VwGH vom 10.12.2013, 2011/22/0003
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der L, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 153.150/7-III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer indischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltskarte nach §§ 54 iVm 57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin am beim Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, im Rahmen der Familienzusammenführung mit ihrem Ehegatten, einem österreichischen Staatsbürger, einen Erstantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gestellt und am in Abänderung des Parteienbegehrens die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 iVm § 57 NAG beantragt habe. Im Zuge der Abänderung des Parteienbegehrens habe die Beschwerdeführerin angeführt, dass ihr Ehegatte in den Zeiträumen von März 2003 bis Dezember 2003 sowie von Jänner 2004 bis Ende Juni 2004 in Luxemburg gelebt, gearbeitet und daher sein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe. Als Nachweis seien jeweils Kopien der Sozialkarte aus Luxemburg, einer Gehaltsbestätigung, diverser Gehaltszettel, des Antrags auf Ausstellung einer Lohnsteuerkarte, eines Kündigungsschreibens sowie des Mietvertrages vorgelegt worden.
Die belangte Behörde führte weiter aus, die Beschwerdeführerin habe somit dargetan, dass ihr Ehegatte bis Ende Juni 2004 das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht in Luxemburg in Anspruch genommen habe. Die Verwirklichung des Freizügigkeitssachverhaltes müsse jedoch in einem gewissen zeitlichen Naheverhältnis zur Antragstellung des Familienangehörigen stehen. Darüber hinaus würden einer "korrekten" Ausübung der Freizügigkeit des Ehegatten auch durchgehende Versicherungszeiten im Hauptverband zumindest seit und eine seit durchgehende Hauptwohnsitzmeldung in Österreich entgegenstehen. Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass die Beschwerdeführerin die Ehe nicht mit einem "freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger" eingegangen sei und daher nicht von § 54 NAG erfasst werde.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 1437/10-5, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (September 2010) die Rechtslage des NAG idF BGBl I Nr. 135/2009 maßgeblich ist.
Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51 NAG) sind, unter bestimmten Voraussetzungen zum Aufenthalt im Bundesgebiet für mehr als drei Monate berechtigt und es ist ihnen auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen.
Gemäß § 57 NAG findet diese Bestimmung u.a. auch auf Angehörige von Österreichern Anwendung, sofern der Österreicher sein gemeinschaftsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin in den Jahren 2003/2004 mehr als drei Monate in Luxemburg aufhältig und erwerbstätig war.
Die Beschwerde wendet sich unter anderem gegen die Auffassung der belangten Behörde, wonach für die Anwendung des § 57 NAG ein zeitliches Naheverhältnis zwischen der Freizügigkeitsausübung und der Antragstellung der Beschwerdeführerin vorliegen müsse.
Damit zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0163, zu §§ 54 iVm 57 NAG ist es nicht von rechtlicher Bedeutung, wann der österreichische Staatsbürger begonnen hat, seine unionsrechtliche Freizügigkeit auszuüben, wann er nach Österreich zurückgekehrt ist und wann das Angehörigenverhältnis mit dem Drittstaatsangehörigen begründet wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen.
Zu Unrecht hat somit die belangte Behörde die nach § 57 NAG geforderte Tatbestandsvoraussetzung der Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit durch den österreichischen Staatsbürger damit verneint, dass kein zeitliches Naheverhältnis zum vorliegenden Antrag seiner Ehegattin bestehe.
Auch dem Argument der belangten Behörde, wonach der "korrekten" Ausübung der Freizügigkeit die durchgehende Hauptwohnsitzmeldung in Österreich entgegenstehe, kann nicht gefolgt werden. Es kommt nämlich für die Beurteilung der Freizügigkeit lediglich darauf an, ob diese tatsächlich und effektiv in Anspruch genommen wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0103). Der tatsächliche und effektive Aufenthalt des Ehegatten der Beschwerdeführerin in Luxemburg wurde auch von der belangten Behörde nicht verneint, sodass die österreichische Hauptwohnsitzmeldung im konkreten Fall keine Auswirkungen auf die Inanspruchnahme der Freizügigkeit haben konnte.
Die von der belangten Behörde ins Treffen geführten durchgehenden Versicherungszeiten in Österreich seit sprechen ebenfalls nicht gegen die Ausübung des Freizügigkeitsrechts in den Jahren 2003/2004.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am