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VwGH vom 05.07.2011, 2011/21/0094

VwGH vom 05.07.2011, 2011/21/0094

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über den Antrag des Landesgerichtes Wels vom , 3 Cg 3/11t-10, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom , Zl. Sich40- 1090-2008, betreffend Anordnung der Schubhaft (weitere Parteien:

1. A, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31; 2. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19), zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom , Zl. Sich40- 1090-2008, rechtswidrig war.

Begründung

A.T. - das ist die erstgenannte weitere Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - ist ein russischer Staatsbürger, der der tschetschenischen Volksgruppe angehört. Nachdem seine Ehefrau und das gemeinsame, am geborene Kind bereits im Dezember 2007 nach Österreich eingereist waren und hier einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatten, reiste am auch A.T. schlepperunterstützt nach Österreich ein. Am stellte er in der Erstaufnahmestelle West des Bundesasylamtes ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu fand am eine Erstbefragung nach dem AsylG 2005 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt, nach der die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (im Folgenden: BH) mit gemäß § 57 AVG erlassenem Bescheid vom selben Tag gegen A.T. zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft anordnete. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) angeführt.

Die BH begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass A.T. und seine Ehefrau bereits am in Polen einen Asylantrag gestellt hätten. Die Ehefrau des A.T. habe das in ihrem Asylverfahren zunächst verschwiegen und bezüglich des am geborenen Kindes eine gefälschte Geburtsurkunde vorgelegt. Schließlich habe sie eine Traumatisierung geltend gemacht, die jedoch in einem psychiatrischen Gutachten nicht bestätigt worden sei. "Allen Hoffnungen sich ein Aufenthaltsrecht in Österreich erschleichen zu können entbehrt" - so die BH wörtlich -, sei nunmehr A.T. "als Ihr Ehemann" am illegal von Polen kommend schlepperunterstützt nach Österreich eingereist. Die zunächst für den anberaumte Erstbefragung habe abgebrochen werden müssen, nachdem A.T. nach Verhängung der Schubhaft über seinen gleichfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habenden Cousin plötzlich über Herzbeschwerden und erhöhten Blutdruck geklagt habe. Im Krankenhaus Vöcklabruck habe sich jedoch herausgestellt, dass es A.T. "an nichts fehle". Seine dann am erstatteten Angaben, er sei in Polen lediglich erkennungsdienstlich behandelt worden, habe dort jedoch keinen Asylantrag gestellt und sich fünf Monate in einem Flüchtlingslager aufgehalten, könnten nicht den Tatsachen entsprechen. Diesbezüglich lägen auch widersprüchliche Angaben zu den Aussagen seiner Ehefrau vor. Weiters werde vermerkt, dass sich auch die Frau eines Cousins des A.T. mit drei Kindern in Österreich aufhalte. Sie sei aus dem Stande des gelinderen Mittels in die Illegalität "abgetaucht" und habe dann später um Unterbringung und Versorgung im Caritasheim Bregenz ersucht. Es müssten - im Folgenden der Schubhaftbescheid unkorrigiert im Originalwortlaut -

"regelrecht seitens der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck auch Ihre Familienangehörigen in Betracht genommen werden, welche alle samt mit allen nur denkbaren Mitteln agieren um einen - wenn auch illegalen - Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich als Asylwerber von Polen weiter fortsetzen zu können. Insbesondere ist Ihre Frau und deren Vorgangsweise zu vermerken, welche wie bereits eingangs geschildert mit allen Mitteln versuchte als 'Vorhut' ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erschleichen. Nachdem Ihre Frau kläglich scheiterte und unmittelbar einer Abschiebung nach Polen bevorstehe, treffen Sie zeitgünstig als 'Nachhut' ein und versuchen Sie auch damit einen weiteren Aufenthalt mit oder ohne Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet der Republik Österreich weiter befristen zu können.

Dass ebenso auch Sie weiterhin mit allen Mitteln gegen eine drohende Ausweisung mit einer folgenden drohenden Abschiebung nach Polen agieren werden ist begründet vorliegender Verhaltensweise dringend davon auszugehen. Sie sind mit Ihrer Familie organisiert in aller nur denkbaren Weise und kümmert weder Sie noch Ihre Familie die Rechts- und Werteordnung der Republik Österreich. Grenzen in und innerhalb der europäischen Union scheinen weder Sie, noch Ihre Familienangehörigen zu berühren. Auch scheint es je nach Bedarf auf ein Asylbegehren wert zu legen oder als wertlos zu erachten. Offensichtlich missbräuchlich machen Sie sich als Fremder innerhalb der Europäischen Union die Möglichkeit einer Deklaration einer Schutzsuche zu nutzen und zielen es offensichtlich lediglich auf bestmögliche Versorgung ab. Strategisch agierten Sie gemeinsam mit Ihrer Frau und beehrten zeitversetzt die Bundesrepublik Österreich mit ihrer illegalen Einreise. Obwohl Sie bereits in Polen, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, Schutz der Verfolgung deklarierten, wessen Sie ohne den Ausgang der Deklaration abgewartet zu haben als wertlos erachteten und sich sogar dem Verfahren ihres Begehrens in Polen bewusst entzogen. Es scheint als wäre Schutz vor Verfolgung zu finden nicht Ihr primäres Ziel sondern vielmehr längsmöglich und bestmöglich auf Kosten der öffentlichen Hand in westlichen, wirtschaftlich besser positionierten Mitgliedstaaten versorgt zu werden."

Es sei "daher" aufgrund des Ergebnisses der Untersuchung des A.T., seiner erkennungsdienstlichen Behandlung und seiner Befragung davon auszugehen, dass sein Antrag auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde. A.T. habe Unterbringung und Versorgung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union "als wertlos erachtet". Er sei sogar so weit gegangen, dass er seine Frau mitten im Winter mit einem drei Monate alten Kind versteckt auf einem LKW illegal nach Österreich gebracht habe,

"um als Vorhut die Lage in Österreich zu erkunden und im Asylverfahren für (sein) Nachstoßen bestmögliche Ausgangsposition zu schaffen. Für den Fall einer drohenden Ausweisung (seiner) Frau hielten (A.T.) sich in Polen zurück um zu einem geeigneten Zeitpunkt nach Österreich nachstoßen zu können und einen möglichen weiteren - wenn auch illegalen - Aufenthalt in Österreich für sich und (seine) Frau erzielen zu können".

Die gewählte Vorgangsweise zeige auf, dass dem A.T. "ein Familienleben primär nicht als wichtig erscheint" und jedes Mittel recht sei, eine drohende Umsetzung der "Dublinverordnung" hintanhalten zu können. Nach Polen wolle A.T. offensichtlich unter keinen Umständen zurückkehren. Es scheine naheliegend, dass er sein Verhalten weiter fortsetzen und sich auch in Österreich fremdenpolizeilichen Maßnahmen entziehen werde, um sich weiterhin bei seinen Verwandten hier aufhalten zu können. Die Verhängung von Schubhaft sei daher unbedingt erforderlich. A.T. habe bereits in der Vergangenheit zu erkennen gegeben, dass er offensichtlich in keiner Weise gewillt sei, die Rechtsordnung seines Gastlandes im Bereich des Fremdenrechtes zu respektieren. Er habe bereits in Polen einen Asylantrag eingebracht, sich dem dortigen Verfahren jedoch entzogen, um in einem anderen Mitgliedstaat eine "in Aussicht stehende bessere Versorgungsleistung beanspruchen" zu können. Sein Verhalten dokumentiere, dass er zahlreiche illegale Grenzübertritte mit entsprechender Schlepperbezahlung innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Kauf genommen habe, was sich objektiv betrachtet jedenfalls nicht mit der Gefahr einer Verfolgung rechtfertigen lasse. Es sei daher davon auszugehen, dass er sich dem weiteren behördlichen Zugriff in Österreich entziehen werde, sobald ihm eine Rücküberstellung nach Polen drohe. A.T. verfüge nicht über ausreichende Barmittel und sei nicht zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt. Es müssten daher für seinen weiteren Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden "bzw." sei der Schluss zulässig, dass er versuchen werde, durch Begehung strafbarer Handlungen seinen Unterhalt zu fristen. (Auch) von daher erweise sich die Verhängung der Schubhaft im konkreten Fall als verhältnismäßig.

A.T. wurde bis zum in Schubhaft angehalten und befindet sich nunmehr wieder in seiner Heimat.

Mit der am beim Landesgericht Wels eingebrachten Klage begehrt A.T. von der beklagten Republik Österreich, gestützt auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung und der Anhaltung, aus dem Titel der Amtshaftung den Betrag von EUR 11.300,-- s.A. als "Haftentschädigung".

Nach Erlassung eines rechtskräftigen Beschlusses auf Unterbrechung dieses Zivilprozesses stellte das Landesgericht Wels gestützt auf § 11 Abs. 1 AHG den gegenständlichen Antrag vom auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des dargestellten Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck. Mit näher begründeten Ausführungen vertrat das Prozessgericht die Auffassung, der Bescheid der BH sei rechtswidrig, weil keine Umstände zu erkennen seien, nach denen "in einem erhöhten Grad" anzunehmen gewesen wäre, A.T. werde "untertauchen". Dagegen spreche auch die Tatsache, dass sich die Ehefrau des A.T. und das gemeinsame Kleinkind in Österreich aufgehalten hätten, weshalb bei einem "Untertauchen" neben der damit verbundenen wirtschaftlichen Problematik auch ein Kontaktverlust mit der Familie hätte einhergehen müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einsicht in die dem Prozessakt angeschlossenen Verwaltungsakten - von der Möglichkeit ergänzender Ausführungen zur Frage der Rechtswidrigkeit des genannten Bescheides (§ 65 Abs. 1 letzter Satz VwGG) haben die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keinen Gebrauch gemacht - erwogen:

Die BH hat die Schubhaft des A.T. auf § 76 Abs. 2 Z 4 FPG gestützt. Im Hinblick darauf, dass A.T. unstrittig über Polen in das Gebiet der Europäischen Union gelangt ist und sich dort über knapp fünf Monate hindurch bis zu seiner Einreise nach Österreich aufgehalten hat, erwies sich im Sinne dieser Bestimmung die Annahme, sein Antrag auf internationalen Schutz werde mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden, als zutreffend. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch zu § 76 Abs. 2 Z 4 FPG bereits mehrfach ausgesprochen, dass ungeachtet des Vorliegens dieses Tatbestandes die Schubhaftnahme eines Asylwerbers nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die schon in diesem frühen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0549). Solche besonderen Umstände vermochte die BH am Maßstab der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - vgl. insbesondere das schon im vorliegenden Antrag angeführte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - nicht dazulegen.

Zunächst ist klarzustellen, dass das Verhalten von Angehörigen keine Schlüsse auf eine allfällige Vorgangsweise des A.T. zuließ. Das gilt zunächst bezüglich der im Schubhaftbescheid angeführten Frau eines Cousins. Aber auch die ursprünglichen Falschangaben seiner Ehefrau sind dem A.T. letztlich nicht zurechenbar. Die dem gegenständlichen Schubhaftbescheid zentral zugrunde liegende These, diese sei als "Vorhut" nach Österreich geschickt worden, um hier ein Aufenthaltsrecht zu erschleichen und die Lage in Österreich zu erkunden, während A.T. "zeitgünstig als Nachhut" eingetroffen sei, wird durch nichts erhärtet und beruht auf zum Teil unsachlichen Unterstellungen.

Falschangaben des A.T. selbst kann zwar im gegenständlichen Kontext maßgebliche Bedeutung zukommen. Dass A.T. die Stellung eines Asylantrages in Polen in Abrede stellte, tritt freilich in Anbetracht dessen, dass er unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, dabei von sich aus mit den österreichischen Behörden in Kontakt trat und bei seiner ersten Einvernahme offenkundig wahrheitsgemäße Angabe über seine Identität und die Fluchtroute - der Aufenthalt in Polen selbst wurde nie in Abrede gestellt - erstattete, in den Hintergrund. Angesichts dieser Umstände kommt auch dem Gesichtspunkt, dass sich A.T. dem Asylverfahren in Polen entzogen hatte, keine wesentliche Bedeutung zu (vgl. nochmals das schon genannte hg. Erkenntnis vom ). Auch der - nach Ansicht der belangten Behörde - erfolgten Vortäuschung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nach Kenntnisnahme von der Verhängung von Schubhaft über einen Cousin konnte nur untergeordnete Bedeutung zukommen. Daraus wäre nämlich in erster Linie bloß abzuleiten gewesen, dass sich A.T. einer befürchteten Schubhaftnahme und nicht dem Asylverfahren entziehen wollte.

Bei der von der BH abschließend ins Treffen geführten Mittellosigkeit des A.T. handelt es sich in einer Konstellation wie der vorliegenden von vornherein um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0233).

Schließlich ist dem zu prüfenden Bescheid anzulasten, dass er überhaupt keine Begründung für die Nichtanwendung eines gelinderen Mittels enthält. Das fällt in Anbetracht der familiären Situation des A.T. besonders ins Gewicht.

Als Ergebnis war daher gemäß § 67 VwGG die Rechtswidrigkeit des in Prüfung gezogenen Bescheides der BH vom festzustellen.

Wien, am

Fundstelle(n):
MAAAE-91723