VwGH vom 15.11.2015, Ra 2014/20/0052

VwGH vom 15.11.2015, Ra 2014/20/0052

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision des E G in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. G307 1430859-2/5E, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung der Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005,

1. den Beschluss gefasst:

Soweit sich die Revision gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, wird sie zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesasylamtes (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz im zweiten Verfahrensgang sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und der Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo ausgewiesen.

Der im Akt erliegende Rückschein weist die Hinterlegung des Bescheides nach einem erfolglosen Zustellversuch am aus; als Beginn der Abholfrist ist der angeführt.

Mit dem per Fax am beim Bundesasylamt eingebrachten Schriftsatz erhob der Revisionswerber Beschwerde gegen diesen Bescheid.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom wurde dem Revisionswerber unter Einräumung von Parteiengehör zur Kenntnis gebracht, dass sich auf Grund des vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahrens ergeben habe, dass die Beschwerde offensichtlich verspätet eingebracht worden sei.

Bezugnehmend auf dieses Schreiben stellte der Revisionswerber mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwies auf die bereits eingebrachte Beschwerde.

Der Revisionswerber brachte unter anderem vor, er lebe in einer betreuten Wohneinrichtung der Volkshilfe und es sei versucht worden, den Bescheid an seiner Wohnadresse zuzustellen. Mangels Anwesenheit des Revisionswerbers sei bei einer Sozialbetreuerin der Wohneinrichtung ein Hinterlegungszettel hinterlassen worden. Normalerweise solle der Hinterlegungszettel durch Mitarbeiter der Volkshilfe eingescannt und abgespeichert werden. Dies sei im konkreten Fall nicht erfolgt. Von der Bearbeiterin, welche den Hinterlegungszettel entgegen genommen habe, sei jedenfalls selbst am Bescheid handschriftlich "Zustelldatum " vermerkt worden. Dies sei von der Rechtsberatung, welche der Revisionswerber zur Einbringung einer Beschwerde aufsuchte, unter der Annahme, es handle sich um das korrekte Datum, auch als Zustelldatum angesehen worden. Sowohl die betreffende Mitarbeiterin der Volkshilfe als auch der für die Betreuung des Revisionswerbers zuständige Mitarbeiter der Rechtsberatung seien bereit, als Zeugen auszusagen. Somit sei am vermeintlich letzten Tag der Beschwerdefrist, dem , die Beschwerde des Revisionswerbers per Fax übermittelt worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und die Beschwerde gemäß § 63 Abs. 5 AVG iVm § 23 Abs. 1 AsylGHG und § 3 VwGbk-ÜG als verspätet zurück (Spruchpunkt II.). Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass sich aus dem Akteninhalt zweifelsfrei und unstrittig eine Zustellung des abweisenden Bescheides des Bundesasylamtes durch Hinterlegung am ergebe. Der Bescheid sei daher als im Sinne des § 17 Abs. 2 ZustellG zugestellt zu betrachten und somit rechtswirksam erlassen worden, zumal nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dem ausgefüllten Rückschein die Stellung einer öffentlichen Urkunde zukomme. Mangels substantiierten Entgegentretens seitens des Revisionswerbers könne der Beweis für die ordnungsgemäße Hinterlegung als erbracht angesehen werden.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergebe sich, dass sich die Erhebung der verfahrensgegenständlichen Beschwerde als verspätet erweise und diese daher zurückzuweisen sei.

Von der Einvernahme der im Antrag genannten Zeugen habe Abstand genommen werden können, weil der diesbezügliche Sachverhalt bereits geklärt gewesen sei und sich die Einvernahme als nicht zielführend erwiesen hätte.

Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, der Gesetzgeber biete dem Wortlaut nach keine Norm an, die im gegenständlichen Fall für die Beurteilung der Beschwerdeverspätung zur Anwendung gelangen könnte. Es könne dem Willen des Gesetzgebers aber nicht unterstellt werden, für derartige Fälle keine Regelung bereitstellen zu wollen. Alle verfahrensgegenständlichen Vorgänge würden sich außerhalb der Bestimmungen der §§ 75 Abs. 17 bis 20 AsylG, 3 VwGbk-ÜG, 16 Abs. 1 BFA-VG bewegen. Hätte der Asylgerichtshof noch bis zum eine Entscheidung gefällt, wären die §§ 23 Abs. 1 AsylGHG sowie 63 Abs. 5 AVG zur Anwendung gelangt. Lediglich die Übertragung des Verfahrens hindere die unmittelbare Anwendung dieser Bestimmungen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht diese im gegenständlichen Fall als sinngemäß anwendbar erachte.

Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision unter anderem geltend, dass ihm der gegenständliche Bescheid des Bundeasylamtes am von der Rezeptionistin des Flüchtlingsheimes ausgefolgt worden sei, wobei diese ihm gesagt hätte, dass der Bescheid "an diesem Tag gekommen" sei; "ein gelber Hinterlegungszettel" sei ihm nicht gezeigt worden. Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht die im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragten Zeugen zu befragen gehabt und sich nicht darauf zurückziehen dürfen, dass deren Einvernahme zur Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes nichts hätte beitragen können.

Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

Soweit in der Revision auch die Frage einer Verfassungswidrigkeit des § 16 Abs. 1 BFA-VG aufgeworfen wird, ist dem Revisionswerber entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde § 63 Abs. 5 AVG iVm § 23 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz angewendet hat.

Der Revisionswerber brachte in seinem Wiedereinsetzungsantrag vor, dass auf dem Bescheid von einer Mitarbeiterin der Volkshilfe der handschriftliche Vermerk "Zustelldatum " angebracht worden sei; einen Hinterlegungszettel habe er nicht erhalten. Damit bestreitet der Revisionswerber die Richtigkeit der mit dem im Akt befindlichen Rückschein dokumentierten Hinterlegung. Im Ergebnis bringt er in der Sache vor, dass angesichts der verfügten eigenhändigen Zustellung eine unzulässige Ersatzzustellung vorgenommen worden sei.

Zwar handelt es sich - wie das Verwaltungsgericht ausführt - bei dem Rückschein (Formular 4 zu § 22 Zustellgesetz) um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG in Verbindung mit § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit für sich hat, doch ist diese Vermutung widerlegbar, wobei die Behauptung der Unrichtigkeit des Beurkundeten entsprechend zu begründen ist und Beweise dafür anzuführen sind, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/03/0018).

Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber Beweismittel für die Richtigkeit seines Vorbringens, nämlich unter anderem die Einvernahme der namentlich genannten Mitarbeiterin der Volkshilfe, angeboten und somit den Vorgang der Hinterlegung nicht bloß unsubstantiiert bestritten. Dem gegenüber geht das Verwaltungsgericht von der Richtigkeit der durch den Rückschein beurkundeten Hinterlegung nach einem Zustellversuch am - wobei als Beginn der Abholfrist der angeführt ist und das Poststück bei der Postfiliale "1050" zur Abholung bereit gehalten werde - aus, ohne sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinander zu setzen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Vorliegen von - nach Meinung des Verwaltungsgerichtes - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Vernehmung der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2013/18/0030, mwN).

Unter der Annahme der Richtigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers, wonach ihm der Bescheid des Bundesasylamtes von einer Mitarbeiterin der Volkshilfe am ausgehändigt und somit der Bescheid nicht bei der Postfiliale "1050" hinterlegt, sondern dieser Mitarbeiterin übergeben worden sei, läge ein Zustellmangel vor, der allenfalls durch tatsächliche Aushändigung an den Revisionswerber geheilt wäre, sodass die am per Fax eingebrachte Beschwerde nicht verspätet wäre. Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht nach Einvernahme der genannten Zeugin zu dem vom Revisionswerber beantragten Beweisthema zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

Hinsichtlich der Zurückweisung der Beschwerde als verspätet (Spruchpunkt I.) war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, wobei sich eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Revisionsvorbringen erübrigte.

Ausgehend von dem auf einen Zustellmangel abstellende Vorbringen des Revisionswerbers und der behaupteten Rechtzeitigkeit der Beschwerde an das Verwaltungsgericht war die Revision gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG mit Beschluss zurückzuweisen, zumal der Revisionswerber auf Grund seines Vorbringens durch die Abweisung seines Antrages auf Wiedereinsetzung nicht in seinen Rechten verletzt werden konnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2011/05/0076).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am