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VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025

VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Beschwerde des E M in W, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder Partner Rechtsanwälte in 1010 Wien, Dominikanerbastei 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L515 1426810- 2/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Armenien, brachte am erstmals in Österreich einen Asylantrag ein.

Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, er sei am gemeinsam mit einem namentlich genannten Freund in J unterwegs gewesen, als es zu einem Zusammenstoß mit der Polizei gekommen sei. Er habe die Geschehnisse fotographisch dokumentiert. Als die involvierten Polizisten davon Kenntnis erlangt hätten, hätten sie ihn einer oppositionellen politischen Gesinnung bezichtigt und versucht, ihn zu verhaften. Dem Revisionswerber sei die Flucht gelungen, am sei seine Wohnung jedoch von bewaffneten Polizisten gestürmt worden, welche den Revisionswerber mitgenommen und unter Gewaltausübung auf die Herausgabe der Fotos hinzuwirken versucht hätten. Nach seiner Freilassung habe der Revisionswerber die Flucht angetreten.

Mit Erkenntnis vom wies der Asylgerichtshof diesen Antrag im Beschwerdeverfahren gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab, weil insbesondere die vorgebrachte Festnahme des Revisionswerbers als nicht glaubhaft eingestuft worden ist.

Am stellte der Revisionswerber seinen zweiten Asylantrag, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Zu dessen Begründung brachte er im Wesentlichen vor, er habe über seine in J aufhältige Mutter erfahren, dass diese am - in zeitlichem Zusammenhang mit der Entlassung des oben angesprochenen Freundes aus der Haft - von der Polizei aufgesucht worden sei. Die Polizei habe nach dem Revisionswerber gefragt und politisch-motiviert strafrechtliche Verfolgung angedroht, da er mit Hilfe eines von einer namentlich genannten Person erworbenen gefälschten Reisedokuments geflohen sei. Seit den Ermittlungen im vorangegangenen Asylverfahren wisse die armenische Polizei, wo er sich aufhalte. Im Fall einer Abschiebung fürchte er unmenschliche Behandlung; ihm stünde kein faires Verfahren offen.

Als Ergebnis einer am im Zuge des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens durchgeführten Untersuchung wurde eine posttraumatische Belastungsstörung des Revisionswerbers diagnostiziert.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag des Revisionswerbers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wies es den Revisionswerber nach Armenien aus. Seine Entscheidung begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass sich der Revisionswerber auf eine bereits im rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren behauptete, noch aufrechte Verfolgungssituation berufe. Sein verfahrensgegenständliches Vorbringen stehe in untrennbarem Zusammenhang mit seinen anlässlich des Erstverfahrens für nicht glaubhaft befundenen Angaben. Daraus folge notwendigerweise, dass für den Revisionswerber mit entsprechenden "Folgebehauptungen" nichts zu gewinnen sei. Nach einer Gesamtbetrachtung komme die erstinstanzliche Behörde zu der Erkenntnis, dass der Revisionswerber keinen glaubhaften und nach Abschluss des Erstverfahrens neu entstandenen Sachverhalt vorgebracht habe. Auch im Hinblick auf § 8 AsylG 2005 habe sich kein Hinweis auf eine Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts ergeben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde. In dieser bekräftigte er sein erstinstanzlich erstattetes Vorbringen und wies auf seine psychischen Probleme hin. Außerdem habe er am mit seiner Mutter telefoniert, die ihm gesagt habe, sie sei angesichts des Drucks durch die armenische Polizei gemeinsam mit dem Bruder des Revisionswerbers und dessen schwangerer Frau nach Moskau geflohen. Zum Beweis für die Richtigkeit seiner Angaben gab der Revisionswerber die Telefonnummern seiner Mutter und seines Bruder bekannt, die seine Angaben bestätigen könnten.

Am langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung des Revisionswerbers ein, die im angefochtenen Erkenntnis keine Berücksichtigung mehr fand. Darin wiederholte der Revisionswerber sein erstinstanzliches Vorbringen und monierte eine unschlüssige Beweiswürdigung sowie ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren. Der Umstand, dass seine Angaben im letzten Asylverfahren für nicht glaubhaft befunden worden seien, mache eine neue Beweiswürdigung nicht von vornherein entbehrlich. Die erstinstanzliche Behörde stütze sich demgegenüber nur auf Textbausteine, ohne auf das neue Vorbringen des Revisionswerbers einzugehen. Auch seine festgestellte Traumatisierung sei in der Beweiswürdigung zur Gänze ignoriert worden. Abschließend beantragte der Revisionswerber unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom , dem Revisionswerber zugestellt am , wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab und verwies gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.

Begründend hielt das Bundesverwaltungsgericht zum verfahrensgegenständlichen Vorbringen des Revisionswerbers fest, dass dieses die Existenz eines Sachverhalts voraussetze, der bereits seitens des Bundesasylamts und des Asylgerichtshofs rechtskräftig als nicht glaubhaft qualifiziert worden sei. Es fehle daher auch dem vorgetragenen Sachverhalt - man wolle dem Revisionswerber aus politischer Motivation nunmehr die Verwendung eines gefälschten Reisepasses unterstellen - an Glaubhaftigkeit. Selbst wenn man hypothetisch davon ausginge, es sei eine entsprechende Anzeige gegen den Revisionswerber erstattet worden, bestünden keine Hinweise, dass der Revisionswerber im Fall einer behördlichen Untersuchung schlechter gestellt sei, als andere Personen, die von diesem Vorwurf betroffen seien. Auch aus der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung im Zulassungsverfahren könne in Bezug auf den behaupteten ausreisekausalen Sachverhalt oder die Rückkehrhindernisse nichts gewonnen werden, zumal der Mediziner in Bezug auf die Ursache der Erkrankung auf die mündlichen - für nicht glaubhaft befundenen - Angaben des Revisionswerbers angewiesen gewesen sei. Den möglichen telefonischen Angaben der Mutter und des Bruders des Revisionswerbers komme insofern untergeordneter Beweiswert zu, als diese nicht unter Wahrheitspflicht aussagen würden und es sich um "Sympathiepersonen" aus der Sphäre des Revisionswerbers handle. Dem Revisionswerber sei es zudem frei gestanden, schriftliche Erklärungen der genannten Personen beizubringen, welchen derselbe Beweiswert zukomme wie den fernmündlichen. Soweit das Vorbringen des Revisionswerbers nicht von der Rechtskraftwirkung des vorangegangenen Verfahrens erfasst sei, habe es sich daher als nicht glaubhaft erwiesen.

Im Ergebnis schließe sich das Bundesverwaltungsgericht der Würdigung der erstinstanzlichen Behörde insofern vollinhaltlich an, als der Revisionswerber keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht habe, welcher die Führung eines neuerlichen inhaltlichen Asylverfahrens erforderlich machen würde. Es liege entschiedene Sache im Sinn des § 68 AVG vor, da sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert habe.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, da der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag des Revisionswerbers zurückzuweisen gewesen sei und darüber hinaus die Akten erkennen ließen, dass die mündliche Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse. Ebenso sei eine mündliche Verhandlung nicht beantragt worden.

Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG merkte das Bundesverwaltungsgericht an, seine Entscheidung weiche von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - diese sei nicht als uneinheitlich zu beurteilen - nicht ab und es fehle auch nicht an einer solchen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung von zu lösenden Rechtsfragen lägen nicht vor. In Bezug auf Spruchpunkt I liege das Schwergewicht zudem auf der Beweiswürdigung.

Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der vorgebracht wird, die Rechtskraft einer Vorentscheidung stehe einer neuen Entscheidung in der Sache nur dann entgegen, wenn sich der neuerliche Antragt auf einen vor Beendigung des ersten Verfahrens verwirklichten Sachverhalt stütze. Ein solcher Fall liege allerdings nicht vor, weil sich der verfahrensgegenständliche Asylantrag des Revisionswerbers insbesondere auf die ab Juni 2013 unternommenen neuen Verfolgungshandlungen der armenischen Behörden gegenüber dem Revisionswerber stütze, während des ersten Asylverfahrens mit Entscheidung des Asylgerichtshofs vom rechtskräftig beendet worden sei. Gemäß der Rechtsprechung des VwGH sei das Bundesverwaltungsgericht daher zu einer neuen Entscheidung in der Sache verpflichtet gewesen. Auch das Ausbleiben einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verstoße gegen die Rechtsprechung des VwGH; gerade bei psychisch kranken, traumatisierten Personen sei ein Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nur in sehr engen Grenzen zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 21 Abs. 3 BFA-VG ist der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Zulassungsverfahren - wozu auch die vorliegende Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 68 AVG gehört - vom Bundesverwaltungsgericht stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Ausgehend davon hatte das Bundesverwaltungsgericht auch im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft war, dass ohne Durchführung einer Verhandlung die "Sache" des Beschwerdeverfahrens nicht abschließend erledigt werden konnte. Sofern es diese Frage zu bejahen hatte, war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene erstinstanzliche Bescheid zu beheben, wodurch das Asylverfahren zugelassen ist. Diese Zulassung steht allerdings gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen.

"Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war in Bezug auf Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahrens keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen hg. Rechtsprechung, dass die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen hat, dem Asylrelevanz zukommt (vgl. zB sowie vom , Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (vgl. , mwN). Abhängig vom Ausgang dieser Prüfung war "Sache" des Beschwerdeverfahrens überdies die Überprüfung der mit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides vorgenommenen Ausweisung (vgl. § 75 Abs. 20 AsylG 2005).

In Bezug auf die Zurückweisung des Folgeantrags nach § 68 Abs. 1 AVG hat sich das BFA in seiner Entscheidung fallbezogen darauf gestützt, dass der Revisionswerber keinen "entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt" vorgebracht habe, der nach Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Zur Begründung dieser Einschätzung hat es sich ausschließlich darauf berufen, dass die neu behaupteten Verfolgungshandlungen "in einem untrennbaren Zusammenhang" mit jenem Vorbringen stehe, das bereits "anlässlich des Erstverfahrens als völlig unglaubwürdig" befunden worden sei. Daraus folge "notwendigerweise", dass für ihn auch mit "Folgebehauptungen", die auf die als nicht glaubhaft erachteten Fluchtgründe aufbauen, nichts zu gewinnen sei.

Mit dieser Begründung hat das BFA verkannt, dass die vom Revisionsweber behaupteten Geschehnisse, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daraufhin zu überprüfen gewesen wären, ob sie einen "glaubhaften Kern" aufwiesen oder nicht.

Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom zu Grunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. , mwN).

Das BFA hat die somit erforderliche Prüfung nicht vorgenommen. Dieser mangelhafte Sachverhalt konnte vom Bundesverwaltungsgericht nicht einfach dadurch behoben werden, dass es dem neuen Fluchtvorbringen nun erstmals den "glaubhaften Kern" absprach. Vielmehr wäre der Beschwerde im Sinne des § 21 Abs. 3 BFA-VG stattzugeben gewesen.

Dieser Umstand schlägt auch auf die - auf die Zurückweisung des Folgeantrags nach § 68 Abs. 1 AVG aufbauende - Behebung der Ausweisung nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 durch.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am