VwGH vom 19.04.2012, 2011/21/0291

VwGH vom 19.04.2012, 2011/21/0291

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Mag. Werner Diebald und Mag. Kuno Krommer, Rechtsanwälte in 8580 Köflach, Rathausplatz 1 - 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom , Zl. KUVS-1479/9/2011, betreffend Aufenthaltsverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist bosnischer Staatsangehöriger und hält sich seit 1995 in Österreich auf. Zuletzt wurde ihm mit Gültigkeit ab ein Niederlassungsnachweis erteilt.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom wurde der Beschwerdeführer wegen eines im März 2009 begangenen Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt. Im Hinblick auf diese Verurteilung und das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten erließ die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom insoweit Folge, als gemäß § 63 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, idF BGBl. I Nr. 38/2011, die Dauer des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren, beginnend mit dem Ablauf des Tages der Ausreise, festgesetzt wurde. Außerdem erteilte die belangte Behörde einen Durchsetzungsaufschub.

Die Behandlung der gegen das Aufenthaltsverbot erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 1296/11-3, ab. Außerdem trat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, der darüber nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde ging mangels gegenteiliger Übergangsbestimmung zutreffend davon aus, dass der bekämpfte Bescheid auf Basis der Rechtslage nach dem am in Kraft getretenen Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, zu erlassen und dass die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme konkret an § 63 FPG ("Aufenthaltsverbot für Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel") zu messen war. Sie ist ferner damit im Recht, auch wenn der Gesetzgeber eine diesbezügliche ausdrückliche Regelung mit der Novellierung durch das FrÄG 2011 nicht vorgenommen hat, dass sie - und nicht etwa die Sicherheitsdirektion Kärnten - zuständige Berufungsbehörde war. Ihre Zuständigkeit ergibt sich aus den Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0097, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird.

§ 63 FPG ist Teil des die §§ 62 bis 64 FPG umfassenden

3. Abschnitts des 8. Hauptstücks des FPG, der mit "Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel" überschrieben ist. Sowohl auf § 62 FPG als auch auf den - hier einschlägigen - § 63 FPG bezieht sich § 64 FPG, der auszugsweise wie folgt lautet:

" Aufenthaltsverfestigung

§ 64. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Ausweisung gemäß § 62 und ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(2) …

(3)

(4) Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt-Familienangehöriger" verfügen, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(5) …"

Die belangte Behörde hat festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer seit 1996 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Nach der Aktenlage wurde dem Beschwerdeführer (siehe eingangs) im März 2004 ein Niederlassungsnachweis ausgestellt, der gemäß § 11 Abs. 1 Abschnitt C der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG DV nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" gilt.

Dem bekämpften Bescheid ist weiter zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer erstmals und ausschließlich im März 2009 straffällig geworden ist.

Im Hinblick darauf ist zunächst festzuhalten, dass die belangte Behörde bei Erlassung ihres Bescheides den erhöhten Gefährdungsmaßstab nach § 64 Abs. 4 FPG zur Anwendung hätte bringen müssen. Das gilt ungeachtet dessen, dass in dieser Bestimmung nur auf Ausweisungen Bezug genommen wird, weil via Größenschluss auch Aufenthaltsverbote erfasst sein müssen (vgl. auch die ErläutRV zum neuen § 64 FPG, 1078 BlgNR 24. GP 34, wonach die Aufenthaltsverfestigungstatbestände der bisherigen §§ 55 und 56 und die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 61 der geltenden Rechtslage zusammengeführt werden sollten. § 61 Z 2 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 sah aber durch Verweis auf die für Ausweisungen geltenden Regelungen einen dem nunmehrigen § 64 Abs. 4 FPG entsprechenden Verfestigungstatbestand auch für Aufenthaltsverbote vor).

Vor allem hätte die belangte Behörde aber auf § 64 Abs. 1 Z 1 FPG Bedacht nehmen müssen, wonach (u.a.) ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 FPG nicht erlassen werden darf, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 hätte verliehen werden können. Der Beschwerdeführer wurde zwar wegen seines strafrechtlichen Fehlverhaltens aus dem März 2009 zu einer dreieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt; anders als nach der Vorgängerbestimmung des § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) steht dieser Umstand der Anwendung des hier in Rede stehenden Verfestigungstatbestandes nach § 64 Abs. 1 Z 1 FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) jedoch nicht entgegen. Diese Bestimmung kommt nämlich nunmehr - wie der im vorliegenden Fall allerdings nicht in Betracht zu ziehende Verfestigungstatbestand nach § 64 Abs. 1 Z 2 FPG (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0264) - unabhängig davon zur Anwendung, zu welcher Freiheitsstrafe ein Fremder allenfalls verurteilt worden ist; eine diesbezügliche Einschränkung enthält das Gesetz nicht mehr.

Es ist nicht zu sehen, was einer Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer nach § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 vor Begehung seines strafbaren Verhaltens im März 2009 hätte entgegenstehen können. Insbesondere erfüllte der Beschwerdeführer offenkundig die Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 1 StGB, wonach die Staatsbürgerschaftsverleihung voraussetzt, dass sich der Fremde seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war (zum Verständnis dieser Bestimmung siehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0520).

In offenkundiger Verkennung der Rechtslage hat sich die belangte Behörde nicht mit § 64 Abs. 1 Z 1 FPG auseinandergesetzt. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am