VwGH vom 24.05.2011, 2009/11/0030
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des M T in N, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-AB-08-1049, betreffend Umschreibung eines nicht von einem EWR-Staat ausgestellten Führerscheins (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am einen Antrag auf Umschreibung seiner nicht in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung der Klasse "B" bei der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens legte er - jeweils samt durch gerichtlich beeidete Übersetzer verfasste deutsche Übersetzungen - seinen russischen Führerschein, eine Führerscheinprüfungsbescheinigung samt Ergebnis seiner absolvierten Fahrprüfung, die provisorische Zulassung zur "Berechtigung zur Lenkung von Transportmitteln" sowie eine seinen russischen Führerschein betreffende Ausstellungsbestätigung des Innenministeriums der Russischen Föderation vor. Die Bezirkshauptmannschaft legte diese Unterlagen dem Landeskriminalamt des Landespolizeikommandos für Niederösterreich zur urkundentechnischen Untersuchung vor. Aufgrund der von dieser Dienststelle verfassten Untersuchungsberichte wies die Bezirkshauptmannschaft den Antrag des Beschwerdeführers auf "Austausch (seines) nicht von einem EWR-Staat ausgestellten Führerscheines" ab.
Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen. Begründend zitierte die belangte Behörde § 23 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG) und führte aus, daraus ergebe sich, dass Voraussetzung der Erteilung einer österreichischen Lenkberechtigung der nachweisliche Besitz einer nicht in einem EWR-Staat ausgestellten Lenkberechtigung sei. Maßgebliches Beweismittel dafür sei das Vorliegen eines "zweifelsfrei rechtsgültigen Führerschein, die über die Berechtigung von der ausländischen Kraftfahrbehörde ausgestellte Urkunde", jedoch ergebe sich aus den "vorliegenden kriminaltechnischen Untersuchungsberichten, dass das vorgelegte Dokument aufgrund des Fehlens wesentlicher Merkmale im Sinne des § 14 Abs. 4 zweiter Satz FSG der Antragsteller den Nachweis des Besitzes einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung nicht erbracht hat und keine der seitens des Antragsteller vorgelegten Unterlagen schlüssig und nachvollziehbar im Sinne der kriminaltechnischen Untersuchung geeignet ist, das Vorliegen einer gültigen Lenkberechtigung eines Nicht-EWR-Staates nachzuweisen" (Fehler im Original).
Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat. Der Beschwerdeführer hat darauf repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die gegenständlich maßgebenden Rechtsvorschriften des Führerscheingesetzes (FSG) in der Fassung BGBl. I Nr. 31/2008 lauten auszugsweise:
"Allgemeiner Teil
Geltungsbereich
§ 1…
(3) Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen eines Anhängers ist, ausgenommen in den Fällen des Abs. 5, nur zulässig mit einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse (§ 2), in die das Kraftfahrzeug fällt. …
(4) Eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates ausgestellte Lenkberechtigung ist einer Lenkberechtigung gemäß Abs. 3 gleichgestellt. Das Lenken von Kraftfahrzeugen mit einer solchen Lenkberechtigung ist jedoch nur zulässig, wenn der Lenker das in § 6 Abs. 1 genannte Mindestalter erreicht hat. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges mit einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung ist nur im Rahmen der Bestimmungen des § 23 zulässig.
…
Führerscheine
Ausstellung des vorläufigen Führerscheines sowie des Führerscheines
§ 13. (1) Mit der erfolgreichen Absolvierung der praktischen Fahrprüfung gilt die Lenkberechtigung unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 7 unter den gemäß § 5 Abs. 5 jeweils festgesetzten Befristungen, Beschränkungen oder Auflagen als erteilt. Nach der Fahrprüfung hat der Fahrprüfer dem Kandidaten den vorläufigen Führerschein für die Klasse(n) oder die Unterklasse(n) auszuhändigen, für die er die praktische Fahrprüfung bestanden hat oder die er bereits besitzt. …
(4) Sobald der Führerscheinwerber sämtliche auf dem Kostenblatt angeführten Gebühren ordnungsgemäß entrichtet hat, hat die Behörde die Herstellung eines Führerscheines zu veranlassen. …Der Produzent des Führerscheines hat diesen an die vom Antragsteller angegebene Adresse zu senden. …
Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers
§ 14. (1) Jeder Lenker eines Kraftfahrzeuges hat unbeschadet der Bestimmungen des § 102 Abs. 5 KFG 1967 auf Fahrten mitzuführen
1. den für das von ihm gelenkte Kraftfahrzeug vorgeschriebenen Führerschein oder Heeresführerschein,
...
(4) Wenn ein Führerschein ungültig geworden ist, hat dessen Besitzer ohne unnötigen Aufschub den Führerschein bei der Behörde abzuliefern und gegebenenfalls die Ausstellung eines neuen Führerscheines zu beantragen (§ 15). Ein Führerschein ist ungültig, wenn die behördlichen Eintragungen, Unterschriften oder Stempel unkenntlich geworden sind, das Lichtbild fehlt oder den Besitzer nicht mehr einwandfrei erkennen läßt, oder Beschädigungen oder Merkmale seine Vollständigkeit, Einheit oder Echtheit in Frage stellen.
…
Ausländische Lenkberechtigungen
§ 23. (1) Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen von Anhängern auf Grund einer von einer Vertragspartei des Pariser Übereinkommens über den Verkehr von Kraftfahrzeugen, BGBl. Nr. 304/1930, des Genfer Abkommens über den Straßenverkehr, BGBl. Nr. 222/1955, oder des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr, BGBl. Nr. 289/1982, in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung durch Personen mit Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) im Bundesgebiet ist zulässig, wenn seit dessen Begründung nicht mehr als sechs Monate verstrichen sind und der Besitzer der Lenkberechtigung das 18. Lebensjahr vollendet hat. …
…
(3) Dem Besitzer einer in einem Nicht-EWR-Staat oder sonstigem Gebiet erteilten Lenkberechtigung ist ab Vollendung des 18. Lebensjahres auf Antrag eine Lenkberechtigung im gleichen Berechtigungsumfang zu erteilen, wenn:
1. der Antragsteller nachweist, dass er sich zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Lenkberechtigung in dem betreffenden Staat während mindestens sechs Monaten aufhielt oder dort seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) hatte; dieser Nachweis entfällt, wenn der Antragsteller die Staatsbürgerschaft des Ausstellungsstaates des Führerscheines besitzt und bei Begründung des Wohnsitzes (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich die ausländische Lenkberechtigung bereits besessen hat und die Behörde keine Zweifel am tatsächlichen Vorliegen des Wohnsitzes (§ 5 Abs. 1 Z 1) oder sechsmonatigem Aufenthaltes in dem betreffenden Staat zum Zeitpunkt des Erwerbes der Lenkberechtigung hat.
2. der Antragsteller seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) nach Österreich verlegt hat oder während seines Auslandsaufenthaltes behalten hat,
3. keine Bedenken hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit bestehen sowie die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 nachgewiesen ist und
4. entweder die fachliche Befähigung durch eine praktische Fahrprüfung gemäß § 11 Abs. 4 nachgewiesen wird oder
5. angenommen werden kann, daß die Erteilung seiner Lenkberechtigung unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt ist, unter denen sie in Österreich erteilt wird. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat mit Verordnung festzulegen, in welchen Staaten für welche Lenkberechtigungen eine derartige Gleichartigkeit besteht.
…"
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1. Im angefochtenen Bescheid ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer habe den Nachweis des Besitzes einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung nicht erbracht; dies unter anderem, weil die kriminaltechnischen Untersuchungen der vorgelegten Unterlagen das Vorliegen einer Lenkberechtigung nicht erwiesen hätten.
Richtig ist zunächst, dass die Erteilung einer Lenkberechtigung nach § 23 Abs. 3 FSG den Besitz einer ausländischen, nicht von einem EWR-Staat ausgestellten, Lenkberechtigung voraussetzt. Nur wenn das Ermittlungsverfahren ergibt, dass der Antragsteller Besitzer einer solchen Lenkberechtigung ist, kann ihm nach der letztzitierten Bestimmung die Lenkberechtigung erteilt werden. Daraus folgt, dass die Führerscheinbehörde in ihrer Beweiswürdigung nachvollziehbar darzulegen hat, ob sie auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens davon ausgeht, der Antragsteller sei im Besitz der genannten ausländischen Lenkberechtigung oder ob dies ihrer Meinung nach nicht der Fall sei. Zu letztgenanntem Ergebnis kann die belangte Behörde in einem Fall, in dem ihr ein ausländischer Führerschein vorgelegt wird, insbesondere dann gelangen, wenn triftige Gründe gegen die Echtheit dieses Dokumentes sprechen. Das bloße Fehlen eines Nachweises in Form kriminaltechnischer Untersuchungen reicht jedoch nicht aus, um davon auszugehen, die in Rede stehenden Tatbestandsvoraussetzungen lägen nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0272, mwN).
Aber selbst wenn die Begründung des angefochtenen Bescheides dahin zu verstehen wäre, die belangte Behörde gehe aufgrund der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten kriminal- bzw. urkundentechnischen Untersuchungen davon aus, der Beschwerdeführer besitze keine Lenkberechtigung, weil im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung triftige Gründe gegen die Echtheit der vorgelegten Dokumente sprächen, so wäre diese Annahme nicht tragfähig. Wie die Beschwerde nämlich zutreffend aufzeigt, liegt einem derartigen Ergebnis keine schlüssige und nachvollziehbare Beweiswürdigung zugrunde.
So wird im Untersuchungsbericht vom zum vorgelegten Führerschein ausgeführt, dass "entsprechendes authentisches Vergleichsmaterial" fehle und "verifizierbare Informationen zu Führerscheinen, die in der Teilrepublik Tschetschenien ausgestellt wurden, mangels bestehender Archive insbesonders seit der Zeit des zweiten Konflikts in der Region (ab 1999) nicht zu bekommen" seien. Auch die Untersuchungsberichte vom und vom betreffend Führerscheinprüfungsbescheinigung, provisorische Zulassung und Ausstellungsbestätigung des Innenministeriums räumen ein, dass "entsprechendes Vergleichsmaterial" fehle. Darüber hinaus drückt die untersuchende Behörde lediglich vage und unpräzisierte Zweifel ("die (…) Befunde sprechen eher für nicht autorisiert ausgestellte Formulare") an der Echtheit aus bzw. erklärt sie, die Ausstellungsbestätigung könne "hinsichtlich Authentizität nicht beurteilt werden". Angesichts dessen hätte die belangte Behörde erläutern müssen, weshalb sie die Angaben des Landeskriminalamts für schlüssig hält, dass der vorgelegte russische Führerschein "verfälscht" sei. Indem sie dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid auch mit wesentlichen Verfahrensfehlern behaftet.
2.2. Die belangte Behörde ging weiters davon aus, der Nachweis einer Lenkberechtigung sei deshalb nicht erbracht worden, weil der vorgelegte Führerschein wesentliche Merkmale im Sinn des § 14 Abs. 4 FSG nicht aufweise.
Wie aus der Überschrift des § 14 FSG erkennbar ist, regelt diese Bestimmung "Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers". Abs. 4 leg. cit. bestimmt dessen Pflicht, seinen Führerschein, wenn dieser ungültig geworden ist, "bei der Behörde abzuliefern und gegebenenfalls die Ausstellung eines neuen Führerscheins zu beantragen". Sowohl aus der Systematik des FSG als auch aus dem Wortlaut des § 14 FSG ergibt sich somit klar, dass sich diese Bestimmung auf Personen bezieht, welche eine (österreichische oder eine dieser gem. § 1 Abs. 4 gleichgestellte, in einem EWR-Staat ausgestellte) Lenkberechtigung besitzen, die durch den Führerschein dokumentiert wird (§ 13 FSG; vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/11/0196). Dass der Besitz einer Lenkberechtigung Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 4 leg. cit. ist, ergibt sich auch daraus, dass andernfalls bei Ungültigwerden des diese Berechtigung lediglich dokumentierenden Führerscheins ein Austausch desselben nicht möglich wäre. Daraus und zuletzt auch aus dem klaren Verweis des § 1 Abs. 4 FSG auf § 23 FSG betreffend das Lenken eines Kraftfahrzeuges mit einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung, erhellt aber auch, dass § 14 Abs. 4 zweiter Satz leg. cit., welcher das Ungültigwerden des - echten - Führerscheins betrifft, keine Kriterien für die Ermittlung des Vorliegens einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung im Verfahren nach § 23 Abs. 3 FSG enthält.
Durch die Anwendung der Kriterien des § 14 Abs. 4 zweiter Satz FSG zur Beurteilung der Echtheit eines von einem Nicht-EWR-Staat ausgestellten Führerscheins hat die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt.
3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das in der Gegenäußerung des Beschwerdeführers beantragte Kostenmehrbegehren war mangels gesetzlicher Grundlage abzuweisen.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-91861