VwGH vom 28.04.2011, 2009/11/0062

VwGH vom 28.04.2011, 2009/11/0062

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A K in M, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats für Kärnten vom , Zl. KUVS-1982/6/2008, betreffend Erteilung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Asylwerber, beantragte nach Ausweis der unbedenklichen Verwaltungsakten am die Erteilung einer Lenkberechtigung für die Klasse B und wies sich dabei mit seiner am vom Bundesasylamt ausgestellten (mit Lichtbild, Personaldaten, Unterschrift und Amtssiegel versehenen) Aufenthaltsberechtigungskarte aus. Nach Abschluss der Ausbildung, Absolvierung der amtsärztlichen Untersuchung und Bezahlung der Prüfungsgebühr beabsichtigte er im April 2008, zur Fahrprüfung anzutreten. Der Beschwerdeführer wies sich dabei wiederum mit seiner Aufenthaltsberechtigungskarte aus, worauf ihm der Prüfungsantritt verweigert wurde.

Mit Bescheid vom wies die Bundespolizeidirektion Villach den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Lenkberechtigung für die Klasse B ab. Begründend führte die Behörde aus, gemäß § 3 Abs. 5 Fahrprüfungsverordnung sei bei jedem Prüfungskandidaten vor Prüfungsabnahme die Identität festzustellen. Eine Aufenthaltsberechtigungskarte allein reiche als Identitätsnachweis nicht aus. Da der Beschwerdeführer keine sonstigen Dokumente zum Nachweis seiner Identität habe vorlegen können, sei ihm die Prüfungsabnahme zu verweigern gewesen.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid ab. In ihrer Begründung bezog sie sich auf die §§ 50 bis 52 des Asylgesetzes 2005 und die entsprechende Regierungsvorlage und betonte, dass danach die vom Bundesasylamt ausgestellte Aufenthaltsberechtigungskarte (lediglich) die Verfahrensidentität im Asylverfahren und die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Asylwerbers bescheinige. Die Aufenthaltsberechtigungskarte könne daher im Führerscheinverfahren nicht als Identitätsnachweis anerkannt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorliegend maßgebenden Rechtsvorschriften lauten (auszugsweise):

1.1. Führerscheingesetz (FSG) in der Fassung BGBl. I Nr. 31/2008:

"Verfahren bei der Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 5. (1) Ein Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigung darf nur gestellt werden, wenn der Antragsteller

1. seinen Wohnsitz im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates über den Führerschein ABl. Nr. 237 vom in Österreich hat (Abs. 2),

2. das für die Absolvierung der Fahrausbildung erforderliche Mindestalter (§ 6 Abs. 2) erreicht hat und

3. noch keine Lenkberechtigung für die angestrebte Klasse oder Unterklasse besitzt.

(4) Die Lenkberechtigung ist zu erteilen, wenn das in den §§ 6 bis 11 angeführte Verfahren ergibt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung vorliegen. …

Fahrprüfung

§ 11. (1) Die Fahrprüfung hat aus einer automationsunterstützten theoretischen und einer praktischen Prüfung zu bestehen.

(7) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechend, durch Verordnung die näheren Bestimmungen festzusetzen über:


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1.
den Vorgang und den Umfang der theoretischen Prüfung,
2.
3.
den Vorgang und den Umfang der praktischen Prüfung und das Prüfungsprotokoll,
…"

1.2. Fahrprüfungsverordnung in der Fassung BGBl. II Nr. 46/2008:

"Abhaltung der theoretischen Fahrprüfung

§ 3. (1) …

(5) Für die theoretische Fahrprüfung hat der Landeshauptmann eine geeignete Aufsichtsperson aus dem Personalstand einer Gebietskörperschaft oder der Liste der bestellten Fahrprüfer zu bestellen oder durch die Behörde bestellen zu lassen. … Die Aufsichtsperson hat bei jedem Kandidaten die Identität festzustellen und die Namen mit den in der Kandidatenliste genannten Namen zu vergleichen. …

Zulassung zur praktischen Fahrprüfung

§ 14. (1) Zur theoretischen und praktischen Fahrprüfung ist ein Kandidat nur zuzulassen, wenn er seine Identität mit einem Lichtbildausweis gegenüber der Aufsichtsperson und dem Fahrprüfer nachgewiesen hat.

…"

1.3. Asylgesetz 1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002:

"Vorläufige Aufenthaltsberechtigung

§ 19. (1) Asylwerber, die sich - sei es auch im Rahmen einer Vorführung nach Anreise über einen Flugplatz oder nach direkter Anreise aus dem Herkunftsstaat (§ 17 Abs. 1) - im Bundesgebiet befinden, sind vorläufig zum Aufenthalt berechtigt, es sei denn, ihr Antrag wäre wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. …

(2) Asylwerber, die unter Umgehung der Grenzkontrolle oder entgegen den Bestimmungen des 2. Hauptstückes des Fremdengesetzes eingereist sind, haben die vorläufige Aufenthaltsberechtigung erst, wenn sie von der Behörde zuerkannt wird. Die Behörde hat solchen Asylwerbern, deren Antrag zulässig, aber nicht offensichtlich unbegründet ist, unverzüglich die vorläufige Aufenthaltsberechtigung durch Aushändigung der Bescheinigung zuzuerkennen.

(3) Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung ist Asylwerbern, denen die vorläufige Aufenthaltsberechtigung zukommt, von Amts wegen zu bescheinigen. Der Bundesminister für Inneres hat mit Verordnung das Aussehen der Bescheinigung festzulegen.

(4) Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung endet, wenn das Asylverfahren eingestellt oder rechtskräftig abgeschlossen ist.

…"

1.4. Asylgesetz 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003:

"Aufenthaltsberechtigungskarte

§ 36b. (1) Asylwerbern, deren Verfahren zugelassen sind, ist eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen. Die Gültigkeitsdauer dieser Karte ist bis zur Rechtskraft des Verfahrens befristet.

(2) Die Aufenthaltsberechtigungskarte dient dem Nachweis der Identität und der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Bundesgebiet.

§ 32 Abs. 1 und 2 FrG gilt. Nach Beendigung des Verfahrens ist die Aufenthaltsberechtigungskarte vom Fremden dem Bundesasylamt zurückzustellen.

(3) Die nähere Gestaltung der Aufenthaltsberechtigungskarte hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung zu regeln. …

Übergangsbestimmungen

§ 44. (1) Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum gestellt wurden, werden nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

(4) § 36b ist auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden, wenn dem Asylwerber eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19, BGBl. I Nr. 126/2002, zukommt; Bescheinigungen gemäß § 19 behalten ihre Gültigkeit bis zum vorgesehenen Zeitpunkt, es sei denn es wird vor Ablauf der Gültigkeitsdauer eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 36b ausgestellt. …

…"

1.5. Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005:

"Aufenthaltsberechtigungskarte

§ 51. (1) Einem Asylwerber, dessen Verfahren zuzulassen ist, ist eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen. Die Karte ist bis zu einer durchsetzbaren Entscheidung, zur Einstellung oder zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens gültig.

(2) Die Aufenthaltsberechtigungskarte dient dem Nachweis der Identität für Verfahren nach diesem Bundesgesetz und der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Bundesgebiet. Nach Beendigung des Verfahrens oder bei Entzug des Aufenthaltsrechts ist die Aufenthaltsberechtigungskarte vom Fremden dem Bundesasylamt zurückzustellen.

Übergangsbestimmungen

§ 75. (1) Alle am anhängigen Verfahren sind nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

(3) Karten nach dem AsylG 1997 behalten ihre Gültigkeit bis zum vorgesehenen Zeitpunkt.

…"

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Der Beschwerdeführer stellte - nach Ausweis der Verwaltungsakten - am einen (zulässigen) Asylantrag, und es wurde ihm am gemäß § 19 AsylG 1997 eine vorläufige Aufenthaltsberechtigungskarte mit Gültigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ausgestellt. Nach der Aktenlage war das Asylverfahren des Beschwerdeführers während des gegenständlichen Berufungsverfahrens noch offen und die Aufenthaltsberechtigungskarte somit noch gültig.

Zu klären ist vorliegend die Frage, ob diese Aufenthaltsberechtigungskarte geeignet war, die Identität des Beschwerdeführers im Sinn der §§ 3 Abs. 5 und 14 der Fahrprüfungsverordnung nachzuweisen.

Nach den Übergangsbestimmungen des § 44 Abs 1 und Abs. 4 AsylG 1997 (idF der Novelle 2003) ist dessen § 36b auch auf Verfahren über Asylanträge anzuwenden, die bis zum gestellt wurden, wenn - wie im Fall des Beschwerdeführers - dem Asylwerber bereits eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 AsylG 1997 zukommt. Nach der Übergangsbestimmung des § 75 AsylG 2005 sind am anhängige Verfahren nach dem AsylG 1997 unter Anwendung des § 44 AsylG 1997 zu Ende zu führen, wobei Karten nach dem AsylG 1997 ihre Gültigkeit bis zum vorgesehenen Zeitpunkt behalten.

Auf den Beschwerdefall, in dem der Asylantrag vor dem gestellt wurde und das Asylverfahren über den hinaus anhängig war, ist somit § 36b AsylG 1997 (idF der Novelle 2003) anzuwenden, nach dessen Abs. 2 die Aufenthaltsberechtigungskarte dem Nachweis der Identität dient, und zwar - anders als gemäß § 51 Abs. 2 AsylG 2005 - ohne Einschränkung auf das Asylverfahren. Eine derartige Einschränkung - entgegen dem Wortlaut des § 36b Abs. 2 AsylG 1997 - ist auch den parlamentarischen Materialien zur Asylgesetznovelle 2003 nicht unmissverständlich zu entnehmen (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 120 BlgNR 22. GP, S. 21 f.). Darüber hinaus lässt weder die Übergangsbestimmung des § 75 AsylG 2005 erkennen, dass der Geltungsbereich von bis zum ausgestellten Aufenthaltsberechtigungskarten als Identitätsnachweis nachträglich eingeschränkt werden sollte, noch geht Derartiges aus den parlamentarischen Materialien zum AsylG 2005 hervor (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 952 BlgNR 22. GP, S. 69, 75).

Aus all dem ergibt sich, dass die Aufenthaltsberechtigungskarte des Beschwerdeführers als nicht auf das Asylverfahren beschränkter Identitätsnachweis dient.

2.2. Durch die Beurteilung der Aufenthaltsberechtigungskarte des Beschwerdeführers nach § 51 Abs. 2 AsylG 2005 anstatt nach § 36b Abs. 2 AsylG 1997 hat die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt und deshalb den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung der Lenkberechtigung zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, eine derartige Karte könne "im Führerscheinverfahren nicht als Identitätsnachweis anerkannt werden".

3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am