VwGH vom 05.07.2012, 2011/21/0147
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der S in Z, vertreten durch Dr. Stefan Kornberger, Rechtsanwalt in 6176 Völs, Gießenweg 1, gegen den am verkündeten und am ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol, Zl. uvs- 2010/23/1152-3, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des § 77 Abs. 1 Z. 4 NAG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Landeck (BH) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, für schuldig erkannt, sie habe als zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung verpflichtete Fremde "den Nachweis fünf Jahre nach Erteilung des Aufenthaltstitels nach diesem Bundesgesetz aus Gründen, die ausschließlich ihr zuzurechnen sind, nicht erbracht." Sie habe dadurch § 14 Abs. 8 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 - NAG verletzt und werde deshalb gemäß § 77 Abs. 1 Z. 4 NAG zu einer Geldstrafe verurteilt.
Begründend wurde festgestellt, die Beschwerdeführerin sei bereits im Frühjahr 2004 in Österreich niedergelassen gewesen. Sie habe damals - so die BH der Sache nach - die Verpflichtung getroffen, eine Integrationsvereinbarung gemäß § 50a Fremdengesetz 1997 (FrG) einzugehen. Deren Erfüllung nachzuweisen, wäre sie bis zum verpflichtet gewesen. Allerdings habe sie einen Nachweis aus Gründen, die ausschließlich ihr zuzurechnen seien, nicht erbracht. Zwar habe sie an mehreren Deutschkursen teilgenommen, das Kursziel jedoch jeweils nicht erreicht. Gründe, weshalb sie daran kein Verschulden treffe, habe die Beschwerdeführerin entgegen der Bestimmung des § 5 VStG nicht vorgebracht.
Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG als unbegründet ab. Ausgehend von den Feststellungen des erstinstanzlichen Straferkenntnisses sei, so argumentierte die belangte Behörde, eine Verletzung der gemäß § 14 Abs. 8 NAG übernommenen Integrationsvereinbarung zu bejahen. Weder sei ein Deutschkurs erfolgreich abgeschlossen, noch seien Kenntnisse der deutschen Sprache erwiesen worden. Beides sei der rund 40jährigen Beschwerdeführerin im Sinne des § 14 Abs. 4 NAG zuzumuten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1069/10-10, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der mit "Strafbestimmungen" überschriebene § 77 Abs. 1 Z. 4 und die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 6 NAG, jeweils in der hier maßgeblichen Stammfassung, lauten auszugsweise:
"§ 77. (1) Wer …
4. zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung verpflichtet ist und den Nachweis fünf Jahre nach Erteilung des Aufenthaltstitels nach diesem Bundesgesetz aus Gründen, die ausschließlich ihm zuzurechnen sind, nicht erbringt, es sei denn, ihm wurde ein Aufschub gemäß § 14 Abs. 8 gewährt …, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist … zu bestrafen.
§ 81. (6) § 77 Abs. 1 Z 4 gilt nicht für Fremde, die bereits vor In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes niedergelassen waren."
Die Regierungsvorlage zur letztgenannten Bestimmung (952 BlgNR 22. GP 149) unterstreicht die allgemeine Bedeutung dieser Vorschrift wie folgt:
"Abs. 6 bestimmt, dass bereits vor In-Kraft-Treten des NAG niedergelassene Fremde nicht wegen Nichterfüllung der Integrationsvereinbarung gemäß § 81 Abs. 1 Z 4 (gemeint: § 77 Abs. 1) bestraft werden können."
Die von der belangten Behörde dennoch bejahte Strafbarkeit der Beschwerdeführerin, die unbestritten seit 2004, also vor In-Kraft-Treten des NAG am , in Österreich niedergelassen war, angelasteten Verhaltens ist daher, mag sie auch gemäß § 50a FrG im Jahr 2004 verpflichtet gewesen sein, eine Integrationsvereinbarung einzugehen, mit der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 6 NAG nicht in Einklang zu bringen.
Die belangte Behörde hat daher ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieser war somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am