VwGH vom 18.04.2013, 2011/21/0247

VwGH vom 18.04.2013, 2011/21/0247

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der NP in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. E1/11016/2009, betreffend gelinderes Mittel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine georgische Staatsangehörige, reiste gemäß ihren Angaben am nach Österreich und stellte hier - bezogen auf ihren damaligen Ehemann - einen Asylerstreckungsantrag. Dieser Antrag blieb erfolglos.

Im August 2009 stellte die Beschwerdeführerin, die mittlerweile am eine Tochter geboren und nach Gewalttätigkeiten ihres Ehemannes mit dieser in einem Frauenhaus in Hollabrunn Unterkunft gefunden hatte, einen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag vollinhaltlich ab und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Georgien aus. Mit Erkenntnis vom bestätigte der Asylgerichtshof die Antragsabweisung. Die Ausweisung nach § 10 Abs. 1 AsylG 2005 behob er jedoch ersatzlos, weil zur Vermeidung eines ungerechtfertigten Eingriffs in das Familienleben der Beschwerdeführerin nur alle Familienmitglieder gemeinsam ausgewiesen werden dürften.

In der Folge erließ die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn (BH) mit Bescheid vom gegenüber der Beschwerdeführerin nachfolgende Anordnung eines gelinderen Mittels:

"Die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn nimmt von der Verhängung der Schubhaft gegen Sie Abstand und ordnet mit sofortiger Wirkung, um Ihre Abschiebung, Zurückschiebung, Durchbeförderung oder das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes zu sichern, das gelindere Mittel an.

Sie haben daher


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1.
in … B. … Unterkunft zu nehmen und
2.
sich jeden Montag, Mittwoch und Freitag in der Zeit von 08:00 bis 10:00 Uhr bei der Polizeiinspektion B. zu melden.
Die Kosten der Aufwendungen für den Einsatz gelinderer Mittel sind von Ihnen zu ersetzen.
Rechtsgrundlagen:
§§ 76 und 77 Abs. 1 bis 3, 113 Abs. 1
Die BH führte aus, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin - sie sei mittlerweile von ihrem Ehegatten geschieden, da er sie ständig physisch und psychisch misshandelt habe - in Österreich nicht mehr rechtmäßig sei. Sie sei (daher) informiert worden, dass beabsichtigt sei, sie aus Österreich auszuweisen. Darauf habe sie angegeben, keinesfalls nach Georgien ausreisen zu wollen, da sie dort von der Familie ihres ehemaligen Ehemannes mit dem Tod bedroht werde.
Es sei daher - im Folgenden die BH wörtlich - "die Annahme gerechtfertigt, dass Sie sich dem behördlichen Zugriff entziehen werden, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen Ihre Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren". Der Sicherungszweck könne jedoch durch das angeordnete gelindere Mittel erreicht werden.
Eine gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich zunächst als unzulässig zurück, weil das - jedenfalls hinsichtlich der Unterkunftnahme befolgte - gelindere Mittel mit Verfahrensanordnung vom formlos aufgehoben worden war. Diesen Berufungsbescheid behob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0465, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Im Hinblick auf die der Beschwerdeführerin in Bezug auf das gelindere Mittel auferlegte Kostenersatzpflicht treffe es - so der Verwaltungsgerichtshof - keinesfalls zu, dass das angeordnete gelindere Mittel im Zeitpunkt der Entscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich keine Rechtswirkungen mehr entfalte.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) der Berufung sodann keine Folge. Sie führte vor allem aus, dass die Anordnung des gelinderen Mittels "insbesondere zur Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens" erfolgt sei. Es sei dann aufgehoben worden, weil "der Zweck (Sicherung des Verfahrens und der Abschiebung) mangels Ausstellung eines Heimreisezertifikates seitens der georgischen Botschaft nicht erreicht werden konnte". Ein Sicherungsbedarf habe im Hinblick darauf bestanden, dass sich die Beschwerdeführerin 2004 ihrem Asylerstreckungsverfahren entzogen habe; dieses Verfahren habe erst nach ihrer Rückübernahme aus Deutschland am fortgesetzt werden können. Außerdem verfüge sie über keine ins Gewicht fallende Integration in Österreich.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Im Hinblick auf die Frage der Kosten des gelinderen Mittels - worüber im erstinstanzlichen Bescheid ausdrücklich abgesprochen worden war - hatte nicht nur die belangte Behörde eine meritorische Berufungsentscheidung zu treffen. Angesichts der erwähnten Kostenfrage erweist sich vielmehr auch die gegen den Berufungsbescheid erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof - anders als etwa in dem dem hg. Beschluss vom heutigen Tag, Zl. 2011/21/0143, zugrunde liegenden Fall - ungeachtet der bei Beschwerdeeinbringung bereits erfolgten Aufhebung des gelinderen Mittels als zulässig.

Gegenstand der hier demnach in der Sache zu beurteilenden Berufungsentscheidung war die Frage, ob die BH gegen die Beschwerdeführerin das konkret angeordnete gelindere Mittel zu Recht verhängt und bis aufrecht erhalten hatte.

Der Beschwerdeführerin war aufgetragen worden, an einer näher genannten Adresse in B. Unterkunft zu nehmen und sich zu bestimmten Zeiten bei der Polizeiinspektion B. zu melden. Sie befand sich freilich mit ihrer rund fünfjährigen Tochter seit etwas mehr als einem halben Jahr ohnehin in einem Quartier für schutzbedürftige Frauen in Hollabrunn. Welchen zur Abdeckung eines Sicherungsbedarfes notwendigen "Mehrwert" demgegenüber der angeordnete Aufenthalt an einer anderen Adresse in B. erbringen sollte, haben weder die BH noch die belangte Behörde dargelegt. Ausführungen dazu wären aber umso mehr geboten gewesen, als die Beschwerdeführerin nach der Sachverhaltsdarstellung der vorliegenden Beschwerde in ihrer Berufung gegen die erstinstanzliche Anordnung des gelinderen Mittels geltend gemacht hatte, sie könne in B. von ihrem ehemaligen Ehemann leichter gefunden werden. (Von diesen Beschwerdeangaben war gemäß § 38 Abs. 2 VwGG mangels Vorlage der Berufung durch die belangte Behörde auszugehen (zur Anwendbarkeit der letztgenannten Bestimmung auch im Fall bloß teilweiser Nichtvorlage von Akten vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0094).)

Die BH hatte das gelindere Mittel im Übrigen, anders als im bekämpften Bescheid dargestellt, vorrangig zur Sicherung der Abschiebung der Beschwerdeführerin angeordnet. Das ergibt sich schon daraus, dass sie den Sicherungsbedarf darin begründet sah, es sei die Annahme gerechtfertigt, die Beschwerdeführerin werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen sie zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Auch die Aufhebung des gelinderen Mittels, die lt. den im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen mangels Ausstellung eines Heimreisezertifikates seitens der georgischen Botschaft erfolgt war, belegt das. Insofern war das gelindere Mittel aber von vornherein verfehlt, weil eine dadurch zu sichernde Abschiebung der Beschwerdeführerin mangels Existenz einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme noch nicht in Betracht kam (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0123; vgl. auch das, wenngleich Schubhaft betreffende, hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0098).

Die von der belangten Behörde selbst angestellten Überlegungen mögen ihrerseits dann zwar für die - hier allein in Frage kommende - Verfahrenssicherung tragfähig sein. Warum es zur Verfahrenssicherung aber eines Aufenthalts der Beschwerdeführerin in dem angeordneten Quartier bedürfe, und warum insoweit der Aufenthalt in dem Frauenhaus, in dem sie Zuflucht gefunden hatte, nicht ausreiche, allenfalls in Verbindung mit einer dort wahrzunehmenden Meldeverpflichtung, hat auch - wie schon erwähnt - die belangte Behörde nicht begründet.

Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am