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VwGH vom 09.11.2011, 2011/22/0006

VwGH vom 09.11.2011, 2011/22/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des S A in W, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 155.766/2- III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, verfügte zuletzt über eine bis zum gültige Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Schüler". Am beantragte er die Verlängerung dieser Bewilligung. Nachdem er im Juni 2009 - während des offenen Verfahrens über den Verlängerungsantrag - die Reife- und Diplomprüfung abgelegt hatte, beantragte er einen Aufenthaltstitel für den Zweck "selbständige Tätigkeit". Zum Beleg für die von ihm ausgeübte selbständige Tätigkeit legte er einen mit der "Versuchsanstalt - T" abgeschlossenen "freien Dienstvertrag" vom vor.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde unter Spruchpunkt I gemäß § 63 Abs. 1 und 3 iVm § 24 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung "Schüler" und unter Spruchpunkt II gemäß § 60 iVm § 24 Abs. 4 NAG das Begehren auf Änderung des Aufenthaltszwecks ab.

Begründend führte sie zu Spruchpunkt I - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, dass der Beschwerdeführer, weil er die Abschlussprüfung absolviert habe und kein Schüler mehr sei, die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 63 Abs. 1 NAG nicht erfülle. Zu Spruchpunkt II führte sie aus, dass für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Selbständige" das Vorliegen eines Werkvertrages mit einer "Gültigkeitsdauer" von über sechs Monaten erforderlich sei. Während ein freier Dienstvertrag für eine bestimmte Zeit abgeschlossen werde und ein Dauerschuldverhältnis begründe, werde der "vom Gesetzgeber geforderte Werkvertrag" auf ein Werk gerichtet und begründe ein Zielschuldverhältnis. Der Beschwerdeführer habe während des gesamten Verfahrens lediglich wiederholt die Kopie eines freien Dienstvertrages vorgelegt. Von der belangten Behörde werde dabei speziell auf den Punkt des Vertrages hingewiesen, nach dem das Vertragsverhältnis "befristet bis - unbefristet -" abgeschlossen werde und beide Vertragsparteien den Vertrag unter Einhaltung einer vierzehntägigen Kündigungsfrist auflösen könnten. Komme eine der Vertragsparteien ihren Verpflichtungen nicht nach, so könne der Vertrag von der anderen Seite auch mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden.

Somit werde der Forderung des Gesetzgebers, wonach ein Werkvertrag für die Dauer von über sechs Monaten vorliegen müsse, bereits auf Grund der Möglichkeit, den Vertrag durch beide Vertragspartner "unter Einhaltung einer vierzehntägigen Kündigungsfrist bzw. mit sofortiger Wirkung" auflösen zu können, keine Rechnung getragen. Im Übrigen werde festgehalten, dass gemäß § 60 Abs. 1 Z 3 NAG auch das "zuständige Arbeitsmarktservice" auf Anfrage der Behörde feststellen müsse, dass eine selbständige Tätigkeit vorliege, die Ausübung dieser Tätigkeit aus wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten im Interesse Österreichs liege und die Ausübung dieser Tätigkeit keine Umgehung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG darstelle. Im vorliegenden Fall habe das Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, mit Schreiben vom und vom jeweils mitgeteilt, dass für die Tätigkeit des Beschwerdeführers als freier Dienstnehmer beim T eine Arbeitsberechtigung erforderlich sei, weil sie ein Arbeitsverhältnis im Sinn des § 2 Abs. 2 lit. a AuslBG darstelle und das T bisher keinen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gestellt habe. Auf Grund der wiederholten Feststellung des Arbeitsmarktservice sei somit eindeutig erkennbar, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit um keine selbständige Erwerbstätigkeit handle. Vielmehr liege eine Tätigkeit als freier Dienstnehmer vor und sei hiefür eine "Arbeitsberechtigung" erforderlich. Von Seiten des Dienstgebers sei bisher aber kein Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewiligung eingebracht worden. "Am Rande" werde von der belangten Behörde auf die Bestätigung des T vom verwiesen, aus der wörtlich hervorgehe, dass eine "plötzliche Beendigung dieser Tätigkeit, Ausfluss eines freien Dienstvertrages, (…) der Interessenlage des T schwer widersprechen" würde. Auch daraus sei keine Absicht des T ersichtlich, einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung einbringen zu wollen.

Gemäß § 11 Abs. 3 NAG könne ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten sei. Dazu werde von der belangten Behörde festgestellt, dass auf Grund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet keine Familienangehörigen habe und sich folglich auch nicht auf ein Familienleben berufen könne, den öffentlichen Interessen gegenüber seinen privaten Interessen Priorität eingeräumt werden müsse, da die von ihm ausgeübte Tätigkeit im Rahmen eines freien Dienstvertrages keinesfalls einer selbständigen Tätigkeit entspreche.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Im Beschwerdefall ist noch die Rechtslage vor Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 38, anzuwenden.

Einleitend ist festzuhalten, dass es sich beim mit einem Zweckänderungsbegehren verbundenen Verlängerungsantrag um einen einheitlichen Antrag handelt, der mit der Erteilung des Aufenthaltstitels für den geänderten Aufenthaltszweck erledigt ist, und über den lediglich dann gesondert mit Bescheid abzusprechen ist, wenn die Voraussetzungen für den anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0075). Zunächst ist daher zu klären, ob die Abweisung des Zweckänderungsbegehrens zu Recht erfolgt ist.

Insofern wendet sich die Beschwerde gegen die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer beabsichtige keine selbständige Tätigkeit, und rügt insbesondere, dass sie sich dabei im Wesentlichen auf die Kündigungsklausel berufe. Damit zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits betont, dass es mangels einer Möglichkeit, eine gemäß § 60 Abs. 1 Z 3 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 157/2005) abgegebene Stellungnahme des Arbeitsmarktservice gesondert zu bekämpfen, Aufgabe der Niederlassungsbehörde ist, die Stellungnahme des Arbeitsmarktservice auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen und eine unschlüssige Stellungnahme ihrer Entscheidung nicht zu Grunde zu legen. Ebenso bleibt es dem Antragsteller unbenommen, die Ausführungen der arbeitsmarktbehördlichen Stellungnahme zu entkräften bzw. zu widerlegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0880).

Die im vorliegenden Fall abgegebenen Stellungnahmen des Arbeitsmarktservice beschränken sich - ohne jede Auseinandersetzung mit dem Vertrag und der konkreten Tätigkeit des Beschwerdeführers - auf die Feststellung, es liege "ein Arbeitsverhältnis im Sinn des § 2 Abs. 2 lit. a AuslBG" vor. Das ist ohne nähere Begründung schon insofern nicht nachvollziehbar, als der vorgelegte "freie Dienstvertrag" nicht nur die Anwendung des "Arbeitsrechts" ausdrücklich ausschließt, sondern auch für Arbeitsverhältnisse atypische Klauseln, insbesondere betreffend die freie Dienstzeiteinteilung und die Vertretungsmöglichkeit bei der Erbringung der vereinbarten Leistungen enthält. Diese Umstände sprechen dafür, dass kein Arbeitsverhältnis vorlag. Feststellungen, wonach die Tätigkeit des Beschwerdeführers auf Grund der Unterordnung und Abhängigkeit gegenüber seinem Vertragspartner dennoch als unselbständig zu qualifizieren wäre, hat die belangte Behörde nicht getroffen.

Einer selbständigen Tätigkeit im Sinn des § 60 Abs. 1 NAG muss zwar eine vertragliche Verpflichtung zur Erbringung einer bestimmten Leistung, die auf einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ausgerichtet ist, zugrunde liegen, nicht aber - anders als die belangte Behörde meint - notwendigerweise ein Werkvertrag (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0480). Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann auch nicht allein aus der beiderseitigen Kündigungsmöglichkeit eines unbefristet abgeschlossenen Vertrages geschlossen werden, dass die Verpflichtung nicht länger als sechs Monate bestehen wird.

Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage wesentliche Feststellungen unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid im Umfang seines Spruchpunktes II mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Ausgehend davon kann aber auch die mit Spruchpunkt I bestätigte Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung "Schüler" keinen Bestand haben, weil, wie eingangs bereits festgehalten wurde, über die Verlängerung des bisher innegehabten Aufenthaltstitels nur dann gesondert mit Bescheid abzusprechen ist, wenn die Voraussetzungen für den begehrten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt werden; dies wird aber im fortzusetzenden Verfahren erst zu beurteilen sein.

Im fortzusetzenden Verfahren wird im Übrigen auch zu klären sein, ob der Beschwerdeführer nicht eine Niederlassung im Bundesgebiet anstrebt. Da ihn eine Aufenthaltsbewilligung gemäß § 60 NAG dazu nicht berechtigten würde, müsste er nach dem auch im Verlängerungsverfahren anwendbaren § 23 Abs. 1 NAG bei der im Sinn des § 24 Abs. 4 NAG begehrten Änderung des Aufenthaltstitels bzw. Zweckänderung entsprechend belehrt werden, und es müsste ihm die Möglichkeit zur Richtigstellung seines Begehrens gegeben werden (vgl. die bereits genannten hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0880, und vom , Zl. 2008/22/0075).

Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen weil es im Pauschalbetrag keine Deckung findet.

Wien, am