VwGH vom 19.02.2014, 2011/22/0009

VwGH vom 19.02.2014, 2011/22/0009

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der H, vertreten durch Dr. Robert Galler und Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Viktor-Keldorfer-Straße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , Zl. E1/4650/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren für Schriftsatzaufwand wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin, eine chinesische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe bei der Österreichischen Botschaft in Shanghai einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta.- Ö" eingebracht, der am bei der erstinstanzlichen Behörde eingegangen sei. Diesem Antrag habe die Beschwerdeführerin einen Meldezettel, einen Staatsbürgerschaftsnachweis sowie eine Ablichtung des österreichischen Reisepasses des X beigelegt und ihn als ihren Vater bzw. gesetzlichen Vertreter bekannt gegeben. In der Folge sei ihr ein Aufenthaltstitel bis zum erteilt worden. Dieser sei mehrfach, zuletzt als Aufenthaltstitel für den Zweck "Familienangehöriger" bis zum verlängert worden.

Am habe die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eingebracht. Im Zuge jenes Verfahrens seien die Staatsbürgerschaftsakten ihrer "angeblichen" Eltern X und Y überprüft worden. In den darin erliegenden handgeschriebenen Lebensläufen hätten sich keine Hinweise darauf gefunden, dass die Beschwerdeführerin das leibliche Kind des (ehemaligen) Ehepaares X und Y sei, weil darin lediglich die Geburt von zwei Söhnen angegeben worden sei, wobei der erste Sohn 1981 in China und der zweite Sohn im Jänner 1992 in Österreich geboren worden sei.

Bei einer diesbezüglichen Einvernahme am durch die Niederlassungsbehörde erster Instanz habe Herr X angegeben, dass er lediglich die genannten zwei Söhne als leibliche Kinder habe und die Beschwerdeführerin bei seiner Mutter in China aufgewachsen sei. Er habe auch schriftlich einer Urkundenüberprüfung auf inhaltliche Richtigkeit und einer DNA-Analyse zugestimmt. In weiterer Folge sei Frau Y am als Zeugin befragt worden, wobei diese angegeben habe, die Beschwerdeführerin sei weder ihre leibliche Tochter noch Adoptivtochter, sondern von der in China lebenden Schwiegermutter adoptiert worden, nachdem sie vor der Haustür liegend aufgefunden worden sei.

Mit Schreiben der Behörde erster Instanz vom sei die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, ihre chinesische Geburtsurkunde samt beglaubigter Übersetzung jeweils im Original vorzulegen. Dieser Aufforderung sei die Beschwerdeführerin nicht nachgekommen. Ein weiteres Mal sei die Beschwerdeführerin mit Schreiben der für das Staatsbürgerschaftsverfahren zuständigen Behörde vom ohne Erfolg zur Vorlage der Geburtsurkunde im Original aufgefordert worden.

Die belangte Behörde führte in ihrer Begründung weiter aus, die Beschwerdeführerin habe im Rahmen der Erstantragstellung eine chinesische Geburtsurkunde, ausgestellt am von der Provinz Zhejiang, Volksrepublik China, samt einer deutschen Übersetzung vorgelegt. Die Beglaubigung dieses Dokuments durch das Österreichische Generalkonsulat in Shanghai (vom ) habe sich jedoch lediglich auf die Echtheit der Unterschrift von Frau W (laut vorgelegten Verwaltungsakten vom Amt für auswärtige Angelegenheiten der Provinz Zhejiang, und des Amtssiegels desselben in Hangzhou, VR China) auf besagtem Dokument erstreckt, nicht aber auf die Richtigkeit des Inhalts und Echtheit des Dokuments. Demnach sei nicht erwiesen, dass die Beschwerdeführerin die Tochter von X und Y sei, zumal beide sowohl im Rahmen des Staatsbürgerschaftsverfahrens als auch im gegenständlichen Ermittlungsverfahren als Zeugen übereinstimmend angegeben hätten, keine Tochter zu haben. Dem vorliegenden Akt sei zu entnehmen, dass keinerlei Nachweise erbracht worden seien, welche die Vaterschaft des X bestätigen würden, wie etwa eine DNA-Analyse oder die Geburtsurkunde im Original, die nie vorgelegt worden sei, um sie einer Überprüfung auf inhaltliche Richtigkeit zuführen zu können.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es liege eindeutig ein Versagungsgrund im Sinne des § 54 Abs. 1 Z 2 FPG für die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels vor. Mit der "wissentlichen falschen Angabe" im Erstantrag und in weiterer Folge in den Verlängerungsanträgen, dass sie die Tochter von X und Y sei, habe die Beschwerdeführerin das große öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gravierend beeinträchtigt. Auf Grund der davon ausgehenden Gefährdung wesentlicher öffentlicher Interessen sei die belangte Behörde bei der Ermessensübung zum Ergebnis gekommen, dass im Interesse eines geordneten Fremdenwesens und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auch im Hinblick auf § 66 FPG eine Ausweisung erlassen werden müsse.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Weiters ist festzuhalten, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im November 2010 die Bestimmungen des FPG sowie des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden sind und sich nachfolgende Zitierungen auf diese Rechtslage beziehen.

§ 54 Abs. 1 FPG, auf dessen Z 2 sich die belangte Behörde stützte, lautet:

"(1) Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre oder

2. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht."

Die belangte Behörde ging erkennbar davon aus, dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG entgegensteht. § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 NAG lautet:

"§11.

...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

...

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde …"

Zunächst ist anzumerken, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht erforderlich ist, dass eine Anzeige oder gar Verurteilung des Fehlverhaltens vorliegt. Es ist vielmehr auf die Art und Schwere des Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0711, mwN). Auf eine - in der Beschwerde angesprochene - Verletzung der Anzeigepflicht (§ 78 StPO) der belangten Behörde kommt es sohin nicht an.

Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG kann durch eine Vorlage gefälschter Urkunden mit dem Ziel, dadurch einen Aufenthaltstitel zu erlangen, bewirkt werden. Nun ging die belangte Behörde davon aus, dass die Vaterschaft des X sowie (die Mutterschaft) der Y nicht als erwiesen anzusehen seien, und dass die Beschwerdeführerin bei der Erstantragstellung und in den Verlängerungsanträgen "ohne im Rahmen des von der erstinstanzlichen Behörde geführten Ermittlungsverfahrens den gegenteiligen Beweis zu erbringen" diesbezüglich wissentlich falsche Angaben gemacht habe, um sich einen Aufenthaltstitel zu erschleichen. Unabhängig von der Frage der Beweislast kann die Feststellung, dass die Identität der Eltern der Beschwerdeführerin nicht als erwiesen angenommen wird, nicht ohne weiteres dazu führen, dass die Behörde davon ausgeht, die Beschwerdeführerin habe darüber wissentlich falsche Angaben getätigt. Aus diesem Grund kann daraus auch nicht abgeleitet werden, dass jemand deswegen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Wie im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0227, ausgesprochen wurde, lässt allein die Vorlage von gefälschten Urkunden als Beilagen zu einem Antrag nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass dem Fremden die Fälschung der Urkunden auch bekannt war. Es kann daher der Beschwerdeführerin auch nicht eine "wissentlich falsche Angabe" angelastet werden, solange noch nicht erwiesen ist, dass der Beschwerdeführerin auch bekannt war, dass X nicht ihr Vater und die Geburtsurkunde gefälscht sei. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie im Zeitpunkt der Vorlage der Geburtsurkunde erst 13 Jahre alt war. Hinzu kommt, dass der vorgelegte Verwaltungsakt (OZ 14) eine Aussage der Beschwerdeführerin enthält, wonach sie es nicht erfahren habe, dass ihre Eltern - wer immer sie auch sein mögen - sie nicht wollten.

Im Übrigen ist anzumerken, dass durch die Beglaubigung des Österreichischen Generalkonsulats in Shanghai zumindest die Echtheit der Unterschrift der Frau W und des zugehörigen Amtssiegels des Amtes für auswärtige Angelegenheiten als bewiesen anzunehmen ist (vgl. § 47 AVG iVm § 311 ZPO). Offen bleibt allerdings der Inhalt der Erklärung von Frau W, weil dazu eine Übersetzung fehlt. Im Fall einer entsprechenden Beglaubigung der Geburtsurkunde werden auch noch weitere Feststellungen zur Qualität der Urkunde und zu den Fragen, ob mit der Volksrepublik China formelle Gegenseitigkeit (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG, § 47 Rz 22, mwN; so auch die Rechtsprechung des OGH, vgl. etwa das Urteil vom , 10 ObS 185/93) durch Staatsverträge, durch Prozessvorschriften des ausländischen Staates oder durch faktische Übung (vgl. Bittner in Fasching/Konecny 2 III, § 293 ZPO Rz 3) besteht - erforderlich sein, um beurteilen zu können, ob es sich um eine öffentliche ausländische Urkunde handelt, für die ein Gegenbeweis der inhaltlichen Unrichtigkeit zu erbringen wäre, oder ob sie inhaltlich in freier Beweiswürdigung beurteilt werden kann.

Die belangte Behörde war zwar befugt, von der Beschwerdeführerin die Vorlage ihrer Geburtsurkunde im Original zu verlangen, selbst wenn diese schon einmal dem Erstantrag im Aufenthaltstitelverfahren angeschlossen war oder im Staatsbürgerschaftsverfahren vorgelegt wurde. Allerdings überging die belangte Behörde dabei das berechtigte Ersuchen der Beschwerdeführerin um Verständigung, wenn das in Verstoß geratene Original nicht aufgefunden werde.

Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass der belangten Behörde bei der Wiedergabe der zur Beweiswürdigung wesentlich herangezogenen Aussage von X, er habe bei seiner Einvernahme bekannt gegeben, lediglich die zwei in seinem Lebenslauf genannten Söhne als leibliche Kinder zu haben, eine Aktenwidrigkeit in einem wesentlichen Punkt unterlief. Dies betrifft in weiterer Folge auch die Feststellung, X und Y hätten übereinstimmend angegeben, dass sie keine Tochter hätten. Tatsächlich bestreitet X nach der Aktenlage indes nicht, der Vater der Beschwerdeführerin zu sein, denn laut Protokoll seiner Einvernahme vom gab er an, zwei Kinder zu haben, wobei er die Beschwerdeführerin als eines davon nannte.

Ohne Begründung überging schließlich die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gestellten Beweisanträge, dass sie die Tochter des X sei.

Aufgrund der bereits aufgezeigten Rechtswidrigkeiten war auf das weitere Vorbringen zur Interessenabwägung nach § 66 FPG in der Beschwerde nicht weiter einzugehen.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der angefochtene Bescheid wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtwidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 und § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 i.d.F. BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren in Bezug auf den Schriftsatzaufwand war im Hinblick auf den in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand abzuweisen.

Wien, am