VwGH vom 30.08.2011, 2011/21/0068
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-03/F/55/5136/2010-8, betreffend Bestrafung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Ausspruches über die verhängte Strafe und die diesbezüglichen Kosten des Strafverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Liberia oder Nigeria, gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (idF des FrÄG 2009) eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von EUR 1.000,-- verhängt, weil er sich im Zeitraum bis unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Weiters wurde er zur Zahlung eines Kostenbeitrages in der Höhe von EUR 100,-- für das erstinstanzliche Verfahren und von EUR 200,-- für das Berufungsverfahren verpflichtet.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit rechtskräftigem negativem Abschluss seines Asylverfahrens mit nicht mehr rechtmäßig gewesen sei. Nachdem das gegen ihn verhängte Aufenthaltsverbot mit in Rechtskraft erwachsen sei, sei er auch nach Stellung eines neuerlichen Asylantrages vom nicht zum Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet berechtigt gewesen; sein Aufenthalt sei während des Asylverfahrens lediglich geduldet gewesen. Die vom Verwaltungsgerichtshof zuerkannte aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen die Zurückweisung des neuerlichen Asylantrages wegen entschiedener Sache habe mit der Zustellung des Beschlusses über die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde mit geendet. Damit sei der Beschwerdeführer gehalten gewesen, das Bundesgebiet zu verlassen, da er über keinen der in § 31 FPG genannten Aufenthaltstitel verfügt habe und auch nicht mehr auf Grund asylrechtlicher Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt bzw. geduldet gewesen sei. Er habe daher den objektiven Tatbestand der angelasteten Verwaltungsübertretung zweifelsfrei verwirklicht.
Auch das Verschulden des Beschwerdeführers bejahte die belangte Behörde. Soweit er einwende, dass ihm die Ausreise mangels Reisedokumenten nicht möglich gewesen sei, sei dem entgegenzuhalten, dass er nicht einmal versucht habe, gegebenenfalls unter Angabe seiner tatsächlichen Identität und Nationalität bei der Botschaft von Nigeria ein Heimreisedokument zu erlangen. Auch ein Versuch, bei der Botschaft von Liberia - da er trotz dem widersprechender Ergebnisse der im Asylverfahren durchgeführten Sprachanalysen behaupte, liberianischer Staatsangehöriger zu sein - aus eigenem ein Reisedokument zu erlangen, sei von ihm nicht gemacht worden. Sowohl der Versuch, selbst bei der liberianischen Botschaft ein Reisedokument zu erhalten als auch die Angabe seiner wahren Nationalität und die Vorsprache bei der entsprechenden Botschaft seien ihm möglich und zumutbar gewesen. Daher könne auch aus der Tatsache, dass im Jahr 2004 der Bundespolizeidirektion Salzburg von (der Botschaft von) Liberia kein Heimreisezertifikat für ihn ausgestellt worden sei, kein mangelndes Verschulden des Beschwerdeführers an der Verwirklichung des Tatbestandes abgeleitet werden. Im Gegenteil habe der Beschwerdeführer nicht nur noch immer keine zielführenden Schritte zur Erlangung eines Reisedokumentes gesetzt, sondern sich hartnäckig geweigert, daran mitzuwirken, obwohl ihm dies jedenfalls zumutbar gewesen sei.
Zur Strafbemessung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der objektive Unrechtsgehalt der Tat nicht als geringfügig angesehen werden könne, sondern bereits als durchaus erheblich bewertet werden müsse. Auch das Ausmaß des den Beschwerdeführer treffenden Verschuldens könne nicht als gering erachtet werden, da er keinerlei zielführende Schritte zur Ausreise nach Enden seiner Einreise- und Aufenthaltsberechtigung gesetzt habe. Es seien zwar keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen aktenkundig, jedoch könne dem bereits fünf Mal rechtskräftig wegen Drogenhandels bestraften Beschwerdeführer der Milderungsgrund der Unbescholtenheit nicht zu Gute gehalten werden. Erschwerend und mildernd sei nichts gewertet worden. Der Berufungswerber verfüge über kein Einkommen und kein Vermögen, Sorgepflichten lägen nicht vor. Unter Berücksichtigung dieser Strafbemessungsgründe habe die ohnehin die Mindeststrafe betragende Geldstrafe in keiner Weise herabgesetzt werden können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
§ 120 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, lautete in der Fassung des FrÄG 2009 unter der Überschrift "Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt" auszugsweise wie folgt:
"§ 120. (1) Wer als Fremder
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1. | nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder |
2. | sich nicht recht(s)mäßig im Bundesgebiet aufhält, |
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. … | |
… |
(4) Wer eine Tat nach Abs. 1, 2 oder 3 begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 5 000 Euro bis zu 15 000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
(5) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 2 liegt nicht vor,
1. wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§ 50) ist;
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2. | solange der Fremde geduldet ist (§ 46a), |
3. | im Fall des Aufenthalts eines begünstigten Drittstaatsangehörigen ohne Visum oder |
4. | solange dem Fremden die persönliche Freiheit entzogen ist. |
..." |
Die Beschwerde wiederholt das schon im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen, dass dem Beschwerdeführer die Ausreise mangels Reisedokumenten nicht möglich gewesen sei. Er habe daher davon ausgehen können, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 46a FPG geduldet sei, solange die Abschiebung aus tatsächlichen, nicht von ihm zu vertretenden Gründen unmöglich scheine. Im Hinblick auf die Unmöglichkeit der Erlangung eines Reisedokumentes sei auch die Beurteilung der belangten Behörde unrichtig, dass ihn an dem von ihr angenommenen tatbildlichen Verhalten ein Verschulden treffe. Erst mit Ablehnung der Behandlung der Beschwerde gegen die negative Entscheidung in seinem zweiten Asylverfahren (nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung) sei er zum Aufenthalt in Österreich nicht mehr berechtigt gewesen. Schon ab dem dritten Tag nach Zustellung des Ablehnungsbeschlusses sei er wegen nicht rechtmäßigen Aufenthalts bestraft worden. Da es nicht einmal "offiziellen Stellen" wie der Bundespolizeidirektion Wien möglich gewesen sei, seit dem Jahr 2004 Ausreisedokumente des Beschwerdeführers zu beschaffen, könne nicht von einem Verschulden des Beschwerdeführers ausgegangen werden, wenn dieser nicht innerhalb weniger Tage die erforderlichen Dokumente besorgen könne.
Dieses Vorbringen lässt außer Acht, dass der erste Asylantrag des Beschwerdeführers schon im Jahr 2004 rechtskräftig abgewiesen und über ihn ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot verhängt wurde. Schon ab diesem Zeitpunkt wäre er gehalten gewesen, an der Erlangung der erforderlichen Reisedokumente mitzuwirken, sei es, indem er selbst bei der Botschaft seines Herkunftslandes vorgesprochen bzw. mit ihr Kontakt aufgenommen hätte, sei es, indem er dazu beigetragen hätte, Zweifel an seiner Nationalität und Identität zu beseitigen. Sein zweiter Asylantrag vom , der (erstinstanzlich bereits im Jänner 2006) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, vermittelte ihm nach der Aktenlage keine Aufenthaltsberechtigung, sondern nur faktischen Abschiebeschutz. Aber auch für die Zeit nach Zustellung des Ablehnungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes betreffend diesen zweiten Asylantrag ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer irgendwelche Schritte zur Erfüllung seiner Ausreiseverpflichtung gesetzt hätte. Ausgehend davon kann aber weder gesagt werden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erschien und er daher gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG geduldet war, was gemäß § 120 Abs. 5 Z 2 FPG die Strafbarkeit ausgeschlossen hätte, noch ist die Beurteilung der belangten Behörde zu beanstanden, dass ihn an der Verwirklichung des Tatbestandes ein Verschulden getroffen hat. Das Verschulden des Beschwerdeführers war nach dem Gesagten auch nicht so gering, dass gemäß § 21 VStG von der Strafe abzusehen gewesen wäre.
Dennoch liegt eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor.
Mit Erkenntnis vom , G 53/10-7 u.a., kundgemacht am im BGBl. I Nr. 17/2011, hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs. 1 und die Wendung "1," in Abs. 4 des § 120 FPG als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.
Der Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, bewirkte eine Erstreckung der Anlassfallwirkung insbesondere auch auf die beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0390), sodass die Anwendung der als verfassungswidrig festgestellten gesetzlichen Bestimmung auch im vorliegenden Beschwerdefall ausgeschlossen ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , VwSlg. 9994/A, und darin anschließend etwa das - ebenfalls die Verhängung einer Mindeststrafe betreffende - hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/03/0105).
Der auf die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung gestützte Ausspruch der Mindeststrafe erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf gesonderte Zuerkennung von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren ist vom dafür zugesprochenen Pauschalbetrag bereits erfasst und war daher abzuweisen.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-91698