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VwGH vom 18.04.2013, 2011/21/0042

VwGH vom 18.04.2013, 2011/21/0042

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2011/21/0238

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerden des HG, zuletzt in L, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich 1. vom , Zl. VwSen-401090/5/SR/Sta, und 2. vom , Zl. VwSen-401094/4/Sr/Sta, jeweils betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres; die Beschwerde gegen den erstgenannten Bescheid protokolliert zur hg. Zl. 2011/21/0238, jene gegen den zweitgenannten Bescheid protokolliert zur hg. Zl. 2011/21/0042), zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der erstangefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. insoweit, als er die zugrunde liegende Administrativbeschwerde auch in Bezug auf die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab als unbegründet abweist, und hinsichtlich seiner Feststellung, dass "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, sowie in seinem Spruchpunkt II. (Kostenzuspruch an den Bund) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

2. Der zweitangefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Bekämpfung (Abweisung der zugrunde liegenden Administrativbeschwerde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

3. Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.432,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, gemäß seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Außerdem wurde festgestellt, dass für die Prüfung seines Antrags Griechenland zuständig sei, und der Beschwerdeführer wurde nach Griechenland ausgewiesen.

Der genannte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt. Im Anschluss daran verhängte die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (BH) gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2a Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG zur Sicherung seiner Abschiebung Schubhaft.

Gegen den seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückweisenden Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof. Dieser erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zu. Der sodann vom Beschwerdeführer angerufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sprach in der Folge jedoch am gemäß Art. 39 seiner Verfahrensordnung aus, dass der Beschwerdeführer bis auf weiteres nicht nach Griechenland abgeschoben werden solle. Diese (bindende) Empfehlung ging den österreichischen Behörden noch am Vormittag des zu.

Mittlerweile hatte der Beschwerdeführer eine (erste) Schubhaftbeschwerde erhoben. Mit Bescheid vom , erlassen am , wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) diese Beschwerde als unbegründet ab. Unter einem stellte er fest, dass "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Außerdem verpflichtete die belangte Behörde den Beschwerdeführer zum Kostenersatz an den Bund.

Begründend verwies die belangte Behörde - der die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR noch nicht bekannt war - auf die asylrechtliche Ausweisung durch das Bundesasylamt, die infolgedessen, dass der an den Asylgerichtshof erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde, nunmehr auch durchführbar sei. Mit einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland sei für den 3. oder zu rechnen. Der Beschwerdeführer habe - so die belangte Behörde weiter - im Asylverfahren unterschiedliche Angaben erstattet; während er zunächst von einem Zwischenaufenthalt in Griechenland gesprochen habe, sei dies später abgestritten worden. Es treffe auch, anders als in der Administrativbeschwerde behauptet, nicht zu, dass er Österreich als Zielland gewählt habe. Österreich sei vielmehr nur Transitland gewesen, um nach Deutschland zu gelangen, was sich insbesondere daraus ergebe, dass der Beschwerdeführer nicht bereits nach seiner Ankunft in Wien mit den österreichischen Behörden Kontakt aufgenommen, sondern erst im Zuge einer Kontrolle in Linz, auf der Fahrt nach Deutschland, den Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Insgesamt habe die BH daher zu Recht einen Sicherungsbedarf angenommen, der die Schubhaft - nach wie vor - am Boden des gegenständlich erfüllten Schubhafttatbestandes nach § 76 Abs. 2a Z 1 FPG erforderlich mache.

Mit Schriftsatz vom brachte der Beschwerdeführer eine weitere Schubhaftbeschwerde ein, in der er insbesondere auf die Empfehlung des EGMR vom Bezug nahm, er möge bis auf weiteres nicht nach Griechenland abgeschoben werden. Davon ausgehend beantragte er, seine Anhaltung in Schubhaft seit dem für rechtswidrig zu erklären. Mit Bescheid vom gab die belangte Behörde dieser Beschwerde - unter Kostenzuspruch an den Beschwerdeführer - insoweit statt, als sie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft in der Zeit vom 29. Oktober bis für rechtswidrig erklärte. Weiters sprach sie aus, dass "das Mehrbegehren … teilweise zurück- und teilweise abgewiesen" werde.

Auf das Wesentliche zusammengefasst führte die belangte Behörde aus, dass die durchsetzbare asylrechtliche Ausweisung des - am aus der Schubhaft entlassenen - Beschwerdeführers (nach wie vor) auch durchführbar sei. Innerstaatlich habe sich bis dato an dieser Rechtslage ungeachtet der ergangenen Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR und ungeachtet dessen, dass diese Empfehlung verbindlich sei, nichts geändert. Das Bundesasylamt habe aber die Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland ausgesetzt und ein neuerliches Überstellungsersuchen an Griechenland von einer Entscheidung des EGMR abhängig gemacht. Hievon habe die BH am Kenntnis gehabt, weshalb die Schubhaft ab diesem Tag nicht mehr aufrecht hätte erhalten werden dürfen, weil ihr Ziel, die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland, in absehbarer Zeit nicht mehr erreichbar gewesen sei. Was die in Beschwerde gezogene Phase davor anlange, so liege einerseits bezogen auf den Zeitraum bis zur Zustellung des über die erste Administrativbeschwerde absprechenden Bescheides vom (am Vormittag des ) entschiedene Sache vor. Bezogen auf die Anhaltung am (nach der erwähnten Bescheidzustellung) sei aber auf den nach wie vor bestehenden Sicherungsbedarf und darauf zu verweisen, dass sich - im Folgenden die belangte Behörde wörtlich - "alleine mit der 'Erlassung der vorläufigen Maßnahme' der maßgebliche Sachverhalt nicht in der Weise geändert hat, dass die weitere Anhaltung am nicht mehr aufrecht erhalten hätte werden dürfen". Am habe die BH "mangels Kenntnisnahmemöglichkeit" von der Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland noch davon ausgehen können, dass seine Abschiebung zeitnah erfolgen könne. Insoweit habe es daher einerseits zur Zurückweisung bzw. andererseits zur Abweisung der (zweiten) Administrativbeschwerde zu kommen.

Gegen beide Bescheide - gegen jenen vom jedoch nur insoweit, als die zugrunde liegende Administrativbeschwerde abgewiesen wurde - erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschlüssen vom , B 1698/10-11 (Bescheid vom ), bzw. vom , B 76/11-3 (Bescheid vom ), ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Dieser hat über die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden nach deren Ergänzung und nach Aktenvorlage sowie Erstattung von Gegenschriften seitens der belangten Behörde erwogen:

Schon in der Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid vom argumentiert der Beschwerdeführer ausschließlich mit der Empfehlung des EGMR, er solle bis auf weiteres nicht nach Griechenland abgeschoben werden. Diese Empfehlung stammt vom und ging den österreichischen Behörden am Vormittag dieses Tages zu. Naturgemäß konnte sie für die Zeit davor keine Konsequenzen nach sich ziehen. Von daher wird die Schubhaftverhängung und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft bis zum von der Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid - wenngleich von Anfechtungserklärung, Aufhebungsantrag und Beschwerdepunkt erfasst - im Ergebnis nicht in Frage gestellt. Jedenfalls vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf die unstrittige Erfüllung des Schubhafttatbestandes nach § 76 Abs. 2a Z 1 FPG und die den Überlegungen der belangten Behörde zum Sicherungsbedarf zugrunde liegenden nicht bekämpften Sachverhaltsannahmen hegt der Verwaltungsgerichtshof gegen die den angesprochenen Zeitraum erfassende Abweisung der (ersten) Administrativbeschwerde keine Bedenken. Insoweit war die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Mit Erlass der Empfehlung des EGMR, von der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland bis auf weiteres abzusehen, hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert. Diesbezüglich ist auf § 50 Abs. 3 FPG zu verweisen, wonach die Abschiebung in einen Staat unzulässig ist, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.

Dass vor dem Hintergrund dieser Bestimmung nach wie vor, wie die belangte Behörde meint, eine "durchführbare" Ausweisung des Beschwerdeführers nach Griechenland bestanden habe, trifft nicht zu. Das wäre auch von der Schubhaftbehörde zu beachten gewesen, die insoweit - anders als von der belangten Behörde vertreten - daher nicht schon wegen fehlender Kenntnis von der Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland (durch das Bundesasylamt) nach wie vor von einer zeitnahen Abschiebung des Beschwerdeführers hätte ausgehen dürfen. Vielmehr hätte sie ausgehend von § 50 Abs. 3 FPG ohne Rücksicht auf die Vorgangsweise des Bundesasylamtes eine eigenständige Beurteilung dahingehend vorzunehmen gehabt, ob es trotz der empfohlenen vorläufigen Maßnahme zu einer alsbaldigen Abschiebung des Beschwerdeführers kommen könne. Diesbezüglich ist jedoch schon nach dem Wortlaut der - unbefristeten - Empfehlung des EGMR nicht zu sehen, dass sie nur eine zeitlich begrenzte Geltung haben solle und der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland daher nur für kurze Dauer entgegenstehen werde. Die belangte Behörde vermochte auch nichts in diese Richtung aufzuzeigen. Dass eine ehebaldige Entscheidung des EGMR in der Sache selbst (zu Lasten des Beschwerdeführers) zu erwarten sei, nahm die belangte Behörde aber letztlich selbst nicht an. Das folgt aus ihrer Argumentation, ein neuerliches Überstellungsersuchen des Bundesasylamtes an Griechenland sei von einer Entscheidung des EGMR abhängig gemacht worden, weshalb die Schubhaft ab Kenntnis dieses Umstandes durch die BH - mangels Erreichbarkeit ihres Zieles (Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland) in absehbarer Zeit - zu beenden gewesen wäre.

Wie schon mehrfach erwähnt, erging die Empfehlung des EGMR noch am Vormittag des . Wann sie genau den österreichischen Behörden zur Kenntnis gelangte, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Anzumerken ist aber, dass die BH nach der Aktenlage im Hinblick auf die Entscheidung des EGMR bereits um

12.45 Uhr den für den gebuchten Flug des Beschwerdeführers nach Athen stornierte. Im Übrigen ist festzuhalten, dass Verzögerungen bei der innerstaatlich vorzunehmenden Information der BH eine verspätete Enthaftung des Beschwerdeführers nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0034).

Nach dem Gesagten können die Abweisung der ersten Administrativbeschwerde, soweit es um die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab dem geht, der im erstangefochtenen Bescheid enthaltene Fortsetzungsausspruch sowie die - im Rahmen der Bekämpfung des zweitangefochtenen Bescheides (in Bezug auf die Anhaltung des Beschwerdeführers am ) allein gegenständliche - Abweisung der zweiten Administrativbeschwerde keinen Bestand haben. Insoweit waren die bekämpften Bescheide - und damit auch der Kostenzuspruch an den Bund im erstangefochtenen Bescheid - daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am