VwGH vom 25.10.2012, 2011/21/0111
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Y in W, vertreten durch Mag. Philipp Markowski, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Große Neugasse 38, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-03/F/55/6130/2010-13, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Strafausspruch und im Kostenpunkt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen (hinsichtlich des Schuldspruches) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid verhängte die belangte Behörde über die Beschwerdeführerin, eine chinesische Staatsangehörige, wegen Verletzung von § 67 iVm § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG gemäß "§ 20 Abs. 4 FPG" eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von EUR 5.000,-- (im Fall der Uneinbringlichkeit 21 Tage Ersatzfreiheitsstrafe), weil sie sich vom bis zum - nach Erlassung einer durchsetzbaren Ausweisung -
nicht rechtmäßig im Bundesgebiet (in Wien) aufgehalten habe. Weiters wurde sie zur Zahlung eines Kostenbeitrages in der Höhe von EUR 500,-- für das erstinstanzliche Verfahren verpflichtet.
Begründend führte die belangte Behörde - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, die Beschwerdeführerin sei im Jahr 2003 im Besitz des chinesischen Reisepasses Nr. G gewesen. Ihr sei ein vom 8. bis gültiges Reisevisum für die Schengener Staaten ausgestellt worden. Laut eigener Aussage habe sie ihren Reisepass "unmittelbar nach der Ankunft in Österreich einem Landsmann zurückgegeben. Sie wisse nicht, warum sie das getan habe und habe den Mann seither nicht mehr gesehen und könne ihn auch nicht wiederfinden". Nach Rechtskraft der Abweisung eines von ihr gestellten Asylantrages, mit der eine Ausweisung nach China verbunden gewesen sei, selbst nach Ablehnung der Behandlung einer in dieser Angelegenheit erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (mit Beschluss vom , Zl. 2008/01/0687), habe sie ihrer Pflicht zur Ausreise nicht entsprochen und nichts zur Erlangung der dafür erforderlichen Dokumente unternommen. Sie habe nämlich in Österreich bleiben und hier ihren (allerdings bereits verheirateten) Freund ehelichen wollen. Ein Aufenthaltstitel nach § 31 FPG sei nicht vorgelegen. Die Beschwerdeführerin habe sich daher im genannten Tatzeitraum nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, sodass eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG vorliege.
Mit der Botschaft Chinas, die sie auf Grund ihrer Angaben (in Beantwortung eines von der Bundespolizeidirektion Wien gestellten Ersuchens um Ausstellung eines Heimreisezertifikates am ) nicht als chinesische Staatsangehörige identifizieren habe können, habe sie sich nicht in Verbindung gesetzt, um unter Hinweis auf ihre vollständigen Daten und die Nummer des genannten, bereits ausgestellten Reisepasses Heimreisedokumente zu erlangen. Sie habe somit nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG glaubhaft gemacht, dass ihr die Einhaltung der übertretenen Rechtsvorschrift ohne ihr Verschulden nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre.
Auch der Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführerin (die eine Lebensgemeinschaft mit einem verheirateten Österreicher unterhalte, daneben die Prostitution ausgeübt habe und deshalb bestraft worden sei, aber sonst keine beruflichen Bindungen im Bundesgebiet aufweise) wiege - so argumentierte die belangte Behörde weiter - keinesfalls schwerer als die durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet verletzten öffentlichen Interessen.
Hinsichtlich der Strafbemessung sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin bereits mit rechtskräftigem Straferkenntnis vom "wegen Nichtbefolgung der Ausweisung im Tatzeitraum von bis " schuldig erkannt worden sei, sodass der Strafsatz des § 120 Abs. 4 FPG zur Anwendung komme. Unter Berücksichtigung der ungünstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin sowie der Tatsache, dass ein Teil des Tatzeitraumes noch vor dem gelegen sei, habe trotz des nicht nur als geringfügig anzusetzenden Unrechts- und Schuldgehalts der Tat die mit eingeführte Mindeststrafe verhängt werden können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zu Punkt I.:
§ 120 FPG lautete in der Stammfassung unter der Überschrift "Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt" auszugsweise wie folgt:
"§ 120. (1) Wer als Fremder
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1. | nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder |
2. | sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, |
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. … |
(2) Wer die Tat nach Abs. 1 begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe bis zu 4 360 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. ..."
In der am in Kraft getretenen Fassung des FrÄG 2009 lautete die Bestimmung auszugsweise wie folgt:
"§ 120. (1) Wer als Fremder
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder |
2. | sich nicht recht(s)mäßig im Bundesgebiet aufhält, |
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. … |
(4) Wer eine Tat nach Abs. 1, 2 oder 3 begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 5 000 Euro bis zu 15 000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. ..."
Die nach dieser Gesetzesstelle verhängte Strafe erweist sich aus folgenden Überlegungen als verfehlt:
Mit Erkenntnis vom , G 53/10-7 u.a. (= VfSlg. 19.351), kundgemacht am im BGBl. I Nr. 17/2011, hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs. 1 und die Wendung "1," in Abs. 4 des § 120 FPG in der von der belangten Behörde herangezogenen Fassung des FrÄG 2009 als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.
Der Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, bewirkte eine Erstreckung der Anlassfallwirkung auf sämtliche noch nicht entschiedenen Fälle, sodass die Anwendung der als verfassungswidrig festgestellten gesetzlichen Bestimmung auch im vorliegenden Beschwerdefall ausgeschlossen ist (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/21/0056, und Zl. 2011/21/0068, mwN).
Der auf die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung gestützte Ausspruch der Strafe erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig, sodass der angefochtene Bescheid in seinem Strafausspruch - und daher auch soweit er über die Kosten des Strafverfahrens erkannte - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Zu Punkt II.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Bescheid von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beschwerde wirft hinsichtlich der Schuldfrage keine für die Entscheidung des vorliegenden Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor, zumal die im Einzelnen vorgenommene Prüfung des Beschwerdefalles keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende und für das Verfahrensergebnis entscheidende Fehlbeurteilung durch die belangte Behörde ergeben hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde insoweit abzulehnen.
Wien, am