VwGH vom 02.10.2012, 2011/21/0214
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-401111/7/AB/Sta, betreffend Anhaltung (mitbeteiligte Partei: I, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, Pulverturmgasse 4/2/R01; weitere Partei:
Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der genannte Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkte II. und IV.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein ägyptischer Staatsangehöriger, hatte ab dem über Aufenthaltstitel zum Zweck eines Studiums in Österreich verfügt. Zuletzt war er jedoch mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG mangels ausreichenden Studienerfolges ausgewiesen worden. Eine dagegen erhobene Beschwerde war mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0118, dem die Einzelheiten dieses Verfahrens entnommen werden können, als unbegründet abgewiesen worden.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt einen in der Folge gestellten Antrag des Mitbeteiligten auf Gewährung von internationalem Schutz vollinhaltlich ab und wies ihn nach Ägypten aus. Der Asylgerichtshof wies eine dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
Mit am erlassenem Bescheid wies das Bundesasylamt auch einen Folgeantrag des Mitbeteiligten auf Gewährung von internationalem Schutz ab, wies den Mitbeteiligten neuerlich aus dem Bundesgebiet nach Ägypten aus und erkannte einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 38 Abs. 1 Z. 6 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung ab. Auch eine dagegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg (Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom ).
Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Bescheid vom wies die belangte Behörde (Unabhängiger Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich) eine Beschwerde des Mitbeteiligten hinsichtlich seiner Festnahme und Anhaltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zweck der (der eben erwähnten Bescheiderlassung nachfolgenden) Vorführung vor die Fremdenpolizeibehörde am in der Zeit ab ca. 15.52 Uhr bis zur Vorführung vor die Bundespolizeidirektion Linz als Fremdenpolizeibehörde (kurz vor 16.00 Uhr) gemäß den §§ 82 und 83 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Damit zusammenhängend verhielt sie den Mitbeteiligten zum Aufwandersatz (Spruchpunkt III).
Hingegen gab sie der Beschwerde des Mitbeteiligten hinsichtlich seiner Anhaltung am 24. und durch der Bundespolizeidirektion Linz zurechenbare Organe im Zeitpunkt ab der genannten Vorführung am (kurz vor 16.00 Uhr) bis zur Zustellung des (unbekämpft gebliebenen) Schubhaftbescheides am um ca. 11.30 Uhr statt und erklärte diese Maßnahme für rechtswidrig (Spruchpunkt II.).
Damit zusammenhängend verhielt sie den Bund zum Aufwandersatz (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - aus, der Mitbeteiligte sei am gemäß § 39 Abs. 3 Z. 1 FPG festgenommen und angehalten worden. Die Anhaltung sei jedoch mit der Vorführung vor den der Fremdenpolizeibehörde zuzurechnenden Journalbeamten der Bundespolizeidirektion Linz am kurz vor 16.00 Uhr beendet worden. Danach sei der Mitbeteiligte, was sich für ihn als Einheit dargestellt habe, in das polizeiliche Anhaltezentrum verbracht worden, wo seine Anhaltung bis zur Schubhaftverhängung durch Zustellung des Schubhaftbescheides am um ca. 11.30 Uhr beendet worden sei. Hinsichtlich dieser - mehr als 19-stündigen - Anhaltung durch die Fremdenpolizeibehörde fehle eine gesetzliche Deckung im FPG, die nach Art. 5 Abs. 1 EMRK und Art. 1 Abs. 2 PersFrG jedoch erforderlich gewesen wäre.
Eine - auch der Fremdenpolizeibehörde bei der Erlassung eines Schubhaftbescheides zukommende - faktisch notwendige Vorbereitungsphase im Vorfeld der Bescheiderstellung (etwa für Tätigkeiten wie Aktenstudium oder Einvernahme des Betroffenen) habe "schon der Aktenlage zufolge" nicht stattgefunden. Derartiges habe die Fremdenpolizeibehörde auch nicht vorgebracht. Ebenso scheide eine Subsumption der Anhaltung unter die Regelung der Schubhaft nach § 76 FPG aus. Mangels gesetzlicher Deckung erweise sich somit diese gegenüber dem Mitbeteiligten gesetzte Maßnahme als rechtswidrig.
Gegen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten im erwähnten Umfang (Spruchpunkt II.) und den damit zusammenhängenden Ausspruch über den Aufwandersatz (Spruchpunkt IV.) richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass hier die Rechtmäßigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten im Zeitraum vom 24. bis zum zu beurteilen ist, sodass die im damaligen Zeitpunkt geltende Rechtslage (vor dem FrÄG 2011) maßgeblich ist.
§ 39 Abs. 1 bis 3 und 5 FPG lautet samt Überschrift:
"Festnahme
§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerlässlichen Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn
1. sie ihn bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 auf frischer Tat betreten oder
2. er seiner Verpflichtung nach § 32 Abs. 1 nicht nachkommt.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden festzunehmen,
1. gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 74 Abs. 1 oder 2) besteht, um ihn der Behörde vorzuführen;
2. der innerhalb von sieben Tagen nach der Einreise bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt betreten wird oder
3. der auf Grund einer Übernahmserklärung (§ 19) eingereist ist.
(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Asylwerber und Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn
1. gegen diesen eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;
2. gegen diesen nach § 27 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;
3. gegen diesen vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54), oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder
4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.
…
(5) Die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen. Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen des Abs. 1 bis zu 24 Stunden und in den Fällen der Abs. 2 und 3 bis zu 48 Stunden zulässig; darüber hinaus ist Freiheitsentziehung nur gemäß Abs. 6, § 77 Abs. 5 oder in Schubhaft möglich. Dem festgenommenen Fremden ist die Vornahme der Festnahme über sein Verlangen schriftlich zu bestätigen."
Die Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 92) führt dazu auszugsweise aus:
"Das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit legt die zeitliche Beschränkung der Festnahme zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde wegen Verdachts der Verwaltungsübertretung mit 24, in den anderen Fällen mit 48 Stunden fest. Darüber hinaus ist eine Freiheitsentziehung daher nur in Schubhaft möglich."
§ 76 Abs. 3 FPG enthielt unter der Überschrift "Schubhaft" folgende Anordnung:
"§ 76. (3) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei der Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen."
Die Amtsbeschwerde vertritt die Ansicht, die im § 39 Abs. 5 FPG vorgesehene (fallbezogen anzuwendende) Frist von 48 Stunden umfasse den Zeitraum von der Festnahme des Fremden bis zur Verhängung der Schubhaft, unabhängig vom Zeitpunkt der Vorführung des Fremden vor die Behörde. Andernfalls erschiene auch die Unterscheidung zwischen einer höchstzulässigen Anhaltedauer von 24 Stunden und 48 Stunden sachlich nicht gerechtfertigt, werde für eine Vorführung des Fremden vor die Behörde nach seiner Festnahme doch regelmäßig derselbe Zeitraum benötigt. Die Anhaltedauer müsse sich daher "auf das gesamtheitliche Handeln (Festnahme - Vorführung - einschließlich anschließenden behördlichen Handelns) beziehen", weil mit dem Vollzug der verschiedenen Gesetzesbestimmungen ein unterschiedlicher (etwa durch die Verhängung der Schubhaft bedingter) Verwaltungsaufwand verbunden sei. Hier habe die Fremdenpolizeibehörde überdies nach verhältnismäßiger Prüfung entschieden, dass Schubhaft angeordnet werde; die Schubhaftverhängung sei unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. Im Hinblick darauf und weil die höchstzulässige Anhaltedauer von 48 Stunden nicht überschritten worden sei, könne der Mitbeteiligte nicht beschwert sein.
Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:
Zunächst ist der Amtsbeschwerde darin beizupflichten, dass sich die nach § 39 Abs. 3 und 5 FPG zulässige Dauer der Anhaltung nach der Systematik dieses Gesetzes, das für die Zeit nach der Festnahme bis zur Schubhaftverhängung keine andere Grundlage für die Anhaltung nennt und auch nicht von einer Pflicht zur Enthaftung eines Fremden, gegen den die Anordnung der Schubhaft gerechtfertigt ist, ausgeht, auf den Zeitraum von der Festnahme des Fremden (hier nach § 39 Abs. 3 Z. 1 FPG) bis zur Verhängung der Schubhaft (§ 76 Abs. 3 FPG) bezieht.
Selbst wenn für die Erlassung des die Schubhaft anordnenden Bescheides keine Erhebungen erforderlich gewesen sein sollten, macht dies die Anhaltung eines Fremden - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - jedenfalls nicht bereits unmittelbar mit seiner Vorführung vor den zuständigen Organwalter der Fremdenpolizeibehörde rechtswidrig. Es ist nämlich jedenfalls eine angemessene Frist für die Vorbereitung und Erlassung des Bescheides nach § 76 Abs. 3 FPG durch den zuständigen Sachbearbeiter einzuräumen. Um das Überschreiten eines hiefür angemessenen Zeitraumes annehmen zu können, wäre aber das Vorliegen - nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilender - ungerechtfertigter Verzögerungen notwendig (vgl. zu § 177 Abs. 2 StPO etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 989/86 = VfSlg. 11.781, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/01/1071; allgemein weiters K. Stöger in Raschauer/Wessely, Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz, § 36 Rz 5 mwN.).
Die Frage, ob solche Umstände fallbezogen vorlagen, ist jedoch - weil die belangte Behörde auf Grund unzutreffender rechtlicher Beurteilung die Anhaltung des Mitbeteiligten jedenfalls bereits ab seinem Eintreffen bei dem zuständigen Sachbearbeiter der Fremdenpolizeibehörde als rechtswidrig beurteilt hat - im bisherigen Verfahren ungeprüft geblieben.
Der Bescheid der belangten Behörde war daher im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am