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VwGH vom 20.10.2010, 2007/08/0210

VwGH vom 20.10.2010, 2007/08/0210

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des BM in W, vertreten durch Dr. Georg Uitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Doblhoffgasse 5/12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-2-6016/2007, betreffend Zurückweisung eines Einspruchs in einer Angelegenheit der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, dass der Beschwerdeführer als Vertreter der R GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zur Zahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von EUR 19.279,01 verpflichtet sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Telefax vom einen als "Berufung" bezeichneten Einspruch. Darin gab er an, dass ihm der Bescheid am zugestellt worden sei. Zur Rechtzeitigkeit seines Rechtsmittels führte er aus, er habe sich "im Zeitraum der Hinterlegung des Bescheides vom bis zur Behebung der Sendung" (welche jedoch nach der im Verwaltungsakt erliegenden Kopie der Empfangsbestätigung nicht am , sondern am erfolgte) als Arbeiter eines näher bezeichneten Unternehmens in I befunden und sei somit ortsabwesend gewesen. Zum Beweis seines Vorbringens nannte er einen Zeugen, dessen Anschrift er zugleich bekannt gab.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse führte in ihrer Stellungnahme zum Einspruch aus, dass der Bescheid dem Beschwerdeführer an seinem Hauptwohnsitz zugestellt worden sei. Eine behauptete Ortsabwesenheit ändere nichts daran, "dass die Berufung verspätet und der vorliegende Einspruch bereits rechtskräftig" geworden sei. Der Beschwerdeführer macht von der ihm eingeräumten Gelegenheit, zu dieser Äußerung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch des Beschwerdeführers als verspätet zurück. In der Begründung stellte sie zur Zustellung des erstinstanzlichen Bescheids fest:

"Dieser Bescheid wurde Herrn BM am durch

Hinterlegung zugestellt.

...

Im vorliegenden Fall hat die einmonatige Einspruchsfrist, die mit der am erfolgten Zustellung des angefochtenen Bescheides begonnen hat, am geendet. Der Einspruch wurde jedoch erst am per Fax der Wiener Gebietskrankenkasse übermittelt.

Der Einspruchswerber wurde mit Schreiben vom aufgefordert zum verspäteten Einbringen des Einspruchs Stellung zu nehmen. Bis dato ist jedoch beim Landeshauptmann für Wien keine Stellungnahme eingelangt.

Da somit der Einspruch nicht zeitgerecht eingebracht wurde, war wie im Spruch zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet und dort den Antrag gestellt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 412 Abs. 1 ASVG lautet:

"(1) Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen können binnen einem Monat nach der Zustellung durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann angefochten werden. Der Einspruch hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den er sich richtet, und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten. Der Einspruch ist beim Versicherungsträger, der den Bescheid erlassen hat, einzubringen. Ein beim Landeshauptmann eingebrachter Einspruch gilt als beim Versicherungsträger eingebracht und ist an diesen unverzüglich weiterzuleiten."

§ 17 Abs. 1 und 3 ZustG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 lautet:

"§ 17. (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

...

(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."

Der Beschwerdeführer rügt, dass sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit seinem Einspruchsvorbringen, wonach er im Zeitraum vom 14. März bis zum ortsabwesend gewesen sei, nicht auseinander gesetzt habe.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz ZustG gilt eine Sendung nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte.

In seinem Erkenntnis vom , Zl. 2006/07/0101, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Begriff "rechtzeitig" im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG Folgendes ausgeführt:

"'Rechtzeitig' im Sinne dieser Bestimmung ist dahin zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung stand, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/16/0091; siehe daran anknüpfend aus der letzten Zeit auch das Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0078). In anderen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wurde darauf abgestellt, ob der Partei nach den Verhältnissen des Einzelfalles noch ein angemessener Zeitraum für die Einbringung des Rechtsmittels verblieb (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2000/02/0027, und vom , Zl. 2001/03/0284). In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde beispielsweise noch keine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist bei einer Rückkehr einen Tag nach dem Beginn der Abholfrist (vgl. etwa den schon zitierten Beschluss vom , Zlen. 97/13/0104, 0168, mwN, und auch das von den belangten Behörden zitierte Erkenntnis vom , Zl. 99/06/0049) und bei einer Behebung drei Tage nach der Hinterlegung (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 99/17/0303) sowie bei einer verbleibenden Dauer zur Ausführung des Rechtsmittels von zehn Tagen angenommen (siehe die schon erwähnten Erkenntnisse vom , Zl. 2000/02/0027, und vom , Zl. 2001/03/0284).

Erfolgt die Rückkehr an die Abgabestelle - wie im vorliegenden Fall vom Beschwerdeführer behauptet - jedoch erst sieben Tage nach dem Beginn der Abholfrist kann aber jedenfalls nicht mehr gesagt werden, die Partei habe noch 'rechtzeitig' im Sinn des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/07/0032)."

Im hier vorliegenden Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer in seinem Einspruch geltend gemacht, bis zu der nach seinen Angaben am (ausweislich der Empfangsbestätigung schon am ) erfolgten Behebung des erstinstanzlichen Bescheides ortsabwesend gewesen zu sein. Diese Behauptung hat der Beschwerdeführer auch hinreichend konkretisiert (beruflich bedingter Aufenthalt in I für ein näher genanntes Unternehmen) und einen möglichen Zeugen bekannt gegeben (vgl. zur diesbezüglichen Mitwirkungspflicht das hg Erkenntnis vom , Zl. 99/06/0049).

Die belangte Behörde geht dennoch - ohne sich mit dem Einspruchsvorbringen auseinander zu setzen - davon aus, dass der erstinstanzliche Bescheid bereits am zugestellt worden wäre.

Das Fehlen näherer Feststellungen zur Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers könnte aber nur dann nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, wenn der Beschwerdeführer auch bei Zugrundelegung der von ihm behaupteten Rückkehr an die Abgabestelle erst am (Abholung laut Empfangsbestätigung schon am ) im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG "rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte". Davon kann jedoch im Hinblick darauf, dass zum Zeitpunkt der behaupteten Rückkehr an die Abgabestelle bereits rund die Hälfte der - wenn auch im vorliegenden Fall mit einem Monat vergleichsweise langen - Rechtsmittelfrist abgelaufen war, im Lichte der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht die Rede sein.

Da die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht dargelegt hat, weshalb sie ungeachtet der im Einspruch ausreichend konkret behaupteten Ortsabwesenheit zum Ergebnis gekommen ist, der erstinstanzliche Bescheid sei bereits am (wirksam) zugestellt worden, war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das den Ersatz der Pauschalgebühr betreffende Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am