VwGH vom 29.02.2012, 2011/21/0019
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-400907/27/Gf/Mu, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Partei: S in G, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH, 8010 Graz, Friedrichgasse 31), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid vom gab die belangte Behörde einer vom Mitbeteiligten, einem türkischen Staatsangehörigen, eingebrachten Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) statt und stellte fest, dass dessen Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig gewesen sei. Unter einem verpflichtete sie den Bund zum Ersatz der Verfahrenskosten.
Am wurde der Mitbeteiligte auf Grund dieses Bescheides aus der Schubhaft entlassen.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erhob dagegen Amtsbeschwerde.
Mit dem - im ersten Rechtsgang ergangenen - Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0432, dem die weiteren Einzelheiten dieses Verfahrens entnommen werden können, hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Im weiteren Verfahren erließ die belangte Behörde, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den nunmehr angefochtenen Bescheid vom wie folgt:
"Das Verfahren wird eingestellt.
Rechtsgrundlage: § 56 AVG."
Begründend führte die belangte Behörde - ohne Sachverhaltsfeststellungen zu treffen - aus, mittlerweile sei bereits ein langer Zeitraum verstrichen. Der Mitbeteiligte könnte seine Aussage - selbst wenn er sich an die damaligen Vorkommnisse noch detailliert erinnern könnte - nunmehr im Wissen darum, worauf es ankomme, zu seinen Gunsten entsprechend ausgestalten. Dass er sich "nunmehr offenbar schon seit Jahren legal in Österreich aufhält", bilde ein starkes Indiz dafür, dass die seinerzeitige Schubhaftverhängung tatsächlich rechtswidrig gewesen sei. Die belangte Behörde habe daher unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 2 letzter Satz AVG beschlossen, von der Fortführung des Beschwerdeverfahrens abzusehen und dieses gemäß § 56 AVG einzustellen. Ein "entsprechendes Rechtsschutzinteresse" sei nicht mehr erkennbar, was "im Ergebnis einer Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages gleichgehalten werden" könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen hat:
§ 56 AVG lautet samt Überschrift:
"Erlassung von Bescheiden
§ 56. Der Erlassung eines Bescheides hat, wenn es sich nicht um eine Ladung (§ 19) oder einen Bescheid nach § 57 handelt, die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes, soweit er nicht von vornherein klar gegeben ist, nach den §§ 37 und 39 voranzugehen."
§ 39 Abs. 2 AVG lautet:
"(2) Soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, hat die Behörde von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Sie kann insbesondere von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchführen und mehrere Verwaltungssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden oder sie wieder trennen. Die Behörde hat sich bei allen diesen Verfahrensanordnungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen."
Die belangte Behörde verkennt zunächst, dass die letztgenannte Bestimmung keine Handhabe dafür bildet, die Aufnahme erforderlicher Beweise abzulehnen oder das Recht einer Partei, gehört zu werden, zu beeinträchtigen (vgl. dazu etwa Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 40 mwN). Ebenso wenig wie das Gebot, sich bei allen Verfahrensanordnungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen, bildet die Vorschrift des § 56 AVG, wonach die Erlassung eines Bescheides (von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erfordert, eine taugliche Grundlage für die Einstellung eines Verfahrens über eine Schubhaftbeschwerde. Eine solche ist auch sonst nicht ersichtlich.
Die §§ 82 und 83 FPG, die als Sonderverfahrensrecht für die Schubhaftbeschwerde zu verstehen sind, ermöglichen generell nicht nur die Prüfung der Zulässigkeit der Fortdauer einer aufrechten Haft, sondern auch einer bereits - wie hier vor längerer Zeit - vollzogenen Haft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0545, mwN). Hieraus folgt ein entsprechendes Feststellungsinteresse des Mitbeteiligten. Warum es weggefallen sein soll, ist nicht ersichtlich; vom Vorliegen einer Situation, die einer Zurückziehung der Schubhaftbeschwerde "gleichzuhalten" sei, kann nicht die Rede sein.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-91647