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VwGH vom 29.06.2016, Ro 2014/15/0013

VwGH vom 29.06.2016, Ro 2014/15/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des D U in W, vertreten durch Martin Friedl, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Linz, vom , Zlen. RV/1031-L/09, RV/1032-L/09, betreffend Einkommensteuer 2007 und 2008, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber gab für 2007 seine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung ab. Mit wurde der Einkommensteuerbescheid 2007 erklärungsgemäß erlassen, wobei nichtselbständige Einkünfte (Waisenrente und Lehrlingsentschädigung) berücksichtigt wurden.

2 Mit Schreiben vom erhob der Revisionswerber Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 und führte zur Begründung aus, dass er minderjähriger Vollwaise in Ausbildung sei. Die Pensionsversicherungsanstalt überweise für ihn eine Waisenrente in Höhe von 17.547,72 EUR an das Bezirksgericht, Jugendwohlfahrtsstelle. Die Jugendwohlfahrt bezahle ihm von dieser Rente 20%, der Rest werde als Pflegekosten einbehalten. Ihm würden daher zwangsläufig Pflegekosten in Höhe von 14.038,18 EUR erwachsen. Er beantrage die Berücksichtigung dieser Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung.

3 Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung ab. Die aus der Waisenpension des Vollwaisen geleisteten Zahlungen an das Bezirksgericht dienten dem Unterhalt des Revisionswerbers. Seitens der Jugendwohlfahrt würden an die Pflegeeltern Zahlungen geleistet, die dem Unterhalt des Vollwaisen dienten. Gemäß § 34 Abs. 7 EStG 1988 seien Unterhaltsleistungen für Kinder durch die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag abgegolten und es bestünden keine weiteren Absetzungsmöglichkeiten. Damit sei steuerlich eine Gleichbehandlung von Vollwaisen und Kindern und Eltern gewährleistet.

4 Im Einkommensteuerbescheid 2008 vom berücksichtigte das Finanzamt die Zahlungen aus der Waisenpension ebenfalls nicht als außergewöhnliche Belastung.

5 Mit Schriftsatz vom erhob der Revisionswerber einerseits Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 und andererseits beantragte er hinsichtlich Einkommensteuer 2007 die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Mit Vorlagebericht vom wurden die Berufungen gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 der belangten Behörde zur Entscheidung vorgelegt.

6 Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen teilweise Folge und änderte die bekämpften Bescheide ab. Begründend führte sie aus, eine Belastung sei dann außergewöhnlich, soweit sie höher sei als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwachse. Alle Steuerpflichtigen, gleichgültig in welchem Alter, die Einkommen in der gleichen Höhe erzielten, hätten ihre Aufwendungen für die Lebensführung (für den Lebensunterhalt z. B. Essen, Kleidung, Wohnraum etc.) aus ihren eigenen Einkünften zu bestreiten. Aufwendungen für die Lebensführung stellten somit grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung dar. Die vom Revisionswerber an das Gericht zu leistenden Beträge dienten unstrittig jedenfalls der Abdeckung der Kosten für die Lebensführung (den Lebensunterhalt) des Revisionswerbers. Insoweit lägen also keine außergewöhnlichen Kosten vor.

7 Bei minderjährigen Kindern werde im Regelfall jedoch die notwendige Obsorge (Betreuung) von den Eltern geleistet, ohne dass ein besonderes Entgelt dafür zu zahlen sei. Insoweit für die Obsorgeleistung bezahlt werden müsse, erwachse dem Revisionswerber eine Belastung, die andere minderjährige Personen in seinem Alter bei gleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht hätten, somit außergewöhnlich sei. Bei einem Waisenkind werde die Obsorge von den Pflegeeltern geleistet. Es stelle sich somit die Frage, ob, und wenn ja, in welcher Höhe ein Teil der Zahlung, die der Revisionswerber an das Gericht zu leisten habe, solche Obsorgeleistungen abgelte und welcher Anteil auf die üblichen Aufwendungen für die Lebensführung entfalle. Es stelle sich somit als wesentlicher Sachverhalt die Frage, wie hoch die normalen Kosten der Lebensführung, die übliche, nicht außergewöhnliche Aufwendungen der Lebensführung darstellten, einer Person im Alter des Berufungswerbers seien.

8 Der Revisionswerber ziehe pauschal eine Haushaltsersparnis von monatlich 156,96 EUR (8/10 des Wertes der vollen freien Station gemäß der Verordnung über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge, BGBl. II Nr. 416/2001, in Höhe von 196,20 EUR), somit einen jährlichen Betrag von 1.883,52 EUR ab. Nach Ansicht der belangten Behörde seien die normalen Kosten der Lebensführung einer Person im Alter des Revisionswerbers nach allgemeiner Lebenserfahrung jedenfalls höher. Schon die Regelbedarfsätze, die zur Unterhaltsbemessung von Kindern herangezogen würden und den Bedarf festlegten, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe, unabhängig von den Lebensverhältnissen der Eltern, habe, seien bei weitem höher.

9 Die Aufwendungen für die Lebensführung und die Obsorge würden im Regelfall von den Eltern geleistet. Lebten die Eltern nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind, leiste der Elternteil, der den Haushalt führe, in dem er das Kind betreue, seinen Beitrag (§ 140 Abs. 2 ABGB). Der andere Elternteil habe den Unterhalt in Form von Geld zu leisten. Die Höhe des Unterhalts bemesse sich nach den Lebensverhältnissen der Eltern und den Bedürfnissen des Kindes, wobei Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen des Kindes zu berücksichtigen seien. Die Rechtsprechung orientiere sich an der sog. Prozentsatzmethode, wonach der Unterhalt nach Alter des Kindes gestaffelt 16-22% des Nettoeinkommens betrage, höchstens jedoch das 2,5 fache des Durchschnitts- oder Regelbedarfs. Der Regelbedarf sei der Bedarf, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe, unabhängig von den Lebensverhältnissen der Eltern, habe. Er betrage für die Altersgrenze 15 bis 19 Jahre im Jahr 2007 370 EUR, für das Jahr 2008 377 EUR monatlich. Bei der Konstellation, dass ein Elternteil mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebe und der andere Elternteil Geldunterhalt leiste, werde somit die Obsorge von dem einen Elternteil erbracht und vom anderen Elternteil würden durch den Geldunterhalt alle anderen Kosten der Lebensführung bestritten. Ein Betrag in Höhe des Geldunterhaltes (bis maximal 2,5 fache des Regelbedarfes) stelle sich somit als normale Höhe der Kosten der Lebensführung eines Kindes (ohne Obsorge) dar.

10 Die belangte Behörde komme daher zu der Ansicht, dass von den Beträgen (80% der Waisenpension), die der Revisionswerber an das Bezirksgericht leisten müsse, jene Teile bis zur Höhe des 2,5 fachen Regelbedarfes seiner Altersklasse als Abgeltung der normalen Kosten der Lebensführung anzusehen seien und darin keine Außergewöhnlichkeit der Kosten zu sehen sei, weil die normalen Kosten der Lebensführung jeder andere Steuerpflichtige gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse ebenfalls zu tragen habe. Nur der darüber hinausgehende Betrag werde zur Abgeltung von zusätzlichen Leistungen der Pflegeltern (insbesondere für die Obsorge) bezahlt. Da dieser Aufwand für die Obsorge im Regelfall für ein minderjähriges Kind von den Eltern geleistet werde, ohne dass ein besonderes Entgelt zu leisten sei, sei dieser Aufwand als außergewöhnlich anzusehen, weil ein vergleichbarer minderjähriger Steuerpflichtiger bei gleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen diesen Aufwand nicht habe.

11 Der Revisionswerber sei in den Streitjahren 2007 bzw. 2008 16 bzw. 17 Jahre alt gewesen. Für die Berechnung sei somit der Regelbedarfssatz für ein Kind zwischen 15 und 19 Jahren heranzuziehen. Für 2007 bestehe eine Zahlung an das Bezirksgericht von 14.038,18 EUR, ein monatlicher Regelbedarf von 370 EUR sowie ein 2,5 facher Regelbedarf von 925 EUR pro Monat oder 11.100 EUR pro Jahr. Die Differenz zwischen Zahlung an das Bezirksgericht und 2,5 fachem Regelbedarf betrage somit 2.938,18 EUR und sei als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Für das Jahr 2008 bestehe eine Zahlung an das Bezirksgericht von 14.158,32 EUR, ein monatlicher Regelbedarf von 377 EUR sowie ein 2,5 facher Regelbedarf von 942,50 EUR pro Monat oder 11.310 EUR pro Jahr. Die Differenz zwischen Zahlung an das Bezirksgericht und 2,5 fachem Regelbedarf betrage somit 2.848,32 EUR und sei als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

12 Zwangsläufig sei eine Belastung dann, wenn der Steuerpflichtige sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen könne. Die Waisenpension stelle im gegenständlichen Fall eine Leistung der Pensionsversicherungsanstalt dar und sei aufgrund einer Legalzession gemäß § 324 Abs. 3 ASVG als Kostenrückersatz (maximal 80% der Pension) für die Aufwendungen der vollen Unterbringung an den Jugendwohlfahrtsträger zurück zu erstatten. Aus dem Vorbringen des Revisionswerbers gehe hervor, dass in den betreffenden Jahren 2007 und 2008 entsprechende Beträge für die Aufwendung der vollen Unterbringung bei den Pflegeeltern überwiesen worden seien. Der Revisionswerber könne sich der Zahlung an das Bezirksgericht aus rechtlichen Gründen nicht entziehen, weil die Zahlung dem Grunde und der Höhe nach im Gesetz festgelegt sei (vgl. § 324 Abs. 3 ASVG).

13 Gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 beeinträchtige die Belastung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen vor Abzug der außergewöhnlichen Belastung zu berechnenden Selbstbehalt übersteige. Der nach den Vorschriften des § 34 Abs. 4 EStG 1988 ermittelte Selbstbehalt betrage im Jahr 2007 2.155,43 EUR und für 2008 2.646,61 EUR.

14 Gegen diesen Bescheid richtet sich die Revision.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16 Der Revisionswerber bezieht als Vollwaise eine Waisenrente. Diese unterliegt der Steuerpflicht. Zu den Einkünften des Rechtsnachfolgers aus einer ehemaligen Tätigkeit des Rechtsvorgängers (hier der Eltern) zählen nämlich auch Versorgungszahlungen an die Hinterbliebenen (vgl. Doralt , EStG12, § 32 Rz 102).

17 Der Abzug von Belastungen bei Ermittlung des Einkommens setzt gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 voraus, dass die Belastung außergewöhnlich ist, zwangsläufig erwächst und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst (§ 34 Abs. 2 EStG 1988). Zwangsläufigkeit liegt vor, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 34 Abs. 3 EStG 1988). Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie den nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt.

18 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 86/13/0084, ausgeführt hat, sind die von einem Pensionisten für seine Unterbringung in einem Pensionistenheim zu tragenden Aufwendungen so lange nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, als mit ihnen nicht auch besondere Aufwendungen abzudecken sind, die durch Krankheit, Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht werden (ebenso , sowie vom , 2007/13/0051). Dies gilt - worauf der Revisionswerber zu Recht verwiesen hat - für die Unterbringungskosten im Rahmen eines Pflegschaftsverhältnisses grundsätzlich sinngemäß. Dementsprechend ist auch die belangte Behörde richtiger Weise davon ausgegangen, dass dem Revisionswerber insoweit eine Belastung erwachse, die andere minderjährige Personen in seinem Alter bei gleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht hätten und die somit außergewöhnlich sei, als für eine (elterliche) Obsorgeleistung bezahlt werden müsse.

19 Der Revisionswerber hat darauf hingewiesen, dass 80% seiner Waisenrente als "Pflegekosten" einbehalten würden. Dies geht auf eine in § 324 Abs. 3 ASVG vorgesehene Legalzession zurück. Diese Bestimmung lautet idF BGBl. I Nr. 145/2003:

"Wird ein Renten(Pensions)berechtigter auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe oder auf Kosten eines Trägers der Jugendwohlfahrt (...) verpflegt, so geht für die Zeit dieser Pflege der Anspruch auf Rente bzw. Pension (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) bis zur Höhe der Verpflegskosten, höchstens jedoch bis zu 80 vH, (...) dieses Anspruches auf den Träger der Sozialhilfe oder auf den Träger der Jugendwohlfahrt über."

20 Das Ausmaß des Anspruchsübergangs ist demnach in jedem Fall mit der Höhe der "Verpflegskosten" begrenzt ( Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil , SV-Komm, 108. Lfg, § 324 Rz 16). Der streitgegenständlichen "Einbehaltung von Pflegekosten" müsste somit eine entsprechende Abrechnung zugrunde gelegt worden sein.

21 Vor diesem Hintergrund hätte die belangte Behörde zu ermitteln gehabt, wie im konkreten Fall der einbehaltene Betrag berechnet worden ist, wie sich dieser zusammensetzt und insbesondere inwieweit er Komponenten enthält, die als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen.

22 Da die belangte Behörde diese Feststellungen unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb dieser im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.

23 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

24 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 4 Abs. 5 vorletzter Satz VwGbk-ÜG - mit der dort angeführten Maßgabe - iVm § 28 Abs. 5 BFGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am