VwGH vom 25.10.2012, 2011/21/0069

VwGH vom 25.10.2012, 2011/21/0069

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des UnabhängigenVerwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-10-1048, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1991 geborene Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am illegal mit dem Zug aus der Slowakei kommend nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom , den der Beschwerdeführer am darauffolgenden Tag übernommen hat, wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, und der Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in die Slowakei ausgewiesen.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom verhängte die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2a Z 1 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung Schubhaft gegen den Beschwerdeführer. Begründend führte sie aus, dass Erhebungen ergeben hätten, er habe sich vor der illegalen Einreise nach Österreich in der Slowakei aufgehalten. Gegen ihn sei mit - eingangs genanntem - Bescheid des Bundesasylamtes eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen worden. Gemäß § 76 Abs. 2a FPG habe die Fremdenpolizeibehörde in diesem Fall die Schubhaft anzuordnen, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Beschwerdeführers der Schubhaft entgegenstünden. Diesbezüglich komme die Behörde zu dem Entschluss, dass dem Willen des Gesetzgebers, über den Beschwerdeführer die Schubhaft anzuordnen, höheres Gewicht beizumessen sei als den "im Zuge der getätigten Erhebungen gewonnenen Erkenntnissen in Bezug auf (seine) Person", die einer Verhängung der Schubhaft entgegen stehen würden.

Auf Grund der ihm nachweislich zugestellten Entscheidung der Asylbehörde sei er in Kenntnis, dass er ehestens abgeschoben werde. Es bestehe somit das Erfordernis, auf seine Person jederzeit zugreifen zu können, um diese Abschiebung zu sichern. Daher werde zur Sicherung dieser bevorstehenden Abschiebung die Schubhaft angeordnet. Weiters verwies die Bezirkshauptmannschaft Baden darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich in keinster Weise sozial integriert sei, keine Wohnung, kein Einkommen und auch keine Familienangehörigen habe, und schloss die Anwendung gelinderer Mittel in seinem Fall aus.

In seiner gegen die Festnahme, den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobenen Administrativbeschwerde brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass er nach seiner Ankunft in Österreich eigeninitiativ den Kontakt mit der österreichischen Asylbehörde gesucht habe und zu diesem Zweck unverzüglich nach Traiskirchen gefahren sei. Im Asylverfahren habe er stets widerspruchsfreie und wahrheitsgemäße Angaben gemacht und insbesondere detailliert auf seinen vorhergehenden Aufenthalt und seine Asylantragstellung in der Slowakei hingewiesen. Er habe aufgrund des ihm mitgeteilten Ergebnisses des Konsultationsverfahrens ganz konkret mit seiner Abschiebung in die Slowakei zu rechnen gehabt, habe jedoch nie die Absicht gehabt, sich dem Verfahren und dem Zugriff der Asyl- und Fremdenbehörde zu entziehen. Er habe auch keinerlei Verhaltensweisen gesetzt, aus denen die Fremdenbehörde einen gegenteiligen Schluss hätte ziehen können, zumal er sich zwecks Übernahme des Zurückweisungs- und Ausweisungsbescheides des Bundesasylamtes in der Betreuungsstelle Traiskirchen eingefunden und sich mit einer Mitarbeiterin zur Polizeiinspektion Traiskirchen begeben habe. Er habe sämtliche Ladungen befolgt, das Asylverfahren abgewartet und sei für die Behörde erreichbar gewesen. Trotz dieser eine Fluchtgefahr geradezu ausschließenden Umstände sei er am in Schubhaft genommen worden.

Ein Sicherungsbedarf liege auch deswegen nicht vor, weil angesichts der offenen Rechtsmittelfrist im Asylverfahren und der einwöchigen "Abschiebesperre" gemäß § 36 Abs. 4 AsylG 2005 von einer unmittelbar bevorstehenden Rücküberstellung in die Slowakei keine Rede sein könne. Die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von der Schubhaftbehörde vorgebrachte Argumentation bezüglich des Fehlens einer sozialen Integration und eines Einkommens in Österreich sei rechtlich völlig verfehlt und faktisch nahezu absurd, da er sich erst seit ca. einem Monat als Asylwerber in Österreich befinde. In dieser Zeit könne sich niemand in einem fremden Land sozial integrieren. Da die Begründung im Schubhaftbescheid keinesfalls eine individuelle Abwägung beinhalte, sei die Verhängung der Schubhaft darüber hinaus auch unverhältnismäßig. Die Anwendung gelinderer Mittel habe die Bezirkshauptmannschaft Baden gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, obwohl diese im vorliegenden Fall ausgereicht hätten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte fest, dass die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers seit dem nicht rechtswidrig gewesen seien. Gemäß § 83 Abs. 4 FPG sprach sie aus, dass im Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Begründend führte die belangte Behörde nach der Darstellung des bisherigen Verfahrensgangs und der Rechtslage aus, dass der Sachverhalt "unter den Gesichtspunkten des erweiterten Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2a Z 1 FPG zu sehen" sei. Deshalb sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung lediglich zu ermitteln gewesen, ob besondere Gründe in der Person des Asylwerbers gelegen seien, die der Schubhaftverhängung entgegenstünden. Grundsätzlich sei nämlich auf Grund dieser Bestimmung im Hinblick auf den Bescheid des Bundesasylamtes vom von einem bestehenden Sicherungsbedarf auszugehen, weshalb in einem solchen Fall die Behörde über den Asylwerber die Schubhaft zu verhängen habe. Eingeschränkt werde diese Verpflichtung der Behörde lediglich dadurch, dass die Schubhaft entweder zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 - was im vorliegenden Fall nicht zutreffe - oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig sein müsse, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstünden.

Ausgehend von dem bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 2a Z 1 FPG ex lege gegebenen Sicherungsbedarf könne die Schubhaft im Falle einer erforderlich gewordenen Abschiebung zu deren Sicherung nur dann nicht notwendig sein, wenn konkrete Schritte zu einer freiwilligen Ausreise gesetzt würden oder mit einer Abschiebung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Auf Grund der bereits vorliegenden Zustimmungserklärung von slowakischer Seite sei im vorliegenden Fall aber mit einer Abschiebung bereits in allernächster Zeit zu rechnen. In jenen Fällen, in denen darüber hinaus eine konkrete Ausreisebereitschaft nicht erkennbar sei - wie auch vorliegendenfalls, da der Beschwerdeführer am gegenüber dem Bundesasylamt erklärt habe, nicht in die Slowakei ausreisen zu wollen, und auch nicht über die erforderlichen Reisedokumente verfüge - würde sich das Verneinen der Notwendigkeit der Schubhaftverhängung als Widerspruch zur Verpflichtung der Behörde erweisen, bei Vorliegen der in § 76 Abs. 2a Z 1 FPG genannten Voraussetzungen die Schubhaft anzuordnen.

Zu prüfen bleibe im vorliegenden Fall somit nur, ob besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstünden. Der Begriff dieser besonderen Umstände umfasse insbesondere Alter und Gesundheitszustand. Der Beschwerdeführer sei kein Minderjähriger und weise nach der Aktenlage und nach seinem eigenen Vorbringen keine Krankheit auf. Es ergäben sich somit keine Anhaltspunkte dafür, dass er schwere körperliche oder ansteckende Krankheiten oder schwere psychische Störungen habe. Es lägen daher keine in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Gründe vor, die der Verhängung der Schubhaft bzw. der Anhaltung in Schubhaft entgegenstünden.

Auf die Anwendung gelinderer Mittel habe der Fremde keinen Rechtsanspruch, sondern es liege nach Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit im Ermessen der Behörde, das gelindere Mittel - wie im gegenständlichen Fall - zu versagen.

Es seien somit die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab dem bis dato als rechtmäßig anzusehen. Auch die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen lägen vor. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG unterbleiben können, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde wendet sich gegen die Bejahung eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs durch die belangte Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0234, auf dessen Entscheidungsgründe des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass sich auch im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 2a FPG Schubhaft nur dann als zulässig erweist, wenn sie notwendig und verhältnismäßig ist. Einem Automatismus dergestalt, dass aus der Verwirklichung des - auch im vorliegenden Beschwerdefall herangezogenen - Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2a Z 1 FPG ohne Weiteres ein die Schubhaft rechtfertigendes Sicherungsbedürfnis folge, hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich eine Absage erteilt. Auch bei Verwirklichung dieses Schubhafttatbestandes sind daher konkrete, wenn auch - auf Grund des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums - nicht unbedingt stark ausgeprägte Hinweise erforderlich, die auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung und damit auf einen Sicherungsbedarf schließen lassen.

Die belangte Behörde hat die Annahme des Sicherungsbedarfs ausschließlich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer keine konkreten Schritte zur Ausreise gesetzt, sondern seine Ausreiseunwilligkeit erklärt habe und überdies über keine Reisedokumente verfüge. Allein mit fehlender Ausreisewilligkeit (auch in Verbindung mit dem Fehlen von Reisedokumenten) kann die Verhängung von Schubhaft aber auch nach § 76 Abs. 2a FPG nicht gerechtfertigt werden (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0234).

Mit der Frage, inwieweit das konkrete Vorverhalten des Beschwerdeführers die Annahme rechtfertigen konnte, er werde sich der Abschiebung entziehen oder sie zumindest wesentlich erschweren, hat sich die belangte Behörde hingegen - in Verkennung der Rechtslage - in keiner Weise auseinandergesetzt. Dabei spielen neben der Art und den Umständen seiner Reisebewegungen auch jene Gesichtspunkte eine Rolle, die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an die belangte Behörde vorgebracht hat, nämlich dass er unverzüglich nach seiner Einreise eigeninitiativ den Kontakt mit der Asylbehörde gesucht, im Asylverfahren stets wahrheitsgemäße Angaben - insbesondere zur Asylantragstellung in der Slowakei - gemacht, alle Termine wahrgenommen und keine Verhaltensweisen gesetzt habe, die den Schluss zulassen würden, er werde sich dem Verfahren entziehen. Das alles wäre von der belangten Behörde in einer - in der Administrativbeschwerde im Übrigen ausdrücklich beantragten - mündlichen Verhandlung zu klären gewesen; davon, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei, sodass die Durchführung der Verhandlung gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG unterbleiben konnte, kann hier keine Rede sein.

Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am