VwGH vom 27.05.2015, Ra 2014/18/0133
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des Y A in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L513 1424545-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er begründete diesen zusammengefasst damit, dass er am in der Türkei an einer Demonstration gegen die damals bevorstehende "Schließung" der DTP-Partei teilgenommen habe, im Zuge derer er festgenommen worden sei. In der Folge sei gegen den Revisionswerber ein Strafverfahren wegen Mitgliedschaft bei einer Terrororganisation (PKK) und wegen Propaganda für diese Organisation eingeleitet worden, obwohl er kein Mitglied dieser Organisation sei und sich während der Demonstration nichts zuschulden habe kommen lassen. Er habe acht Monate in Untersuchungshaft verbracht und sei in erster Instanz unschuldig zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Aus Angst um sein Leben und vor der Haft sei er im Mai 2011 nach Österreich geflüchtet.
2. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab und wies den Revisionswerber in die Türkei aus. Begründend führte es zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei als einer von mehreren Teilnehmern an einer nicht genehmigten Demonstration, wo unter anderem als gefährlich einzustufende Brandsätze beschlagnahmt worden seien, festgenommen worden. Da ihm als bloßem Teilnehmer an einer Demonstration, wie im von ihm vorgelegten erstinstanzlichen Urteil nachzulesen sei, keine weiteren Straftaten vorgeworfen worden seien, habe er keinerlei asylrelevante Verfolgung im Falle einer Rückkehr in die Türkei zu befürchten.
3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber aus, die Begründung des angefochtenen Bescheides sei nicht nachvollziehbar, weil er die Ausfertigung eines türkischen Urteils vorgelegt habe, mit dem er zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei. Zudem sei das Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen.
Mit Schriftsatz vom legte der Revisionswerber zum Beweis seines Vorbringens und vor allem des Umstandes, dass ihm bei seiner Rückkehr in die Türkei der Vollzug einer Freiheitsstrafe aufgrund politischer Aktivität drohe, ein im Instanzenzug ergangenes Urteil des türkischen Strafgerichtes vom vor. Aus diesem Urteil folge insbesondere, dass er in seiner Heimat eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren, zwei Monaten und sieben Tagen zu verbüßen habe. Der rechtsfreundliche Vertreter des Revisionswerbers habe erfolglos versucht, auf Grund von Amnestiegesetzen eine Aufhebung des Strafurteils zu erwirken.
4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§ 3 und 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet ab und verwies das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
In seiner Entscheidung stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe am an einer illegalen Demonstration für die "kurdischen Belange" teilgenommen. Die nicht genehmigte Demonstration sei von der Polizei überwacht worden. Dabei sei es auch zu Festnahmen von Demonstranten, darunter auch des Revisionswerbers, gekommen, wobei der Revisionswerber selbst bis in (Untersuchungs )Haft verblieben sei. Nach seiner Enthaftung habe er zwischen September 2010 und Jänner 2011 in G einen Vorbereitungskurs für das Studium besucht. Dort sei er letztmalig einer Personenkontrolle unterzogen worden. Im Berufungsverfahren sei der Revisionswerber mit Urteil des 4. Schwurgerichts "D" vom wegen zweier Delikte zu "mehr als sieben Jahren Haft verurteilt (worden) (5 Jahre, 11 Monate und 26 Tage wegen Mitgliedschaft bei einer illegalen Terrororganisation und 10 Monate wegen Propagierens für eine Terrororganisation)". Es habe nicht festgestellt werden können, dass die dem Revisionswerber aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung drohende Haft oder das wegen der Wehrdienstverweigerung zu erwartenden Strafverfahren im Fall seiner Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung darstellten.
Das Bundesverwaltungsgericht führte im Hinblick auf die beantragte Zuerkennung von Asyl aus, es habe sich dem erkennenden Richter nicht erschlossen, dass die ausgesprochene Verurteilung in ihrem Ausmaß per se unverhältnismäßig wäre. Der Revisionswerber sei einerseits wegen Zugehörigkeit zu der in der Türkei ebenso wie in der Europäischen Union als terroristische Organisation bezeichneten PKK zu einer Haftstrafe von etwas weniger als sechs Jahren verurteilt worden, was nicht als unverhältnismäßig oder rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechend zu bewerten sei. Auch die andere geringere Verurteilung wegen Propagierens für eine Terrororganisation stelle sich in dieser Form als nicht unverhältnismäßig oder rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechend dar. Die Vorwürfe, das Strafverfahren sei willkürlich bzw. die Anklage konstruiert gewesen, seien aus den als Beweismittel vorgelegten Unterlagen (Anklageschrift und Gerichtsurteile) nicht abzuleiten, zumal in den vorgelegten Urkunden die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sowie die Erwägungen des jeweiligen Gerichts bei der Urteilsfindung im Großen und Ganzen nachvollziehbar dargestellt worden seien. Stichhaltige Hinweise auf die behauptete fehlende Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens seien nicht hervorgekommen.
Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf § 21 Abs. 7 BFA-VG im Wesentlichen damit, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschienen sei.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
7. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7.1. Die Revision bringt zur Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht ( und 0018) abgewichen, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt der Behörde keine Aktualität und Vollständigkeit aufgewiesen habe.
7.2. Die Revision ist zulässig und begründet.
7.2.1. Der Revisionswerber trat den Erwägungen der Verwaltungsbehörde, ihm drohe als bloßem Teilnehmer an einer Demonstration im Falle der Rückkehr in die Türkei keine asylrelevante Verfolgung, im Beschwerdeverfahren substantiiert entgegen und legte mit Stellungnahme vom die Ausfertigung des Berufungsurteils im türkischen Strafverfahren vor, demzufolge er wegen Mitgliedschaft zur Terrororganisation PKK und wegen Propagierens für diese Terrororganisation zu einer mehr als sieben Jahre dauernden Haftstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei.
Das Bundesverwaltungsgericht zog die Verurteilung des Revisionswerbers nicht in Zweifel, ging aber davon aus, dass diese "nicht als unverhältnismäßig oder rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechend zu bewerten" sei.
Dabei ging das Bundesverwaltungsgericht richtigerweise davon aus, dass es im Falle der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung ("prosecution") einerseits und der Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ("persecution") andererseits bedarf.
Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen "Verfolgung" im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. , mwN).
Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines - wie im vorliegenden Fall - auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es somit entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an (vgl. in diesem Sinne ).
Für eine erschöpfende Beurteilung war es nicht hinreichend, nur die dem Revisionswerber zur Last gelegten Delikte (Mitgliedschaft bei einer illegalen Terrororganisation und Propagieren für eine Terrororganisation) und die dafür verhängten Strafen festzustellen. Es wäre vielmehr nach Durchführung eines mängelfreien Verfahrens festzustellen gewesen, aufgrund welchen von den türkischen Gerichten als erwiesen angenommenen tatsächlichen Verhaltens des Revisionswerbers das türkische Strafgericht von der Erfüllung der einschlägigen Tatbestände ausging und welche Sanktion dafür jeweils verhängt wurde. Dabei bildet eine verständliche Übersetzung des ergangenen Strafurteils eine wesentliche Sachverhaltsgrundlage für die Beurteilung der hier zentralen Fragen des Asylverfahrens (vgl. auch hierzu ). Erst im Anschluss daran hätte das Bundesverwaltungsgericht beurteilen können, ob den laut Berufungsurteil verhängten Sanktionen für die vom Revisionswerber verwirklichten Straftatbestände jede Verhältnismäßigkeit fehlte.
Im angefochtenen Erkenntnis finden sich diese erforderlichen Feststellungen nicht, weshalb ein die abschließende rechtliche Beurteilung hindernder sekundärer Feststellungsmangel vorliegt, der das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.
7.2.2. Darüber hinaus hätten die im Sinne der obigen Ausführungen erforderlichen Feststellungen jedenfalls erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden können. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt war nämlich schon wegen der ergänzend zu treffenden Feststellungen im Sinn der obigen Ausführungen - wie die Revision zu Recht geltend macht - nicht als geklärt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG anzusehen (vgl. zu den maßgeblichen Kriterien und 0018, u.a.).
7.3. Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
7.4. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden. Eine solche wird vom Bundesverwaltungsgericht durchzuführen sein.
7.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am