen könnte, habe im Verfahren nicht festgestellt werden können.

Zur Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gelangte das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die dargestellten individuellen Interessen des Revisionswerbers iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK noch nicht so ausgeprägt seien, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen würden. Da sohin bei Berücksichtigung aller Tatsachen keine Umstände hervorgekommen seien, die eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen, sei das Verfahren in Entsprechung des § 75 Abs. 19 und 20 AsylG hinsichtlich Spruchpunkt II. zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die verba legalia und hielt fest, dass die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht werden.

16 Die Revision erblickt ihre Zulässigkeit zunächst darin, dass das BVwG in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prozessfähigkeit zwar die krankheitsbedingt verminderte Intelligenz des Revisionswerbers festgestellt, aber nicht erkannt habe, dass dieser Umstand Auswirkungen auf seine Handlungsfähigkeit, insbesondere auf seine Prozessfähigkeit, habe. Unter Wiedergabe von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt der Revisionswerber zusammengefasst aus, dass er die für die Prozessfähigkeit entscheidenden Anforderungen an eine Partei aufgrund seiner Geistesschwäche nicht habe erfüllen können. Das BVwG attestiere dem Revisionswerber zwar auch in diesem Konnex "offenkundig eingeschränkte intellektuelle Fähigkeiten", gehe aber im Widerspruch zu dieser Feststellung in inkompetenter Weise, weil ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen, davon aus, dass er die grundsätzliche Fähigkeit, die ihm gestellten Fragen zu erfassen und zu beantworten, aufweise.

Im Übrigen erkennt die Revision eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auch insoweit, als durch die im Vergleich zu § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 1997 iVm § 57 Fremdengesetz 1997 ergänzte Fassung von § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, wonach eine Zurückweisung des Fremden auch dann unzulässig ist, wenn diese für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, eine Änderung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedingt wäre, weil im Falle einer solchen Beurteilung nun nicht mehr auf die konkrete Situation des Fremden abzustellen sei.

17 Mit Eingabe vom übermittelte der Verfahrenshelfer des Revisionswerbers einen Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , mit dem Rechtsanwalt Dr. A für den Revisionswerber zum Verfahrenssachwalter sowie zum einstweiligen Sachwalter zur Besorgung näher bezeichneter dringender Angelegenheiten (§ 120 AußStrG), darunter die Vertretung vor Gerichten und Behörden, bestellt wurde. In der Begründung des Beschlusses wird angeführt, dass der Revisionswerber nach dem Ergebnis der Erstanhörung nicht in der Lage sei, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft werde, sei daher fortzusetzen. Ergänzend führte der Revisionswerber aus, dass seine Insuffizienz schon vor dem Sachwalterschaftsverfahren während des gesamten "fremdenrechtlichen Verfahrens" vorgelegen sei.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

19 Die Revision erweist sich im Hinblick auf ihr Vorbringen zur Prozessfähigkeit als zulässig. Sie ist auch begründet.

20 Zu den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen:

§ 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:

" Anzuwendendes Recht

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte."

Die §§ 9 und 11 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes relevanten Fassung lauten:

"Rechts- und Handlungsfähigkeit

§ 9. Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

§ 11. Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines Sachwalters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen."

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot nur insoweit gilt, als eine Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Verwaltungsverfahren Gelegenheit hatte, Tatsachen und Beweismittel vorzubringen.

Ein Prozessunfähiger, für den - wie im vorliegenden Fall - erst nach Abschluss eines Verwaltungsverfahrens ein Sachwalter bestellt wurde, ist diesem Fall - vor dem Hintergrund der spezifischen Zweckgerichtetheit des Geschäftsunfähigenschutzes - gleichzuhalten: er darf daher unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung beachtliches Vorbringen dahin erstatten, dass er schon vor der Bestellung dieses Sachwalters prozessunfähig gewesen ist. Dieser Umstand ist - gegebenenfalls - vom Verwaltungsgerichtshof als Verfahrensmangel und ungeachtet der Frage aufzugreifen, ob das Verwaltungsgericht an diesem Verfahrensmangel ein Verschulden trifft und ob ihm dieser nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (vgl. zum Gesamten das hg. Erkenntnis vom , 2001/08/0192, mwN).

22 Der Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters hat konstitutive Wirkung und führt ab seiner Erlassung - innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters - zur eingeschränkten Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des Betroffenen. Selbige Überlegungen gelten auch für einen mit sofortiger Wirkung gemäß § 120 AußStrG bestellten einstweiligen Sachwalter (vgl. den hg. Beschluss vom , 2013/03/0162, mwN). Für die Zeit davor ist vom Verwaltungsgerichtshof erforderlichenfalls selbst zu prüfen, ob der Revisionswerber schon damals nicht mehr prozessfähig gewesen ist (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom ). Über den Zeitraum vor der Sachwalterbestellung ist aus dem Umstand einer solchen Bestellung zu gewinnen, dass sich begründete Bedenken gegen die in Rede stehenden Fähigkeiten der betreffenden Person ergeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/02/0095, mwN).

23 Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer Partei ist zufolge des § 9 AVG - wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Hiefür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens sowie der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst.

Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist nach § 9 AVG als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Die Behörde hat somit bei Zweifeln über die Handlungsfähigkeit des Betroffenen die Frage von Amts wegen zu prüfen, ein entsprechendes Ermittlungsverfahren zu führen - idR durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - und entsprechende begründete Feststellungen zu treffen, dies bezogen auf die verfahrensrelevanten Zeiträume. Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung hat die Behörde nach § 11 AVG vorzugehen oder das Verfahren mit der betreffenden Person durchzuführen (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2014/02/0095, vom , 2011/02/0053, sowie vom , 2004/18/0221, bzw die in Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze2, Band I, § 9 AVG, E 117, 118 zitierte hg. Judikatur sowie Hengstschläger/Leeb , AVG2 (2014), § 11 AVG, Rz 3).

Zudem kommt es für die Frage der Wirksamkeit der Zustellung darauf an, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. wiederum das zitierte hg. Erkenntnis vom , 2011/02/0053, mwN).

Gemäß § 17 VwGVG iVm §§ 9, 11 AVG gelten diese Ausführungen auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

24 Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, dass nicht erst durch die vorläufige Bestellung eines Sachwalters mit Aufgabenspektrum u.a. "Vertretung vor Gerichten und Behörden" für den Revisionswerber, sondern bereits im Verwaltungsverfahren erhebliche Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Prozessfähigkeit des Revisionswerbers vorlagen:

So legte der Revisionswerber im Laufe des Verfahrens (psychologische) Befunde vor, aus denen im Wesentlichen hervorgeht, dass er über eine unterdurchschnittliche Intelligenz (IQ: 72) verfüge (vgl. insofern etwa den Befund eines klinischen Psychologen vom ) und auch eine kognitive Dysfunktion auffalle (vgl. den ambulanten Patientenbrief vom ). Ferner wurde in einem psychiatrischen Befund auch die Diagnose "Organische psychische Störung aufgrund einer Schädigung des Gehirns F06.8" gestellt und wurde der Revisionswerber unter einem als "einfach strukturiert" sowie "sprunghaft, weitschweifig und unkonzentriert" beschrieben. Den vorgelegten Schriftstücken lässt sich auch entnehmen, dass der Revisionswerber zwischenzeitig - ohne Verständigung seiner Betreuer - abgängig war.

Aufgrund dieser konkreten Hinweise hätten dem Bundesverwaltungsgericht Zweifel an der Prozessfähigkeit des Revisionswerbers kommen müssen. Zwar wog das BVwG in der angefochtenen Entscheidung die Umstände des geringen, im Herkunftsstaat erlangten Bildungsniveaus des Revisionswerbers, seine eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten, die mehrjährige Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers in seiner Heimat, verschiedene, in Österreich absolvierte Bildungsmaßnahmen (inklusive des Erlernens von Grundkenntnissen der deutschen Sprache), seine fallweise Tätigkeit als Portier und die grundsätzliche (in der mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgezeigte) Fähigkeit, ihm gestellte Fragen zu erfassen und zu beantworten, dahingehend ab, dass sich daraus kein maßgeblicher Hinweis darauf ergebe, dass der Revisionswerber nicht in der Lage gewesen wäre, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen und entsprechende Angaben zu seinen Ausreisegründen und -umständen zu tätigen. Bei dieser Beurteilung ließ das BVwG jedoch die vorgelegten medizinischen/psychologischen Befunde außer Acht, die deutliche Hinweise darauf enthalten, dass beim Revisionswerber ein gesundheitliches Defizit vorliegt, dem nicht von vornherein die Eignung abgesprochen werden kann, die Prozessfähigkeit des Revisionswerbers zu widerlegen. Die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, es lägen keine maßgeblichen Hinweise auf eine fehlende Prozessfähigkeit des Revisionswerbers vor, erweist sich vor dem Hintergrund der unterbliebenen Einbeziehung der vorgelegten Befunde als nicht schlüssig.

25 Für den vorliegenden Fall ergibt sich, dass es das Bundesverwaltungsgericht in Verkennung des Vorliegens entsprechender Anhaltspunkte unterlassen hat, weitere Ermittlungen zur Frage zu tätigen, ob der Revisionswerber während des Beschwerdeverfahrens und allenfalls auch schon ab Beginn des Verwaltungsverfahrens tatsächlich jene Fähigkeiten besessen hat, die für die Wirksamkeit von Verfahrensschritten erforderlich sind, zumal behördliche Akte nicht gegenüber Personen wirksam werden können, denen die Fähigkeit fehlt, die Bedeutung und Tragweite dieser Akte zu erkennen, für sie aber - aus welchem Grund immer - ein Sachwalter noch nicht bestellt ist.

26 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

27 Zur Zulässigkeit der vorliegenden Revision bleibt darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Erkenntnis nach der Aktenlage jedenfalls dem BFA, dem im Verfahren vor dem BVwG Parteistellung zukommt (§ 18 VwGVG), rechtswirksam zugestellt wurde (vgl. zur Zustellung per Telefax den hg. Beschluss vom , Fr 2014/18/0033) und damit rechtliche Existenz erlangte, sodass eine Anfechtung durch eine weitere Partei des Asylverfahrens, der das Erkenntnis allenfalls nicht rechtswirksam zugestellt wurde, unter diesem Aspekt zulässig ist (vgl. die zur früheren Rechtslage ergangenen, auf das Revisionsverfahren übertragbaren hg. Erkenntnisse vom , 2006/19/0480, und vom , 2008/23/0519).

28 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am