VwGH vom 24.11.2010, 2007/08/0204

VwGH vom 24.11.2010, 2007/08/0204

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der C S in I, vertreten durch Mag. Claudia Lantos, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 13/II, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom , Zl. LGSTi/V/0553/4505 -702/2007, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin hatte zuletzt seit dem Notstandshilfe bezogen. Weil sie eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice I (im Folgenden: Arbeitsmarktservice) zugewiesene Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie verweigerte, stellte das Arbeitsmarktservice den Bezug der Notstandshilfe mit ein. Im Jahr 2004 beantragte die Beschwerdeführerin die Erlassung eines Bescheides über die Einstellung; der in der Folge ergangene Berufungsbescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0236, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im fortgesetzten Verfahren erging der Ersatzbescheid der belangten Behörde vom mit folgendem Spruch:

"Die Notstandshilfe wird Ihnen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ab bis zum entsprechenden Höchstausmaß gemäß § 35 AlVG wieder zuerkannt."

Aufgrund dieses Bescheids wurde der Beschwerdeführerin die Notstandshilfe rückwirkend für den Zeitraum vom bis - d.h. bis zur Erreichung des Gesamtausmaßes von 52 Wochen - ausbezahlt.

Am stellte die Beschwerdeführerin einen neuen Antrag auf Notstandshilfe, der mit Bescheid vom mangels Vorliegen einer Anwartschaft abgewiesen wurde. Die Begründung des erstinstanzlichen Bescheids lautete, dass die dreijährige Frist "des § 33 Abs. 4 AlVG" bereits am abgelaufen sei und keine die Rahmenfrist verlängernden Tatbestände gemäß § 15 Abs. 3 bis 5 AlVG vorlägen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung und führte darin aus, dass sie aufgrund der "Verständigung des Arbeitsmarktservice" am persönlich und in Begleitung ihrer Mutter beim Arbeitsmarktservice erschienen sei; sie habe aber zu dem Zeitpunkt aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen "Antrag auf Notstandshilfe für die Zukunft" stellen können. Die Arbeitsunfähigkeit habe bis zum angedauert.

Bereits am sei die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Mutter beim Arbeitsmarktservice vorstellig geworden, habe jedoch von der Sachbearbeiterin kein Antragsformular für die Notstandshilfe erhalten. Aufgrund des noch immer andauernden langwierigen Verfahrens über den Entzug der Notstandshilfe sei es ihr zudem offensichtlich nicht möglich gewesen, eine Fortsetzung der Notstandshilfe zu beantragen. Erst mit dem Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit am sei ein solcher Antrag möglich gewesen.

Auch am sei die Beschwerdeführerin beim Arbeitsmarktservice vorstellig geworden, sie sei jedoch nicht darüber aufgeklärt worden, ob sie für die Zeit von September 2002 bis Juli 2005 einen Antrag auf rückwirkende Gewährung der Notstandshilfe stellen müsse. Hier hätte das Arbeitsmarktservice "amtswegig und aufklärend" vorgehen müssen.

Im Berufungsverfahren nahm die Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs in einem Schreiben vom zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen Stellung. Sie konkretisierte ihre Angaben zu den behaupteten Vorsprachen beim Arbeitsmarktservice, im Zuge derer ihr kein Antragsformular für die Notstandshilfe ausgehändigt worden sei, indem sie die Namen der jeweiligen Sachbearbeiterinnen nannte.

Sie brachte weiters vor, am sei ihre Schwester bezüglich des Verfahrens der Beschwerdeführerin in der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei Herrn H vorstellig geworden und habe die Auskunft erhalten, dass die Weigerung des Aushändigens eines Antragsformulars "ein Fall für die Amtshaftung sei".

Zudem legte die Beschwerdeführerin ein Konvolut von Bestätigungen über mehrere Krankenhausaufenthalte vor, die ihrer Meinung nach eine Rahmenfristerstreckung bewirken würden.

In der Folge erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid vom , mit dem die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen wurde. Die belangte Behörde stellte nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens auf Sachverhaltsebene - zusammengefasst - fest:

Einvernahmen der betroffenen Mitarbeiterinnen des Arbeitsmarktservice hätten ergeben, dass diese sich an eine mögliche Vorsprache der Beschwerdeführerin aufgrund der lange zurückliegenden Ereignisse nicht mehr erinnern könnten und dass keine entsprechenden Datensätze in der EDV auffindbar seien. Es sei jedoch von den Mitarbeiterinnen ausgeschlossen worden, dass sie trotz ausdrücklichen Verlangens kein Antragsformular auf Notstandshilfe aushändigen würden. Diese Aussagen seien für die belangte Behörde überzeugend, nicht zuletzt deshalb, weil die MitarbeiterInnen des Arbeitsmarktservice die Verpflichtung hätten, bei Bedarf Antragsformulare auszuhändigen und nicht einzusehen sei, warum sie sich dem Risiko einer allfälligen disziplinären Belangung aussetzen sollten.

Bezüglich der geltend gemachten Krankenhausaufenthalte führte die belangte Behörde aus, dass nunmehr 348 Tage aufgrund dieser Aufenthalte als fristverlängernde Zeiträume im Sinne des § 15 Abs. 3 bis 5 AlVG berücksichtigt worden seien. Damit ende gemäß § 37 AlVG die dreijährige Frist für eine Geltendmachung des Fortbezugs der Notstandshilfe am . Der von der Beschwerdeführerin am gestellte Antrag auf Notstandshilfe liege jedoch eindeutig außerhalb dieser Frist, weshalb ein Fortbezug nicht mehr möglich sei. Auch sei inzwischen keine neue Anwartschaft auf Arbeitslosengeld entstanden.

Hinsichtlich des Einwands, die Beschwerdeführerin habe wegen des langen Verwaltungsverfahrens über die Einstellung der Notstandshilfe im Jahr 2001 keinen weiteren Antrag stellen können, führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die dreijährige Frist des § 37 AlVG nicht erstrecke. Der Beschwerdeführerin sei mit Bescheid vom im fortgesetzten Berufungsverfahren die Notstandshilfe ab bis zum entsprechenden Höchstausmaß gemäß § 35 AlVG von 52 Wochen, somit bis zum , zuerkannt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 37 AlVG in der im Beschwerdefall noch maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 148/1998 kann dem Arbeitslosen, wenn er den Bezug der Notstandshilfe unterbricht, innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tag des letzten Bezugs der Notstandshilfe, der Fortbezug der Notstandshilfe gewährt werden, sofern er die sonstigen Bedingungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt. Die vorstehende Frist verlängert sich darüber hinaus um Zeiträume gemäß § 15 Abs. 3 bis 5 AlVG.

§ 15 Abs. 3 AlVG idF BGBl. I Nr. 148/1998 lautet (auszugsweise):

"(3) Die Rahmenfrist verlängert sich weiters um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland

1. Krankengeld bzw. Wochengeld bezogen hat oder in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht gewesen ist;

2. nach Erschöpfung des Anspruches auf Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung nachweislich arbeitsunfähig gewesen ist;

..."

2. Im gegenständlichen Verfahren steht außer Streit, dass der Beschwerdeführerin zuletzt für einen Zeitraum bis zum Notstandshilfe zuerkannt wurde. Diese wurde der Beschwerdeführerin aufgrund des nach dem hg. Erkenntnis vom ergangenen Berufungsbescheides für den Zeitraum vom bis rückwirkend ausbezahlt. Seither hat die Beschwerdeführerin keine Notstandshilfe mehr bezogen.

3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die belangte Behörde für die Berechnung der Frist gemäß § 37 AlVG entscheidungserhebliche Umstände außer Acht gelassen habe. So sei von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde eine ärztliche Bestätigung über ihre Arbeitsunfähigkeit vom 5. Juni bis vorgelegt worden, dieser Zeitraum hätte von der belangten Behörde als fristverlängernd im Sinne des § 15 Abs. 3 Z 2 AlVG gewertet werden müssen. Die belangte Behörde habe jedoch ausschließlich die von der Beschwerdeführerin stationär in Krankenanstalten verbrachten Zeiten als fristverlängernd einbezogen.

Würde der von ihr im Berufungsverfahren vorgebrachte ärztlich bestätigte Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit (außerhalb der stationären Unterbringung in Krankenanstalten) in die Berechnung der Frist des § 37 AlVG einbezogen, ergäbe sich, dass ihr Antrag auf Notstandshilfe vom rechtzeitig gewesen wäre.

Dieses Vorbringen kann jedoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids aufzeigen:

Auch wenn sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Attest auseinandergesetzt hätte, hätte dies nichts an der Berechnung der Frist gemäß § 37 AlVG ändern können.

Der systematische Zusammenhang des § 15 Abs. 3 Z 2 mit § 15 Abs. 3 Z 1 AlVG zeigt, dass es beim Tatbestand der Z 2 darauf ankommt, ob die Arbeitsunfähigkeit nach Erschöpfung des Krankengeldbezuges (Z 1) fortdauert (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0029). Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, ohne dass in dieser Zeit Krankengeld bezogen wird, eine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt erfolgt oder ein Krankengeldanspruch zuvor erschöpft wurde, sind nicht als rahmenfristerstreckend zu berücksichtigen.

Die Beschwerdeführerin hat zu keinem Zeitpunkt im Verwaltungsverfahren behauptet, ihre Arbeitsunfähigkeit habe an einen erschöpften Anspruch auf Bezug von Krankengeld angeschlossen. Auch aus der im vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlichen Aufstellung von Versicherungszeiten des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger ist kein Bezug von Krankengeld in zeitlicher Nähe zu den von der Beschwerdeführerin behaupteten Zeiträumen der Arbeitsunfähigkeit - außerhalb der Zeit der Unterbringung in Krankenanstalten - ersichtlich. Die belangte Behörde hat daher zurecht für die Berechnung der dreijährigen Frist des § 37 AlVG nur jene Zeiten berücksichtigt, während derer die Beschwerdeführerin in Krankenanstalten untergebracht war.

Die Beschwerdeführerin erstattete weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ein Vorbringen, das geeignet wäre, einen - neben den berücksichtigten Unterbringungszeiten in Krankenanstalten - zusätzlichen fristverlängernden Tatbestand im Sinne des § 15 AlVG anzunehmen.

4. Die Beschwerdeführerin macht auch geltend, ihr sei vom Arbeitsmarktservice kein Antragsformular auf Zuerkennung von Notstandshilfe ausgehändigt worden, wodurch ihr die Möglichkeit einer Antragstellung verweigert worden sei. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen gegenteiligen Feststellungen werden in der Beschwerde im Wesentlichen als unschlüssig gerügt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen auf einer einwandfreien Beweiswürdigung aufbauen, da es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Geltendmachung des Arbeitslosengeldanspruches gemäß § 46 AlVG die mit dieser Bestimmung getroffene abschließende Normierung selbst im Fall des Fehlens eines Verschuldens des Arbeitslosen nicht zulässt, die Folgen einer (irrtümlich) unterlassenen rechtzeitigen Antragstellung nachträglich zu sanieren, zumal selbst in jenen Fällen, in denen ein Arbeitsloser auf Grund einer von einem Organ des Arbeitsmarktservice schuldhaft erteilten unrichtigen Auskunft einen Schaden erleidet, dieser auf die Geltendmachung allfälliger Amtshaftungsansprüche verwiesen ist und die Fiktion einer dem Gesetz entsprechenden Antragstellung keine gesetzliche Grundlage findet. Diese Grundsätze sind auch im Fall des Antrags auf Fortbezug der Notstandshilfe heranzuziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0183).

5. Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet des - hier vorliegenden - Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK dem entgegensteht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom , Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/07/0083, und vom , Zl. 2000/08/0072). Dieser Umstand liegt aber auch im gegenständlichen Fall vor, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind. In der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Wien, am