VwGH vom 29.02.2012, 2011/21/0015
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der E in L, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/23047/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1973 geborene Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste im Jänner 2004 unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen, zugleich wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Im Dezember 2004 heiratete die Beschwerdeführerin einen nigerianischen Staatsangehörigen, der sich seit dem Jahr 2000 in Österreich aufhält und über eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" verfügt. Der Ehe entstammen drei Kinder, geboren im März 2006, im Juni 2007 bzw. im August 2009.
Im August 2009, vor Geburt ihres dritten Kindes, beantragte die Beschwerdeführerin für sich und ihre beiden älteren Kinder die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011). In der Folge zog die Beschwerdeführerin mit ihre im Asylverfahren erhobene Berufung (Beschwerde) zurück. Daraufhin wurden sie und ihre Kinder mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 und § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ausgewiesen. Dagegen erhoben die Beschwerdeführerin und ihre Kinder Berufung, die jedoch erfolglos blieb; mit Bescheiden je vom bestätigte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) hinsichtlich der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder die erstinstanzlichen Ausweisungen. In dem die Beschwerdeführerin betreffenden Berufungsbescheid begründete sie das im Wesentlichen damit, dass sich die Beschwerdeführerin seit dem (Zurückziehung ihrer Berufung bzw. Beschwerde im Asylverfahren) rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Angesichts ihres ca. sechs Jahre und neun Monate währenden Aufenthalts im Bundesgebiet sowie der Tatsache, dass sie mit ihrem in Österreich niederlassungsberechtigten Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt lebe sowie unbescholten und lt. eigenen Angaben selbständig als Unternehmerin tätig sei, sei ihr eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen. Demzufolge werde mit der Ausweisung in erheblicher Weise in ihr Privat- und Familienleben eingegriffen.
Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration werde jedoch - so die belangte Behörde weiter - maßgebend dadurch gemindert, dass ihr Aufenthalt während des Asylverfahrens nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Antrages temporär berechtigt gewesen sei. Der Beschwerdeführerin sei bewusst gewesen, dass sie ein Privat- und Familienleben während dieses Zeitraumes geschaffen habe, in dem sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Sie habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Asylbegehren erstinstanzlich bereits am "negativ entschieden" worden sei, was ein eindeutiges Indiz dafür dargestellt habe, dass ihr weiterer Aufenthalt in Österreich temporär begrenzt sein könne. Aus demselben Grund relativiere sich auch die berufliche Integration der Beschwerdeführerin, weil sie nämlich bereits bei Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit gewusst habe, dass ihr Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidungen über "ihre Asylanträge" geknüpft sei. Dass die Beschwerdeführerin 2009 ihre anhängige Beschwerde beim Asylgerichtshof zurückgezogen habe, ändere daran nichts.
Auch die Eheschließung der Beschwerdeführerin sowie die Geburt ihrer Kinder seien im Status eines unsicheren Aufenthalts erfolgt. In Bezug auf die Kinder sei zudem festzuhalten, dass auch gegen diese Ausweisungen erlassen worden seien. Was aber den Ehegatten anlange, so sei - unter dem Gesichtspunkt, ob er sie nach Nigeria begleiten könne, um dort das gemeinsame Familienleben fortzusetzen - zu beachten, dass dieser in Nigeria geboren worden sei, die nigerianische Staatsbürgerschaft besitze und seine prägenden Jahre in Nigeria verbracht habe.
Zu berücksichtigen sei weiters, dass die erst mit 30 Jahren nach Österreich eingereiste Beschwerdeführerin den überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens in Nigeria verbracht habe. Dort habe sie die Schule und von 1994 bis 1998 die Universität besucht, sodass davon ausgegangen werden könne, dass sie dort über ein soziales Netzwerk verfüge. Der Beschwerdeführerin könne daher eine Bindung zu ihrem Heimatland "nicht abgesprochen werden" bzw. erscheine eine Reintegration zumutbar. Der anhängige Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 3 NAG stehe der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegen.
Die Beschwerdeführerin halte sich seit dem , also seit mehr als einem Jahr, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße; die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.
Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu üben, insbesondere weil das ihr vorwerfbare (Fehl )Verhalten im Verhältnis zu der von ihr geltend gemachten - und zu relativierenden - Integration überwiege. Es seien auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Ermessensübung begründen könnten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1641/10-3, ablehnte. Über die in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene und ergänzte Beschwerde hat dieser nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerdeführerin hält sich seit Zurückziehung ihrer Berufung im Asylverfahren unbestritten unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) ist daher erfüllt.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe unter vielen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0465).
Unter diesen Gesichtspunkten macht die Beschwerdeführerin geltend, dass sie seit Dezember 2004 mit einem in Österreich aufenthaltsberechtigten nigerianischen Staatsangehörigen verheiratet sei und dass der Ehe drei in Österreich geborene Kinder entstammten. Zur Zurückziehung ihrer Berufung (Beschwerde) im Asylverfahren sei es gekommen, weil damals - beinahe sechs Jahre nach Ergehen des erstinstanzlichen Bescheides des Bundesasylamtes - noch in keiner Weise absehbar gewesen sei, wann es zu einer Entscheidung des Asylgerichtshofes kommen werde. Es sei aber bereits ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt worden, dessen Stattgebung nach Auskunft des Magistrates der Stadt Linz nur noch das offene Asylverfahren entgegengestanden sei. Nur im Hinblick darauf sei die beim Asylgerichtshof anhängige Beschwerde - aus freien Stücken, um den Weg für die "Niederlassungserteilung offen zu haben" - zurückgezogen worden.
Es trifft zu, dass es über Jahre hindurch zu keiner behördlichen Erledigung des von der Beschwerdeführerin im Asylverfahren erhobenen Rechtsmittels gekommen ist. Die belangte Behörde ist auch nicht der schon im Verwaltungsverfahren aufgestellten Behauptung entgegengetreten, die dann erfolgte Zurückziehung dieses Rechtsmittels sei nur in der Erwartung erfolgt, dass der beantragte Aufenthaltstitel nach § 44 Abs. 3 NAG erteilt werde. Dass diese Erwartung auf einer Auskunft des Magistrats der Stadt Linz gründe, stellt allerdings eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 VwGG) dar. Nichtsdestotrotz wären die besagten Umstände grundsätzlich zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu gewichten gewesen (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0605). Konkret ist allerdings zu bedenken, dass die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte familiäre Beziehung zu ihrem Ehemann bereits 2004 begründet wurde, sodass insoweit dem behördlichen Argument, die Beschwerdeführerin habe ihr Familienleben während eines Zeitraumes geschaffen, in dem sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus hatte, sehr wohl Beachtung zukommt. Was aber die Kinder der Beschwerdeführerin anlangt, so wurden diese unbestritten gleichfalls - vor dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof nicht in Beschwerde gezogen - rechtskräftig ausgewiesen. Insoweit liegt daher gar kein Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin vor. Auf die Situation der Kinder selbst war aber in erster Linie in den sie betreffenden Ausweisungsbescheiden einzugehen, die - wie erwähnt - rechtskräftig sind und einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugeführt wurden.
Über das - nach dem Gesagten insgesamt zu relativierende - Familienleben hinaus macht die Beschwerdeführerin keine besonderen Integrationsgesichtspunkte geltend. Die noch im Verwaltungsverfahren aufgestellte Behauptung, sie gehe einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach, wird unter Verweis auf ihre Eigenschaft als Mutter und Hausfrau nicht aufrecht erhalten. In der Beschwerde wird auch nicht den behördlichen Überlegungen entgegengetreten, die Beschwerdeführerin habe noch Bindungen zu ihrem Heimatland und es erscheine ihr eine Reintegration dort zumutbar. Vor allem bleibt aber die im Ergebnis von der belangten Behörde vertretene Auffassung unbekämpft, der - wenngleich in Österreich berufstätige - Ehemann der Beschwerdeführerin könne diese (und die gemeinsamen Kinder) zufolge seiner nach wie vor bestehenden Beziehungen zu Nigeria begleiten.
Vor diesem Hintergrund musste die belangte Behörde entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht zu der Auffassung gelangen, ihre Ausweisung aus Österreich sei im Hinblick auf Art. 8 EMRK unzulässig. Dem Interesse der Beschwerdeführerin an einem Weiterverbleib in Österreich steht nämlich entgegen, dass der (bis zum Bescheiderlassungszeitpunkt) noch nicht sieben Jahre dauernde Aufenthalt durch eine illegale Einreise erlangt wurde, soweit er vorläufig berechtigt war lediglich auf einem letztlich nicht zum Erfolg führenden Asylantrag beruhte und seit Beendigung des Asylverfahrens bereits mehr als ein Jahr lang unrechtmäßig war. Die belangte Behörde ist im Recht, wenn sie darin eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Es trifft nämlich zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen, gegen die die Beschwerdeführerin verstößt, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein sehr hoher Stellenwert zukommt (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348).
Fallbezogen ist es somit im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung der Beschwerdeführerin im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG als dringend geboten angesehen hat. In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-91635