VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0067
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs-2008/18/2322-3, betreffend Einstellung des Verfahrens iA. Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsruhegesetzes (mitbeteiligte Partei: Ing. F S in K, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 19/I), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Aufwandersatz findet nicht statt.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit nach § 9 VStG nach außen berufenes Organ der Ö. GmbH mit Sitz in S. zu verantworten, dass näher genannte - insgesamt 65 - Arbeitnehmer der Ö. GmbH, wie durch Kontrolle der digitalen Lenkzeitaufzeichnungen festgestellt wurde, als Lenker von Bussen mit mehr als 9 Sitzplätzen im Straßenverkehr von November 2007 bis März 2008 zu näher umschriebenen gesetzwidrigen Arbeitszeiten herangezogen worden seien (es folgen 65 Punkte mit detaillierten Angaben zu den Lenkern und Lenkzeiten). Dem Mitbeteiligten wurde zu
Pkt. 1. bis 11. jeweils eine Übertretung nach § 28 Abs. 4 Z. 3 des Arbeitszeitgesetzes (AZG) iVm. Art. 8 Abs. 4 der EG-VO 561/2006,
zu Pkt. 12. bis 22. jeweils eine Übertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 8 iVm. § 16 Abs. 3 AZG,
zu Pkt. 23. bis 26. jeweils eine Übertretung nach § 28 Abs. 4 Z. 1 AZG iVm. Art. 6 Abs. 1 EG-VO 561/2006,
zu Pkt. 27. bis 29. jeweils eine Übertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 1 iVm. § 13b Abs. 2 AZG,
zu Pkt. 30 eine Übertretung nach § 27 Abs. 2 des Arbeitsruhegesetzes (ARG) iVm. Art. 8 Abs. 6 EG-VO 561/2006,
zu Pkt. 31. eine Übertretung nach § 27 Abs. 2 ARG iVm. Art. 8 Abs. 6 EG-VO 561/2006,
zu Pkt. 32 bis. 50. jeweils eine Übertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 2 iVm. § 13c Abs. 1 Z. 2 AZG und
zu Pkt. 51. bis 65. jeweil seine Übertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 2 iVm. § 13c Abs. 1 Z. 2 AZG
zur Last gelegt. Zu den einzelnen Punkten wurden über den Mitbeteiligten jeweils Geldstrafen in Höhe zwischen EUR 72,-- und EUR 250,-- verhängt.
Der dagegen erhobenen Berufung des Mitbeteiligten gab der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (UVS) mit Bescheid vom Folge, behob das erstinstanzliche Straferkenntnis und stellte die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG ein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 2 B-VG gestützte Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Auch der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Hinblick auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. § 28 Abs. 4 AZG sah sowohl in der bis zum als auch in der seit geltenden Fassung vor, dass für Verstöße gegen die in § 28 Abs. 1a bis 1c AZG angeführten Rechtsvorschriften - darunter die im Beschwerdefall einschlägigen -
im internationalen Straßenverkehr die Verjährungsfrist abweichend von § 31 Abs. 2 VStG ein Jahr beträgt.
1.2. § 27 Abs. 5 ARG sah in gleicher Weise vor, dass für Verstöße gegen die in Abs. 2 genannten Rechtsvorschriften im internationalen Straßenverkehr die Verjährungsfrist abweichend von § 31 Abs. 2 VStG ein Jahr beträgt.
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid auf die Auffassung, eine Verfolgungshandlung, die den Eintritt der Verfolgungsverjährung verhindert, habe sich auf alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale der zur Last gelegten Verwaltungsübertretung zu beziehen und damit auch darauf, ob die Lenker im internationalen oder im innerstaatlichen Straßenverkehr herangezogen wurden. Sowohl in der an den Mitbeteiligten gerichteten Aufforderung der Erstbehörde zur Rechtfertigung vom (samt Berichtigung vom ) als auch im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses sei jedoch lediglich ausgeführt, dass die Lenker "im Straßenverkehr" herangezogen worden seien. Da - auch unter Zugrundelegung einer einjährigen Verfolgungsverjährungsfrist - das angeführte Tatbestandsmerkmal betreffend die Unterscheidung zwischen internationalem und innerstaatlichem Straßenverkehr nicht im Rahmen einer rechtzeitigen Verfolgungshandlung vorgeworfen worden sei, sei Verfolgungsverjährung eingetreten.
2.2. Mit dieser Begründung gibt die belangte Behörde, wie die Beschwerde zutreffend ausführt, zu erkennen, dass sie die Rechtslage verkannt hat.
2.3. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in seiner jüngeren Judikatur die Auffassung, dass es für die Eignung einer Aufforderung zur Rechtfertigung als Verfolgungshandlung nicht darauf ankommt, ob darin die Angabe enthalten ist, dass die angenommene Übertretung von Arbeitszeitvorschriften im internationalen Straßenverkehr begangen wurde (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/11/0273, vom , Zl. 2003/11/0028, und vom , Zl. 2004/11/0100). Diese zum AZG ergangene Judikatur ist auch auf das ARG zu übertragen.
Im Beschwerdefall wurde als frühester Tatzeitpunkt der angenommen. Die an den Mitbeteiligten gerichtete Aufforderung der Erstbehörde wurde nach der unbedenklichen Aktenlage am abgefertigt, die Berichtigung derselben ist dem Mitbeteiligten am zugegangen, seine Einvernahme als Beschuldigter erfolgte am , somit jedenfalls innerhalb von sechs Monaten ab der ersten angenommenen Tat. Unstrittig enthielt die Aufforderung zu Rechtfertigung bereits sämtliche Angaben betreffend die Lenker und die auf den digitalen Lenkzeitaufzeichnungen beruhenden Fahrtdaten. Entgegen der Annahme der belangten Behörde hat demnach - vor dem Hintergrund der dargestellten hg. Judikatur - jedenfalls innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine geeignete Verfolgungshandlung stattgefunden.
Die dennoch wegen vermeintlich eingetretener Verfolgungsverjährung erfolgte Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens erweist sich demnach als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
2.4. Für das fortzusetzende Verfahren wird darauf hingewiesen, dass im Falle der Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Schuldsprüche bei Bemessung der zu verhängenden Strafen auch auf die lange Verfahrensdauer Bedacht zu nehmen sein wird.
3. Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG findet kein Aufwandersatz statt.
Wien, am