VwGH vom 28.04.2011, 2009/11/0029
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Dr. T N in W, vertreten durch Dr. Michaela Tulipan, Rechtsanwältin in 1210 Wien, Schloßhoferstraße 11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom , Zl. UVS-FSG/18/7585/2008-3, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aufgrund der Anregung eines Dritten und polizeilichen Erhebungen, wonach der Beschwerdeführer "nur mit Krücke gehfähig und schwerhörig" sei, forderte die Bundespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer mit Bescheid vom zur amtsärztlichen Untersuchung gemäß § 24 Abs. 4 Führerscheingesetz (FSG) auf.
Nach der Aktenlage wurde der Beschwerdeführer am amtsärztlich untersucht. Der Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien gelangte zum Ergebnis, der Beschwerdeführer sei "zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe1*)/der Gruppe/2*) geeignet", und zwar mit der Auflage zum "Tragen einer Brille". Gleichzeitig wurde eine fachärztliche Stellungnahme aus dem Bereich Innere Medizin und eine verkehrspsychologische Stellungnahme angefordert.
Das Gutachten der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom über die am durchgeführte Untersuchung ergab, dass "die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben" sei. Die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen des Beschwerdeführers wiesen "praktisch durchgehend massive, über einen altersentsprechenden Leistungsrückgang weit hinausgehende Beeinträchtigungen auf" und genügten "in ihrer Gesamtheit keinesfalls mehr den Mindestanforderungen zum Lenken von Kraftfahrzeugen: Überblicksgewinnung, Einfachwahlreaktionen, reaktive Dauerbelastbarkeit, Konzentrationsfähigkeit, sensomotorische Koordination und optische Merkfähigkeit sind völlig unzureichend. Auch die intellektuelle Leistungsfähigkeit im formal-logischen Bereich ist bereits massiv herabgesetzt".
Die Stellungnahme eines Facharztes für Innere Medizin vom , ergab bei Diagnose "KHK, Hypertonie", dass "aus fachärztlicher, internistischer Sicht kein Einwand gegen die Erteilung einer Lenkberechtigung" bestehe.
Im anschließenden (Formular )Gutachten vom gelangte ein (anderer) Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien einerseits zum Ergebnis, der Beschwerdeführer sei zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe B "nicht geeignet", andererseits zum Ergebnis, er sei "unter folgender Bedingung geeignet -Verwendung von 02.02, 01.01". Begründend wurde lediglich ausgeführt:
"Deutliche Verlangsamung und deutlich reduzierter Allgemeinzustand. In allen Bereichen der kraftfahrspezifischen Leistungen auffällig. Fehlreaktionen, massiv verlängerte Reaktionszeiten sowie mangelndes Konzentrationsvermögen. H.o. uneinsichtig; bekannte Hypertonie, med. eingestellt."
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 und § 25 Abs. 2 FSG entzogen und ihm für dieselbe Dauer das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 FSG verboten. Gleichzeitig wurde einer eventuellen Berufung gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG aberkannt. Begründend wiederholte die Bundespolizeidirektion Wien das zitierte amtsärztliche Gutachten vom .
In der dagegen erhobenen Berufung sowie in einer Stellungnahme im Berufungsverfahren brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er fahre seit nunmehr 65 Jahren und bisher ohne Verkehrsunfall Auto. Jedes Jahr lege er auch weite Strecken, etwa nach Italien und Polen, problemlos bei jedem Wetter zurück. Er betreibe viel Sport und Gymnastik, um sich in Form zu halten. Am habe er sich "privat" einer Augenoperation zur Verbesserung seines Sehvermögens unterzogen. Krücken müsse er nach zwei Operationen am linken Fuß laut ärztlicher Anweisung einige Monate tragen. Das schlechte Ergebnis bei der verkehrspsychologischen Untersuchung sei vor allem auf akustische und sprachliche Verständigungsprobleme zurückzuführen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf die "zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides" und gab das oben zitierte verkehrspsychologische Gutachten wörtlich wieder. Beweiswürdigend führte sie dazu lediglich aus, sie sehe "keinen Anlass, an diesem durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauerten Gutachten zu zweifeln". Lediglich ein auf demselben wissenschaftlichen Niveau erstelltes Gegengutachten könnte das aktenkundige Gutachten allenfalls entkräften. Eine Auseinandersetzung mit den amtsärztlichen Gutachten und der Stellungnahme des Internisten erfolgte nicht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die gegenständlich maßgebenden Rechtsvorschriften des FSG in der Fassung BGBl. I Nr. 31/2008 lauten:
"Gesundheitliche Eignung
§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als 18 Monate sein und ist von einem in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.
(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.
(3) Das ärztliche Gutachten hat abschließend auszusprechen:
'geeignet', 'bedingt geeignet', 'beschränkt geeignet' oder 'nicht geeignet'.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
…
§ 24…
(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen.…
§ 25…
(2) Bei einer Entziehung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist die Dauer der Entziehung auf Grund des gemäß § 24 Abs. 4 eingeholten Gutachtens für die Dauer der Nichteignung festzusetzen.
...
Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen
§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges
1. ausdrücklich zu verbieten
…"
2. Die Beschwerde ist begründet.
Der Beschwerdeführer hatte sich am der aufgetragenen verkehrspsychologischen Untersuchung unterzogen. Die belangte Behörde durfte die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers daher gemäß § 8 Abs. 2 FSG nur auf der Grundlage eines amtsärztlichen Gutachtens beurteilen. Entscheidend ist im gegenständlichen Fall, ob die belangte Behörde aufgrund des ihr vorliegenden (im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten) amtsärztlichen Gutachtens der Bundespolizeidirektion Wien zum Ergebnis gelangen durfte, dem Beschwerdeführer fehle die gesundheitliche Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges.
Die belangte Behörde verwies in diesem Punkt lediglich auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, in welchem das (oben zitierte) amtsärztliche Gutachten vom bloß wiedergegeben war, und stützte sich explizit nur auf die verkehrspsychologische Stellungnahme. Eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem amtsärztlichen Gutachten enthält weder der erstinstanzliche noch der angefochtene Bescheid.
Das amtsärztliche Gutachten, dem sich die belangte Behörde im Ergebnis durch Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid anschloss, kann jedoch schon deshalb keine Grundlage für die Entziehung der Lenkberechtigung bilden, da es bereits in sich widersprüchlich ist. Einerseits findet sich ein Kreuz in der Rubrik "nicht geeignet", andererseits in der Rubrik "unter folgender Bedingung geeignet", mit dem (eine Brille betreffenden) Zusatz "Verwendung von 02.02, 01.01".
Abgesehen davon, dass sich dem Gutachten somit kein eindeutiges Ergebnis betreffend die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers entnehmen lässt, entbehrt es auch jeglicher Auseinandersetzung mit der verkehrspsychologischen Stellungnahme, auf die es sich bezieht, sondern gibt diese lediglich wieder. Stützt sich ein amtsärztliches Gutachten aber, wie gegenständlich, auf Stellungnahmen verkehrspsychologischer Untersuchungsstellen, so hat es sich mit diesen Stellungnahmen - nachvollziehbar - auseinander zu setzen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/11/0318, vom , Zl. 2010/11/0095, und vom , Zl. 2009/11/0104, mwN).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch negative verkehrspsychologische Stellungnahmen nicht zwingend zu dem Gutachtensergebnis führen müssen, dem Betreffenden fehle die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 FSG (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2010/11/0095, mwN). Dazu kommt, dass das Gutachten keine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der vom Amtsarzt eingeholten - die Erteilung einer Lenkberechtigung befürwortenden - Stellungnahme des Internisten enthält.
Bereits vor diesem Hintergrund erweist sich die von der belangten Behörde getroffene Beurteilung, es lägen "Tatsachen" vor, "die es leider nicht erlauben, dass dem Bw eine Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge erteilt wird, oder ihm erlaubt wird, Motorfahrräder, vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge oder Invalidenkraftfahrzeuge zu lenken", als unschlüssig.
Da die belangte Behörde überdies auf das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers zu seiner langjährigen Fahrpraxis, zu seinem Gesundheitszustand und insbesondere zu den Verständigungsproblemen bei der verkehrspsychologischen Untersuchung in keiner Weise Bedacht genommen hat, haften dem angefochtenen Bescheid somit wesentliche Verfahrensmängel an. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-91857