VwGH vom 26.05.2010, 2007/08/0159
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der J Gesellschaft m.b.H. in Z, vertreten durch Dr. Bernhard Kettl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Clemens-Krauss-Straße 21, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg vom , Zl. 20305-V/14.504/3-2007, betreffend aufschiebende Wirkung von Einsprüchen in einer Angelegenheit der Beitragsvorschreibung (mitbeteiligte Partei:
Salzburger Gebietskrankenkasse in 5024 Salzburg, Faberstraße 19- 23), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Anträgen der beschwerdeführenden Partei, ihren Einsprüchen gegen die Bescheide der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse (in der Folge: SGKK) vom , betreffend Vorschreibung eines Beitragszuschlages in der Höhe von EUR 11.854,20, und vom , betreffend Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von EUR 94.453,56 zuzüglich Verzugszinsen, aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, keine Folge.
Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass hinsichtlich § 412 Abs. 6 Z. 1 ASVG der gegenständliche Fall durch über weite Strecken kontroversielle Aussagen sowohl im Bereich der Tatsachenfeststellung als auch der rechtlichen Beurteilung gekennzeichnet gewesen sei und die beschwerdeführende Partei von der im Einspruchsverfahren eröffneten Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs nicht Gebrauch gemacht habe. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne nach der Lage des Falles nicht festgestellt werden, dass die Einsprüche Erfolg versprechend sein würden, und zwar weder im Hinblick auf die Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes noch auf dessen vorzunehmende rechtliche Würdigung. Den Bereich der Sachverhaltsfeststellung betreffend sei nicht absehbar, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang und auf Grundlage welcher Beweismittel (diverser Aufzeichnungen der Dienstgeber oder Dienstnehmer, Tachographenscheiben, etc.) eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens vorzunehmen sein werde. So sei insbesondere auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt die von der beschwerdeführenden Partei speziell ins Treffen geführte Notwendigkeit ergänzender Zeugen - bzw. Parteienvernehmungen überhaupt nicht abschätzbar und weiters unklar, ob die vorliegenden Unterlagen bzw. Akteninhalte gegebenenfalls vor dem Hintergrund der ergänzenden Erkenntnisse von Zeugen- oder Parteienvernehmungen (wozu die beschwerdeführende Partei entsprechende "Aufzeichnungen" als ergänzende Beweismittel geltend mache) als dann zur Entscheidungsfindung ausreichend angesehen werden könnten. In jedem Fall sei die dem Grunde nach der beschwerdeführenden Partei aufzuerlegende Mitwirkungspflicht bzw. in Zusammenhang mit der für sie gebotenen vollständigen Vorlage von Unterlagen im Sinn des § 42 Abs. 1 Z. 1 ASVG - alternativ die Möglichkeit der Anwendung von § 42 Abs. 3 leg. cit. - einer Prüfung und Beurteilung zu unterziehen. Ebenso sei auf den massiven Vorwurf, die SGKK habe die kollektivvertraglichen Bestimmungen ohne Abstellung auf insbesondere europarechtliche Anknüpfungspunkte denkunmöglich ausgelegt, einzugehen; dass dies zweifelsfrei erfolgt sei, könne die belangte Behörde nach der Lage des Falles derzeit nicht feststellen. Somit könne weder auf Grund der differierenden Sachverhaltsangaben noch vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der umfassenden Prüfung der Rechtslage, wobei unter anderem auf komplexe europarechtliche Anknüpfungspunkte Bedacht zu nehmen sein werde, aus aktueller Sicht davon ausgegangen werden, dass die Einsprüche erfolgversprechend erscheinen würden.
§ 412 Abs. 6 Z. 2 ASVG eröffne lediglich dann die Möglichkeit, dem Einspruch aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn das Verhalten des Einspruchswerbers nicht auf Gefährdung der Einbringlichkeit von Sozialversicherungsbeiträgen gerichtet sei. Im gegenständlichen Fall sei auf Grund der in beträchtlicher Höhe bestehenden Forderung der SGKK von insgesamt EUR 106.307,76 und der vor diesem Hintergrund nach eigenen Angaben angespannten finanziellen Situation des beschwerdeführenden Unternehmens von einer Gefährdung der Einbringlichkeit von Sozialversicherungsbeiträgen auszugehen, zumal die beschwerdeführende Partei selbst in ihrer Antragbegründung festgehalten habe, dass vor dem Hintergrund eines dann drohenden Konkurses die gegenständliche Forderung weder pfandrechtlich sichergestellt noch im Exekutionsweg einbringbar sei. Auch das Bestehen bzw. zumindestens das Bestreben zur Bildung entsprechender Rücklagen für den Fall der Verpflichtung zur Bezahlung des gegenständlichen Betrages sei von der beschwerdeführenden Partei nicht geltend gemacht worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 412 Abs. 6 ASVG idF BGBl. Nr. 411/1996 hat ein Einspruch keine aufschiebende Wirkung; der Landeshauptmann kann jedoch dem Einspruch auf Antrag aufschiebende Wirkung dann zuerkennen wenn 1. der Einspruch nach Lage des Falles erfolgversprechend erscheint oder 2. das Verhalten des Einspruchswerbers nicht auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit von Sozialversicherungsbeiträgen gerichtet ist.
Die belangte Behörde hat das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 412 Abs. 6 Z. 2 ASVG mit einer nicht zu beanstandenden Begründung betreffend die Einbringlichkeit der Forderung verneint und ist dabei davon ausgegangen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der beschwerdeführenden Partei die Einbringlichkeit der Forderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gefährden würden. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kam daher nur nach § 412 Abs. 6 Z. 1 ASVG in Betracht.
§ 412 Abs. 6 Z. 1 (und 2) ASVG (idF BGBl. Nr. 335/1993) wurde gemäß dem Ausschussbericht zu dieser Novelle (968 BlgNR 18. GP, S. 5f; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0262) dem § 212a Abs. 2 BAO nachempfunden. Dem Einspruch ist die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn er erfolgversprechend ist; ist er hingegen nur wenig erfolgversprechend, ist ihm die aufschiebende Wirkung nicht zuzuerkennen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zur lit. a des § 212a Abs. 2 BAO (betreffend Erfolgsaussichten) ausgesprochen, dass es nicht Aufgabe eines Aussetzungsverfahrens ist, die Berufungsentscheidung vorwegzunehmen; die Abgabenbehörden haben bei Prüfung der Vorraussetzungen für die Aussetzung der Einhebung die Erfolgsaussichten an Hand des Berufungsvorbringens zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/13/0129).
Dem Gesetzgeber kann auch im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren nicht zugesonnen werden, dass er der Behörde bei der Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz gleichsam die - wenngleich nur summarische - Vorwegnahme des Rechtsmittelverfahrens in der Hauptsache hätte auferlegen wollen. Dagegen sprechen nicht nur die bloß vorläufige Natur des Rechtsinstitutes der aufschiebenden Wirkung, sondern auch verfahrensökonomische Gründe und schließlich die Überlegung, dass es kaum Fälle geben wird, in denen die Behörde in der Lage sein wird, den Ausgang eines umfangreichen Beweisverfahrens unter vorwegnehmender Beweiswürdigung gleichsam zu antizipieren. Gegen eine solche Auffassung spricht vor allem der Gesetzestext, der es der Behörde zur Aufgabe macht zu beurteilen, ob der Einspruch "nach Lage des Falles", d.h. unter Zugrundelegung von Spruch und Begründung des angefochtenen Bescheides einerseits und des Einspruchsvorbringens andererseits erfolgsversprechend scheint.
Es kommt daher im vorliegenden Fall nur darauf an, ob das Ergebnis des Einspruchsverfahrens vor dem Hintergrund des Parteienvorbringens und des angefochtenen Bescheides wegen der gebotenen Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zumindest als offen bezeichnet werden muss.
Sollte die belangte Behörde daher zur Beurteilung der Erfolgsaussichten des Einspruchs auf neue Sachverhaltsfeststellungen und daraus ableitbare Schlüsse greifen müssen, welche eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und der Wahrung des Parteiengehörs bedurft hätten, welches die beschwerdeführende Partei zu Gegenargumenten und weiteren (neuen) Sachverhaltsbehauptungen hätten veranlassen können, so würde sich bereits daraus ergeben, dass der Einspruch insoweit erfolgversprechend im Sinne des § 412 Abs. 6 Z. 1 ASVG anzusehen wäre (vgl. nochmals das oben zitierte Erkenntnis vom , Zl. 2001/13/0129).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Ein Ersatz der Pauschalgebühr konnte wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) nicht zuerkannt werden.
Wien, am