VwGH vom 19.03.2013, 2011/21/0267
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2012/18/0209 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des D N in L, vertreten durch DDr. Ralf Brditschka, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 47, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-730130/2/BP/Wu, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, kam am nach Österreich. Der unmittelbar nach seiner Einreise gestellte Asylantrag wurde im Instanzenzug mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen; zugleich wurde die Zulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat festgestellt. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom ab.
Hierauf wies die Bundespolizeidirektion Linz den Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (idF vor dem FrÄG 2011) aus dem Bundesgebiet aus. Dagegen erhob der unvertretene Beschwerdeführer mit Schreiben vom fristgerecht Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) diese Berufung als unbegründet abgewiesen und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt, und zwar erkennbar als Rückkehrentscheidung iSd § 52 Abs. 1 FPG (idF nach dem FrÄG 2011), mit der kein Einreiseverbot verbunden ist.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen hat:
In der Beschwerde wird unter anderem geltend gemacht, die belangte Behörde hätte sich zur Beurteilung der im § 61 Abs. 2 FPG genannten Kriterien ein persönliches Bild vom Beschwerdeführer machen und eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen.
Diese Rüge ist berechtigt:
Nach Art. 3 Z 4 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) ist eine "Rückkehrentscheidung" die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Gemäß Art. 6 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben die Mitgliedstaaten - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen - gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Dem entsprechend ordnet der erste Satz des geltenden § 52 Abs. 1 FPG in Umsetzung der genannten Richtlinienbestimmungen an, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Dem zufolge hat die belangte Behörde in "Durchführung des Rechts der Union" im Sinn des Art. 51 Abs. 1 der Grundrechte-Charta (GRC) gehandelt, weil die Vollziehung von durch die Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umgesetztem Richtlinienrecht zweifellos zum zentralen Teil des Anwendungsbereichs des Unionsrechts gehört (siehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/15/0196, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH; vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , U 466/11 u.a., Punkt II. 6. der Entscheidungsgründe mit weiteren Nachweisen). Daher wäre von der belangten Behörde insbesondere auf Art. 47 Abs. 2 GRC Bedacht zu nehmen gewesen, nach dessen ersten Satz "jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird."
Vor diesem Hintergrund ist entsprechend den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0278, auch für das vorliegende fremdenpolizeiliche Berufungsverfahren zu folgern, dass - jedenfalls nach Maßgabe des § 67d AVG und allenfalls auch des § 9 Abs. 7 FPG - ein Anspruch auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung besteht.
Auf diesen Anspruch kann zwar verzichtet werden, was etwa dann anzunehmen ist, wenn der Berufungswerber keinen Verhandlungsantrag im Sinn des § 67d Abs. 3 AVG stellt. Im Anwendungsbereich des Art. 47 Abs. 2 GRC kann allerdings bei einer nicht rechtskundig vertretenen Partei nur dann vom Vorliegen eines derartigen - schlüssigen - Verzichts ausgegangen werden, wenn sie über die ihr nach § 67d Abs. 1 AVG eingeräumte Möglichkeit einer Antragstellung auf Durchführung einer solchen Verhandlung belehrt wurde oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (siehe auch dazu das schon genannte Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0278; vgl. ebenso das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0057; siehe daran anschließend das auch den Fall einer Rückkehrentscheidung ohne Einreiseverbot betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0224). In der hier zu beurteilenden Konstellation des im Verwaltungsverfahren noch unvertretenen Beschwerdeführers ist weder das eine noch das andere ersichtlich.
Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung begründete die belangte Behörde damit, dass eine solche nicht erforderlich gewesen sei, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergebe, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei und weil die Akten erkennen ließen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lasse.
Dass diese Erwägungen in einem Fall wie dem vorliegenden nicht tragfähig sind, wurde bereits im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0298, zum Ausdruck gebracht. Darauf kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden. Danach kann der auch im gegenständlichen Verfahren insbesondere zu prüfende Gesichtspunkt der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden.
Das Unterbleiben der nach dem Gesagten gebotenen Durchführung einer Berufungsverhandlung belastet den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (vgl. in diesem Sinn zuletzt auch das schon genannte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/15/0196). Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am