VwGH vom 24.11.2010, 2007/08/0190
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der K P in Wien, vertreten durch MMag.Dr. Gerhard Rettenbacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stoß im Himmel 1/11, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt.3-AlV/05661/2007-1228, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bezog in der Zeit vom 1. März bis Arbeitslosengeld. Die Zuerkennung dieses Bezuges wurde durch den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und die Leistung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zurückgefordert. Die belangte Behörde kam in ihrer Begründung zu folgenden Sachverhaltsfeststellungen:
"Sie bezogen von bis Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich EUR 19,15.
Laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger haben Sie im selben Zeitraum bei der Firma (D.) als freier Dienstnehmer gearbeitet. Dies haben Sie dem Arbeitsmarktservice gemeldet.
Sie waren von bis bei der Firma (D.) geringfügig angestellt und waren von bis selbständig für die Firma tätig.
Aus dem Einkommenssteuerbescheid 2004 geht hervor, dass sich Ihr Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Jahr 2004 auf brutto EUR 6.575,72 belief.
Das durchschnittliche monatliche Einkommen lag daher bei EUR 821,99 (EUR 6575,72/8 Monate)
Diese Feststellungen gründen sich auf den Akteninhalt, die chronologisch geführten Aufzeichnungen des Arbeitsmarktservice, den Einkommenssteuerbescheid aus dem Jahr 2004 und Ihre eigenen Angaben."
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass auf freie Dienstnehmer laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die gesetzlichen Bestimmungen für selbständig Erwerbstätige anzuwenden seien. Die Beschwerdeführerin sei im Jahr 2004 für die Firma D. (zunächst als freie Dienstnehmerin) selbständig erwerbstätig gewesen und habe in den Monaten März bis April und Juli bis Dezember 2004 ein durchschnittliches monatliches Einkommen aus dieser Tätigkeit von EUR 821,99 erzielt. Daher sei die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 1. März bis gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen gewesen, da das durchschnittliche Monatseinkommen der Beschwerdeführerin über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen und damit die Beschwerdeführerin nicht arbeitslos im Sinne des § 12 AlVG gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, dass sie während des Arbeitslosengeldbezugs vom 1. März bis nur geringfügig beschäftigt gewesen sei, dies gehe auch aus dem der Behörde vorgelegten "Praktikantenvertrag" hervor. Aufgrund der bloß geringfügigen Einkünfte sei der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht beeinträchtigt gewesen, wie die Beschwerdeführerin auch vor Aufnahme der Tätigkeit mit dem Arbeitsmarktservice abgeklärt habe.
Das erst später, nämlich ab , erzielte Einkommen als selbständige Redakteurin dürfe für die Beurteilung des durchschnittlichen monatlichen Einkommens während des Arbeitslosengeldbezugs vom 1. März bis nicht herangezogen werden. Die Zurechnung der Einkünfte habe zeitraumbezogen zu erfolgen, da es sich bei der während des Arbeitslosengeldbezugs ausgeübten Praktikantentätigkeit um eine von der später ausgeübten Redakteurstätigkeit klar unterscheidbare andere Tätigkeit gehandelt habe.
2. Die hier wesentlichen Teile des § 12 AlVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 128/2003 lauten:
"Arbeitslosigkeit
§ 12. (1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.
(2) ...
(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | ... |
b) | wer selbständig erwerbstätig ist; |
... |
(6) Als arbeitslos gilt jedoch,
...
c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt;
..."
§ 36a AlVG lautet (auszugsweise):
"§ 36a. (1) ...
(2) Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes ist das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988), BGBl. Nr. 400, in der jeweils geltenden Fassung, zuzüglich den Hinzurechnungen gemäß Abs. 3 und dem Pauschalierungsausgleich gemäß Abs. 4. Einkommensteile, die mit dem festen Satz des § 67 des Einkommenssteuergesetzes 1988 zu versteuern sind, bleiben außer Betracht. Die Winterfeiertagsvergütung gemäß § 13j Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, BGBl. Nr. 414/1972, in der jeweils geltenden Fassung, bleibt außer Betracht. Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung sowie aus einer Unfallversorgung der Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen sind nur zur Hälfte zu berücksichtigen.
...
(5) Das Einkommen ist wie folgt nachzuweisen:
1. bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem die Leistung nach diesem Bundesgesetz bezogen wird, und bis zum Vorliegen dieses Bescheides auf Grund einer jeweils monatlich im nachhinein abzugebenden Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise;
...
(7) Als monatliches Einkommen gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit das anteilsmäßige Einkommen in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag. Bis zum Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr ist das Einkommen in einem bestimmten Kalendermonat jeweils durch Zusammenrechnung des für diesen Kalendermonat nachgewiesenen Einkommens mit den für frühere Kalendermonate desselben Kalenderjahres nachgewiesenen Einkommen geteilt durch die Anzahl der Monate im Kalenderjahr, für die eine Einkommenserklärung vorliegt, zu ermitteln."
§ 5 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 ASVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 140/2002 lauten:
"§ 5. (1) Von der Vollversicherung nach § 4 sind - unbeschadet einer nach § 7 oder nach § 8 eintretenden Teilversicherung - ausgenommen:
...
2. Dienstnehmer und ihnen gemäß § 4 Abs. 4 gleichgestellte Personen, ferner Heimarbeiter und ihnen gleichgestellte Personen sowie die im § 4 Abs. 1 Z 6 und 11 genannten Personen, wenn das ihnen aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Kalendermonat gebührende Entgelt den Betrag gemäß Abs. 2 nicht übersteigt (geringfügig beschäftigte Personen);
(2) Ein Beschäftigungsverhältnis gilt als geringfügig, wenn es
1. für eine kürzere Zeit als einen Kalendermonat vereinbart ist und für einen Arbeitstag im Durchschnitt ein Entgelt von höchstens 24,28 EUR, insgesamt jedoch von höchstens 316,19 EUR
gebührt oder
2. für mindestens einen Kalendermonat oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und im Kalendermonat kein höheres Entgelt als 316,19 EUR gebührt.
..."
§ 24 Abs. 2 AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden
Fassung BGBl. I Nr. 71/2003 lautet:
"(2) Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen."
3. Die belangte Behörde legte der Feststellung des durchschnittlichen Monatseinkommens der Beschwerdeführerin aus selbständiger Erwerbstätigkeit für das Jahr 2004 die dafür im Einkommensteuerbescheid des Jahres 2004 ausgewiesenen Einkünfte in der Höhe von EUR 6.575,72 zugrunde. Diese Summe teilte die belangte Behörde durch acht (Monate), wobei sie davon ausging, dass die Beschwerdeführerin "in den Monaten März bis April und Juli bis Dezember 2004" selbständig erwerbstätig gewesen sei. Das so errechnete monatliche Einkommen lag über der gemäß § 5 Abs. 2 ASVG festgelegten Geringfügigkeitsgrenze.
Die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit in den Monaten März und April 2004 steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der im angefochtenen Bescheid ausdrücklich getroffenen Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin vom 1. März bis zum geringfügig "angestellt" und (nur) vom bis zum - also nicht während des hier gegenständlichen Bezugs von Arbeitslosengeld - selbständig erwerbstätig gewesen sei. Die Begründung des angefochtenen Bescheides erweist sich daher als undeutlich.
Anzumerken ist, dass sich aus der im Verwaltungsakt erliegenden Aufstellung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger ergibt, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 1. März bis in einem freien Dienstverhältnis stand, danach vom 16. April bis zum geringfügig unselbständig beschäftigt und schließlich ab selbständig erwerbstätig war.
4. Die belangte Behörde legte ihrer Berechnung offensichtlich die Rechtsansicht zugrunde, dass es für die Berechnung des monatlichen Einkommens bei selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG unerheblich sei, ob die Beschwerdeführerin dieses Einkommen aus einer oder mehreren, voneinander abgrenzbaren, selbständigen Tätigkeiten erzielte.
Dieser Rechtsansicht kann jedoch nicht gefolgt werden:
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0183 ausgesprochen hat, ist nur das Einkommen aus jener selbständigen Erwerbstätigkeit, die dem Anspruch auf Arbeitslosengeld - jeweils zeitraumbezogen - gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG zunächst entgegensteht, zu berücksichtigen, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob im Hinblick auf diese Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG Arbeitslosigkeit anzunehmen ist. Bei klar abgrenzbaren Tätigkeiten und Einkünften kommt keine Zurechnung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit in Frage, die im jeweiligen Zeitraum nicht oder nicht mehr ausgeübt worden ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/08/0026, vom , Zl. 2002/08/0032 und vom , Zl. 2002/08/0050).
5. Wie aus dem vorgelegten Verwaltungsakt hervorgeht, hat die Beschwerdeführerin gegenüber dem Arbeitsmarktservice stets hervorgehoben, dass sich ihre im Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld vom 1. März bis ausgeübte Tätigkeit als "Praktikantin", die - auch nach dem im Akt erliegenden Versicherungsdatenauszug - als freies Dienstverhältnis beurteilt wurde, von der später (ab ) als "neue Selbständige" ausgeübten Tätigkeit als Redakteurin wesentlich unterschieden habe. Dieses auch durch Vorlage von Urkunden unterstützte Vorbringen hätte die Behörde jedenfalls dazu veranlassen müssen, Ermittlungen zur Art der jeweils ausgeübten Tätigkeit in den überdies klar getrennten Zeiträumen vom 1. März bis einerseits und ab dem andererseits durchzuführen und dazu nähere Feststellungen zu treffen. Dazu kommt, dass die aktenkundigen Unterlagen des Hauptverbandes darauf hindeuten, dass die Beschwerdeführerin zwischen den beiden selbständigen Erwerbstätigkeiten in einem geringfügig entlohnten Dienstverhältnis stand. Nach der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung sind die Einkünfte aus zeitlich aufeinanderfolgenden selbständigen Erwerbstätigkeiten dann nicht zusammenzurechnen, wenn die Beschäftigungen voneinander klar abgrenzbar sind, was - unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Beschäftigung - jedenfalls dann der Fall ist, wenn nachgewiesen ist, dass die selbständige Erwerbstätigkeit zunächst tatsächlich beendet und erst nach einer gewissen, beitragsrechtlich ins Gewicht fallenden Zeit wieder neu aufgenommen wurde, dh auch unter Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Maßstäbe als durch beitragsfreie Zeiten unterbrochen gelten kann. Der Umstand, dass zwischen selbständigen Erwerbstätigkeiten eine unselbständige Erwerbstätigkeit als Dienstnehmerin eingeschlossen ist, ist als zusätzliches Indiz für eine derartige Unterbrechung in die Ermittlungen mit einzubeziehen.
Im vorliegenden Fall ist schon aufgrund des im Verwaltungsakt befindlichen "Praktikantenvertrages", der ein monatliches Entgelt von EUR 316,-- vorsah, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Beschwerdeführerin - falls sich die Praktikantentätigkeit von der ab ausgeübten Erwerbstätigkeit als "neuer Selbständiger" unterscheidet und klar davon abgrenzbar ist - während des Bezugs von Arbeitslosengeld keine die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Einkünfte erzielt hat (vgl. zur Frage der Abgrenzbarkeit von Tätigkeiten im Rahmen eines freien Dienstvertrages bzw. auf Honorarbasis das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0152).
Da die belangte Behörde - ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, wonach auch bei voneinander abgrenzbaren unterschiedlichen selbständigen Erwerbstätigkeiten in jedem Fall eine Aliquotierung der gesamten im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte über alle Monate der Ausübung einer dieser Tätigkeiten zu erfolgen habe - dazu keine Feststellungen getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig aufzugreifender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am