VwGH vom 28.01.2015, Ra 2014/18/0097
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des H A in W, vertreten durch Mag. Erich Hochauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fütterergasse 1, dieser vertreten durch Mag. Nora Huemer-Stolzenburg, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Schüttaustraße 69/46, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W206 1416371-3/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er gehöre dem Clan der "Shaashi" bzw. "Shanshiye" an. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, Mitglieder der Rebellengruppe Al Shabaab hätten ihn aufgefordert am Gotteskrieg als Kämpfer teilzunehmen und ihm für den Fall seiner Weigerung mit dem Tod gedroht. Kurze Zeit später seien zwei Männer zum Revisionswerber gekommen und hätten ihn gefragt, welche Entscheidung er getroffen habe. Sie hätten ihm auch gesagt, wenn er sich weigere, hieße das, dass er für die Regierung arbeite. Bei einem dritten "Besuch", bei welchem der Revisionswerber nicht anwesend gewesen sei, sei der psychisch beeinträchtigte Bruder des Revisionswerbers angeschossen worden.
Bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt.
2. Mit dem im dritten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (neuerlich) ab und begründete diese Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers. So führte das Bundesasylamt unter anderem aus, es sei wenig plausibel, dass der Revisionswerber nicht schon bei der Erstbefragung angegeben habe, dem Subclan der Shanshiye anzugehören. Ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens sei, dass der Revisionswerber keine Straßennamen nennen habe können. Ihm seien sieben Fotos aus dem Nachbarbezirk Hawl Wadaaq vorgelegt worden, die er nicht erkannt habe. Er habe weder seine angebliche Herkunftsregion Mogadischu, seine Clanzugehörigkeit noch seinen Fluchtgrund glaubhaft machen können. In den aktuellen Feststellungen sei zudem auch festgehalten worden, dass es in Mogadischu keine sicherheitsrelevanten Probleme auf Grund der Clanzugehörigkeit mehr gebe. Im Hinblick auf die Verfolgung durch die Al Shabaab habe der Revisionswerber sein Vorbringen bei der Einvernahme im Vergleich zur Erstbefragung gesteigert. Er habe bei der ersten Einvernahme auch nicht erwähnt, dass er von den Männern namentlich angesprochen worden sei. Zudem hätte der Revisionswerber einmal gesagt, es wären beim zweiten angeblichen Besuch zwei "andere" Männer gekommen, während er ein andermal gesagt hätte, es wären "dieselben" Männer gewesen. Der Revisionswerber sei in der Chronologie seines Vorbringens durcheinandergekommen und habe versucht, seine tatsächliche Reisebewegung zu verschleiern, worin ebenfalls ein Indiz für die völlige Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens gesehen werde. Darüber hinaus hätte die Al Shabaab Mogadischu bereits im August 2011 verlassen, mit einer Rückkehr sei nicht zu rechnen. Eine Verfolgung durch diese Gruppierung könne somit ausgeschlossen werden. Zudem habe im Hinblick auf die Zwangsrekrutierung ein allfälliger Anknüpfungspunkt zur Genfer Flüchtlingskonvention nicht festgestellt werden können.
3. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte im Wesentlichen vor, nach dem aufhebenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes sei zwar ein neuerliches "Interview" durchgeführt, dadurch jedoch keiner der vom Asylgerichtshof aufgezeigten Mängel saniert worden. Es seien etwa keinerlei Feststellungen über den Clan der Shanshiye getroffen worden. Unter Verweis auf einen Länderbericht führte der Revisionswerber diesbezüglich weiter aus, seine Ausführungen zum Thema der Clanzugehörigkeit seien stringent und widerspruchsfrei gewesen. Der Hauptclan heiße Reer Hamar, der Unterclan Shanshiye. Innerhalb der Shanshiye gebe es weitere Unterteilungen. Er habe in seiner neuerlichen Befragung detailliert ausgeführt, dass er dem Subclan der Sheik Sufi angehöre. Es gehe aus frei zugänglichen Berichten hervor, dass der Subclan der Sheik Sufi ein Subclan der Shanshiye sei. Dem weiteren Auftrag des Asylgerichtshofes, ein Sprachgutachten durchzuführen, sei das Bundesasylamt ebenso nicht gefolgt. In Bezug auf die Herkunft habe sich das Bundesasylamt hauptsächlich auf die ihm vorgelegten Bilder, welche veraltet seien und aus dem Bezirk Hawl Wadaaq stammen würden, gestützt. Mogadischu habe eine Fläche von ca. 1.650 km2 und sei damit flächenmäßig viermal größer als Wien. Es sei daher nicht unwahrscheinlich, dass der Revisionswerber Bilder eines anderen Bezirks nicht kenne, zumal das Stadtbild durch die anhaltenden Kämpfe ständigen Veränderungen unterworfen sei. Hinsichtlich der (bei der Erstbefragung) nicht erwähnten Verletzung des Bruders werde auf die Bestimmung des § 19 Abs. 1 AsylG verwiesen. Weiters gehe aus den Feststellungen des Bundesasylamtes selbst hervor, dass in Mogadischu weiterhin Zwangsrekrutierungen stattfinden würden. Lediglich eine Organisation gebe an, dass in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen mehr stattfinden würden. Die vom Bundesasylamt getroffenen Feststellungen bezüglich Mogadischu würden zudem auf Berichten aus dem Jahr 2012 basieren und seien deshalb als veraltet anzusehen. Unter Hinweis auf neuere Länderberichte führte der Revisionswerber aus, es entspreche nicht den Tatsachen, dass die Al Shabaab Mogadischu 2011 verlassen habe, vielmehr sei sie weiterhin in Mogadischu aktiv, vor allem nachts. Weiters übersehe die Behörde, dass der Revisionswerber bereits einmal zwangsrekrutiert hätte werden sollen. Da er der Rekrutierung nicht Folge geleistet habe, hätte ihn die Al Shabaab mit dem Tod bedroht. Der Revisionswerber sei daher nicht nur von Zwangsrekrutierung bedroht, sondern ebenso einer Verfolgung infolge seiner erfolgreichen Entziehung aus der Zwangsrekrutierung ausgesetzt. Die gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen seien auch asylrelevant. So gehe etwa die Verfolgung "bezüglich Religion und politischer Überzeugung" aus seiner Ablehnung der Al Shabaab hervor.
4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Zur Begründung seiner Entscheidung hielt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, die Auffassung des Bundesasylamtes zu teilen, wonach sich die Ausführungen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft erwiesen hätten. Zwar würden die Angaben bei der Erstbefragung gegenüber den späteren Aussagen keinen zwingenden Widerspruch begründen, jedoch würden die bei den Einvernahmen selbst getätigten Ausführungen Ungereimtheiten und Divergenzen aufweisen, die den Schluss nahe legen würden, dass der Revisionswerber das Geschilderte nicht (in dieser Form) erlebt habe. Das Bundesasylamt habe durch Länderberichte auch dargelegt, warum dem Vorbringen des Revisionswerbers aber selbst bei hypothetischer Annahme des Wahrheitsgehalts seiner Ausführungen keine Asylrelevanz zukomme. Die Lage in Mogadischu habe sich seit der Antragstellung des Revisionswerbers objektiv in Bezug auf Zwangsrekrutierungen durch die Al Shabaab nach Übernahme der Kontrolle durch Regierungstruppen maßgeblich verändert. Es möge zwar zutreffen, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt infolge von Terroranschlägen und sonstigen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung nach wie vor angespannt sei, jedoch sei dieser Umstand nicht geeignet, einen asylrelevanten Sachverhalt zu begründen. Auch könne beim Revisionswerber keine ethnisch motivierte Verfolgungsgefahr festgestellt werden. Einerseits habe sich der Revisionswerber diesbezüglich auf allgemeine Aussagen, wie jener, dass sein Stamm schwach sei bzw. verachtet werde, zurückgezogen. Andererseits ergebe sich aus den Berichten zur Zwangsrekrutierung auch, dass von dieser die ganze Bevölkerung unabhängig von Geschlecht, Ethnie und Alter betroffen gewesen sei. Im Ergebnis sei sowohl infolge mangelnder Glaubwürdigkeit als auch mangelnder Aktualität der behaupteten Verfolgungsgefahr nicht vom Bestehen eines asylrelevanten Sachverhaltes auszugehen.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
6. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6.1. Die Revision bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht ( und 0018) abgewichen. In der Beschwerde sei die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt sowie substantiiert und konkret auf jene Punkte in der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes eingegangen worden, mit welchen die mangelnde Glaubwürdigkeit begründet worden sei. Es sei konkretes Vorbringen dazu erstattet worden, dass die Al Shabaab nach wie vor in Mogadischu aktiv sei.
6.2. Die Revision ist zulässig und begründet.
6.2.1. Mit Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017 und 0018, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen des Tatbestandes des geklärten Sachverhalts nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig ist:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
6.2.2. Der Revisionswerber ist in seiner Beschwerde den Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht bloß unsubstantiiert entgegen getreten. Die Beschwerde brachte - wie der Zusammenfassung des Beschwerdevorbringens (s. oben Punkt 3.) zu entnehmen ist - konkrete Argumente vor, um die vom Bundesasylamt aufgezeigten Widersprüche betreffend sein Fluchtvorbringen auszuräumen. Auch die Feststellungen zur mangelnden Aktualität der Bedrohung durch Zwangsrekrutierungen in Mogadischu bekämpfte der Revisionswerber durch die Darstellung aktueller Länderberichte substantiiert und zog die diesbezügliche Beweiswürdigung fallbezogen begründet in Zweifel. Die Entscheidung über die Beschwerde des Revisionswerbers setzte daher eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht voraus, von der zu Unrecht Abstand genommen wurde. Bereits dieser Verfahrensmangel muss zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führen.
6.2.3. Darüber hinaus zeigt die Revision auch mit ihrem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur nachvollziehbaren Ausgestaltung eines "Bescheides" abgewichen, die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung auf.
Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl. zuletzt etwa , mwN). Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben.
Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa , vom , Ra 2014/20/0069, sowie vom , Ro 2014/03/0076).
Abweichend von diesen Grundsätzen ergeben sich fallbezogen die maßgeblichen Länderfeststellungen nicht aus der angefochtenen Entscheidung selbst, weil zur Lage im Herkunftsstaat lediglich auf die im Bescheid des Bundesasylamtes angeführten Erkenntnisquellen verwiesen wird. Mit der Aussage, die Ausführungen des Revisionswerbers hätten Ungereimtheiten und Divergenzen aufgewiesen, legt das Bundesverwaltungsgericht die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen nicht in einer die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dar.
6.5. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
6.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am